Ein Grossteil von Shanghai steht immer noch still. Seit rund vier Wochen befinden sich einige Teile der Drachenkopf-Metropole im strikten Lockdown. Die betroffenen Menschen dürfen das Haus nur für Corona-Tests verlassen. Erst heute Mittwoch lockerte die Behörde die Isolation für rund 12 Millionen Menschen. «Das Virus sei in Teilen der Stadt erstmals wirkungsvoll unter Kontrolle», sagte der Beamte Wu Ganyu.
Während für die einen die Normalität beginnt, bekommen andere die Auswirkungen von Chinas rigorose Null-Covid-Strategie erst jetzt so richtig zu spüren. Vor der Küste der chinesischen Wirtschaftsmetropole hat sich ein riesiger Stau gebildet.
Mehr als 300 Frachtschiffe sollen laut Schätzungen von VesselsValue am Hafen von Shanghai darauf warten, be- oder entladen zu werden. Die Wartezeit kann zwischen drei Tage bis zu einer Woche dauern. «Die Abfertigung im Hafengebiet laufe derzeit nur etwa auf einem Viertel der normalen Kapazität», sagt Peter Sand, Chefanalyst des auf Schifffahrt spezialisierten Analysehauses Xeneta, gegenüber dem Spiegel. Die Schiffe transportieren sowohl Transportgüter wie Öl, Gas als auch landwirtschaftliche Rohkomponente wie Getreide und Düngemittel.
Der Live-Tracker von «Marine Traffic», der Schiffspositionen in Echtzeit in internationalen Gewässern verfolgt, zeigt den Mega-Stau, der sich rund um den Hafen von Shanghai gebildet hat. Einige davon stehen mehrere Kilometer vom Hafen entfernt auf offener See.
Der Hafen ist von der Regierung zwar nicht geschlossen worden, doch wegen des Lockdowns ist er in seiner Funktionstätigkeit massiv eingeschränkt. Insbesondere der Personalmangel sorgt für lange Wartezeiten der Schiffe. Es fehlt sowohl an Hafenmitarbeitern, welche die Schiffe entladen – als auch an an LKW-Fahrern, welche die Container weiter transportieren.
Viele der Hafenmitarbeiter harren noch immer im strikten Lockdown aus. Diejenigen, die arbeiten können, dürfen das Hafengelände nicht mehr verlassen. Um Infektionen zu vermeiden, müssen sie vor Ort übernachten.
Bei den Spediteuren gibt es ein anderes Problem. Sie unterliegen strengen Corona-Restriktionen – und fürchten sich vor dem Quarantäne-Lager. Denn wird bei den obligatorischen Massentests eine Infektion festgestellt, darf man sich nicht zuhause auskurieren, sondern muss sich in eine Quarantäne-Einrichtung begeben. Respektive in ein gigantisches Bettenlager:
Aufgrund des Lockdowns verbunden mit den Lieferengpässen fürchten die Menschen in Shanghai den Hunger. Im Netz tauchen seit rund einer Woche Videos mit Hilferufen auf, welche auf die schrumpfende Lebensmittelversorgung aufmerksam machen.
Hinter diesem Hintergrund hat die Regierung nun beschlossen, die Frachten mit Lebensmittelgütern zu bevorzugen. Eine Lösung für den Transport ist noch nicht getroffen worden. Da die Abstellflächen knapp sind, kann es trotzdem länger dauern, bis die angelieferten Güter den Hafen verlassen können.
Mehrere Wirtschaftsexperten haben bezüglich der Auswirkungen des Mega-Staus Bedenken um die globalen Lieferketten. Demnach ist mit höheren Kosten und monatelangen Lieferverzögerungen zu rechen, die sich über den ganzen Globus erstrecken.
Wie stark ein Lockdown die weltweiten Lieferketten ins Schwanken bringt, zeigten bereits die Warteschlangen, die sich in jüngster Vergangenheit in anderen chinesischen Häfen gebildet haben. In Shenzhen ist der Hafen im Juli 2021 wegen eines einzigen (!) Coronafalles dicht gemacht worden. Es dauerte Wochen, bis sich der Stau der rund 50 Schiffe auflöste. Die Folgen waren weltweit durch monatelange Lieferverzögerungen sowie steigende Preise spürbar. Der Stau in Shanghai mit 300 stehengebliebenen Frachtschiffen könnte einiges länger andauern.
Da bleibt nur zu hoffen, dass die Lebensmittel nicht verrottet sind, bevor sie endlich ankommen wo sie sollten.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie lange wir auf Ersatzteile warteten, als die Ever Given den Suezkanal blockierte.