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Durchbruch in der Forschung: Mäuse leben dank Gentherapie länger

Mäuse-Leben wurden erstmals durch Gentherapie verlängert – was das für Menschen bedeutet

Auch wenn die Menschen immer älter werden, gesünder sind sie deswegen noch lange nicht. Schon lange tüfteln Forschende daher an Lösungen, um Organismen zu verjüngen. Zwei Studien mit Mäusen erbrachten nun erstaunliche Resultate.
17.01.2023, 14:0818.01.2023, 16:25
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Die Weltbevölkerung wird älter. Das Durchschnittsalter zwischen 1900 und 2020 hat sich verdoppelt, was zu einer zunehmenden gesellschaftlichen Belastung führt. Grund dafür ist die Tatsache, dass das Altern der grösste Risikofaktor für die meisten menschlichen Krankheiten ist. Aus diesem Grund sei es zwingend erforderlich, den Alterungsprozess zu verzögern oder gar umzukehren, finden Forschende.

Zwar sei die Langlebigkeit der Menschen in den letzten Jahrzehnten erhöht worden, dies gehe aber nicht mit einer besseren Lebensqualität einher. Der Mensch lebt zwar länger, leidet dadurch aber noch immer an altersbedingten Krankheiten – und dies dann noch während einer längeren Zeitspanne.

Ein Problem, dass die Forschung seit einiger Zeit beschäftigt. Ihr Ziel ist es deshalb, den Alterungsprozess des Menschen auf Zellebene zu verlangsamen. So lebt er länger und kann gleichzeitig altersbedingte Krankheiten hinauszögern.

Zwei unabhängige Forschungsteams behaupten, dass ihnen eine solche Verjüngung von Zellen gelungen sei. Zumindest bei Mäusen.

Die Ausgangslage

Um die Forschungsergebnisse verständlich zu machen, ist ein kurzer Exkurs in die Vergangenheit nötig. Die Grundlage für die Forschungsergebnisse hat der japanische Biologe und Stammzellenforscher Shinya Yamanaka nämlich bereits vor 10 Jahren geschaffen. Damals hat er einen Gen-Cocktail entdeckt, welcher adulte Zellen in vielseitige Stammzellen umprogrammieren kann. Hä, was?

Bei adulten Stammzellen handelt es sich um bereits spezialisierte Stammzellen, die im Menschen nach der Geburt vorhanden sind. Diese Zellen können nur bestimmte Zelltypen des menschlichen Körpers bilden. Eine Hautstammzelle kann demnach nur verschiedene Zelltypen der Haut, nicht aber Blut- oder Nervenzellen produzieren.

Im Gegensatz zu den adulten Stammzellen sind die embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) vielseitiger. Diese treten ausschliesslich in einer sehr frühen Phase der Embryonalentwicklung auf – der sogenannten Blastozyste. Bei dieser handelt es sich um ein Entwicklungsstadium des menschlichen Embryos am 5. Tag nach der Befruchtung. Zu diesem Zeitpunkt besteht der Embryo noch lediglich aus einem Zellhaufen.

Die embryonalen Stammzellen existieren nur in einem kurzen Zeitfenster am 5. Tag nach der Befruchtung. Danach spezialisieren sie sich zu adulten Stammzellen.
Die embryonalen Stammzellen existieren nur in einem kurzen Zeitfenster am 5. Tag nach der Befruchtung. Danach spezialisieren sie sich zu adulten Stammzellen.Bild: Shutterstock

Diese Zellen sind pluripotent. Dies bedeutet, sie haben die Eigenschaft, sich zu jedem beliebigen Zelltyp des menschlichen Körpers zu entwickeln.

