Streng genommen ist es paradox, dass Jeff Bezos seine Hochzeit in Venedig feiert. Die Lagunenstadt ist das Symbol der Vergangenheit, für den Glanz und den Stil der Adligen im Mittelalter. Tech-Oligarch Bezos hingegen ist die Verkörperung einer Zukunft, die beherrscht wird von künstlicher Intelligenz und Robotern.
Trotzdem ist es alles andere als ein Zufall, dass Bezos Lauren Sánchez in Venedig sein Ja-Wort geben wird. Die Tech-Milliardäre wollen ihren Reichtum zur Schau stellen, wie es einst Kaiser und Könige taten, und dazu ist die schwimmende Stadt die ideale Bühne. Das Einzige, was sie dabei noch nicht gelöst haben, ist die Stil-Frage. Was der Italiener «bella figura» nennt, ist für die neureichen Masters of the Universe ein Fremdwort.
Der Soziologe Thorstein Veblen prägte einst den Begriff «conspicious waste». Demonstrative Verschwendung ist an den Bezos-Festivitäten in Venedig geradezu Pflicht. Man reist mit dem Privatjet an, wenn man nicht das Privileg hatte, auf der 500-Millionen-Jacht des Bräutigams nach Italien zu segeln. Der Ring der Braut soll zwischen drei und fünf Millionen Dollar gekostet haben, ein Klacks im Vergleich mit dem Halsband, das mit einem Stein von der Grösse eines Velo-Rückstrahlers bestückt ist.
Die Frauen sind durchwegs in einem Stil gekleidet, den Amy Odell in der «New York Times» wie folgt beschreibt: «Protzig und prahlerisch hat diskreten Reichtum ersetzt. Sich zur Schau stellen ist in. Für die Frauen bedeutet dies Pailletten, Diamanten, enge Silhouetten und viel Haare.»
Auch der Modestil der Männer hat sich in sein Gegenteil verkehrt. Steve Jobs hat man kaum je anders als in einem Rollkragenpullover gesichtet. Generell waren die Silicon-Valley-Pioniere stolz auf ihren Turnschuh-Look, der sie von den steifen Wall-Street-Bankern unterschieden hat. Heute hingegen ist Hyper-Maskulismus angesagt: viele Muskeln, geöltes, nach hinten gekämmtes Haar, Massanzüge und doppelter Krawattenknoten.
All dies mag lächerlich sein, wäre es nicht auch ein Zeichen für einen äusserst bedenklichen Wandel in der Gesellschaft unserer Zeit. Die Tech-Milliardäre wollen nicht nur protzen, sie drängen immer stärker an die Schalthebel der Macht. Elon Musk hat es zu tollpatschig getan und ist deswegen wohl zu einem längeren Timeout verbrummt worden. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Oligarchen einen Plan verfolgen, den Jonathan Taplin in seinem Buch «The End of Reality» wie folgt zusammenfasst:
Die Gesellschaft verändert sich rasch zugunsten der Tech-Oligarchen. Cullen Murphy spricht im «Atlantic» bereits davon, dass ein neuer Techno-Feudalismus unsere Zukunft sein wird. Er sieht Parallelen zum römischen Reich und hebt zwei entscheidende Merkmale hervor: die auseinanderklaffende Reichtums-Schere und die Privatisierung von Aufgaben des Staates.
Was den ungleichen Reichtum betrifft, ist wohl das Meiste schon gesagt. Daher bloss noch eine Anekdote. In «Mountainhead», einem Film, den der Regisseur Jesse Armstrong für HBO gedreht hat und der von einem Treffen von vier Tech-Bros handelt, wird einer der Teilnehmer verspottet, weil sein Reichtum bloss 500 Millionen Dollar beträgt.
«Mountainhead» ist eine Satire mit einem sehr realen Hintergrund. Den vier Tech-Oligarchen gelingt es, dank künstlicher Intelligenz und gefakten Videos die Macht in verschiedenen Staaten zu übernehmen. Sie tun dies mit einem erschreckenden Zynismus, aber auch mit einer ebenso erschreckenden Dummheit und mit der von der libertären Schriftstellerin Ayn Rand übernommenen Weisheit: «Jede Zivilisation, die überleben will, muss den Altruismus über Bord werfen.»
Was die Privatisierung betrifft: Trotz aller Kritik am Neoliberalismus schreitet sie weiter voran, vor allem in den USA. Hier nur einige der Beispiele, die Murphy in seinem Essay aufzählt:
In einer zunehmend privatisierten Welt werden die gewählten Regierungen instabil. Das ist ganz im Sinne der Tech-Oligarchen. Peter Thiel, einer ihrer Vordenker, bezeichnet die Demokratie bekanntlich als inkompatibel mit der Freiheit und will den Wettbewerb der Unternehmen so weit wie möglich zugunsten von Monopolisten einschränken.
Ja, Bezos' Protz-Heirat ist infantil, das Verhalten der Tech-Oligarchen pubertär. Das bedeutet leider nicht, dass sie nicht dereinst von Erfolg gekrönt werden könnten. Charlie Warzel kommt in einer Besprechung von «Mountainhead» im «Atlantic» zur deprimierenden Schlussfolgerung, was dies bedeuten könnte: Eine Welt, in der nicht gewählte, selbst ernannte Könige herrschen, welche die Welt als ein Gedanken-Experiment oder als multidimensionales Schachspiel betrachten. «Das Problem dabei ist: Wir alle sind bloss die Bauern.»
Und das zweite Problem ist: "Wir haben alle das Gefühl, wir könnten Könige werden."