Die embryonalen Stammzellen entwickeln sich in kürzester Zeit zu spezialisierten adulten Stammzellen. Ein Prozess, der eigentlich nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.
Die embryonalen Stammzellen entwickeln sich in kürzester Zeit zu spezialisierten adulten Stammzellen. Ein Prozess, der eigentlich nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Bild: Shutterstock

Shinya Yamanaka gelang es 2006, adulte Stammzellen bei Mäusen in ihren embryonalen Zustand umzuprogrammieren. Dazu führte er den Stammzellen einen Gen-Cocktail aus vier verschiedenen Genen – fortan die 4 Yamanaka-Faktoren genannt – zu. Diese liessen die schlummernde pluripotente Eigenschaft der Stammzellen wieder erwachen. Sprich: Die Stammzellen befinden sich wieder in ihrem ursprünglichen embryonalen Zustand und können sich zu jedem Zelltyp weiterentwickeln.

shinya yamanaka
Shinya Yamanaka leistete mit seiner Entdeckung einen grossen Beitrag zur Stammzellenforschung.Bild: pd

Dasselbe Experiment gelang 2007 auch bei menschlichen Zellen. Die damit hergestellten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) stellten für die Forschung einen riesigen Durchbruch dar.

Für diese Entdeckung der umprogrammierbaren Stammzellen erhielt Yamanaka 2012 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.

Theorie des Alterns

Und was hat das jetzt mit dem Altern zu tun? Und überhaupt: Warum altern wir eigentlich? Klar, weil die Muskeln und die Knochen schwächer werden und die Organe nicht mehr so geschmeidig wie früher arbeiten. Stimmt. Bei diesen Faktoren handelt es sich allerdings um Alterungsprozesse. Sie beantworten jedoch nicht die Frage nach dem «Warum».

Diese Frage ist weitaus weniger gut erforscht als das «Wie». Denn evolutionstechnisch macht es eigentlich keinen Sinn, dass sich schädliche Prozesse durchsetzen. Das Altern entwickelt sich also nicht, weil es nützlich wäre. Dr. Sebastian Grönke vom Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln erklärt in einem Interview:

«Es ist nicht so, dass das Altern ein programmierter Prozess ist. Vielmehr ist das Altern ein Nebeneffekt von Vorgängen, die sich in unserem Körper abspielen.»

Eine der Theorien eines solchen Nebeneffekts ist die Schadenstheorie. Sie besagt, dass der Körper aufgrund aller angesammelter Schäden im Körper altert. So sind unsere Genome, welche unsere DNA enthalten, ständig schädlichen Einflüssen (wie beispielsweise UV-Strahlung) ausgesetzt. Zwar verfügen unsere Zellen über die Fähigkeiten, Schäden am Erbgut zu reparieren, gelingen tut dies allerdings nicht immer. So kommt es, dass sich DNA-Schäden als Mutationen in unseren Genomen verankern. Diese sammeln sich über die Jahre hinweg an, beschleunigen den Alterungsprozess und tragen zum Entstehen von Krankheiten wie beispielsweise Krebs bei.

Studie 1: Mäuse altern lassen und wieder verjüngen

Die am letzten Donnerstag publizierte Studie stellt diese wissenschaftliche Annahme infrage. So glaubt Genetiker David Sinclair von der Harvard Mecial School nicht, dass es direkt der Schaden ist, der uns alt werden lässt. An einer Gesundheitsveranstaltung von CNN erklärte er bereits im vergangenen Jahr:

«Wir glauben, dass es sich um einen Informationsverlust handelt – einen Verlust der Fähigkeit der Zelle, ihre ursprüngliche DNA zu lesen, sodass sie vergisst, wie sie funktionieren soll – ähnlich wie ein alter Computer eine fehlerhafte Software entwickeln kann. Ich nenne das die Informationstheorie des Alterns.»

Während die DNA in seinem Vergleich die Hardware darstellt, kommt das Epigenom der Software gleich. Das Epigenom befindet sich auf dem Genom und setzt sich aus sogenannten epigenetischen Faktoren zusammen. Diese warten laut dem «National Human Genome Research Institute» darauf, dem Genom mitzuteilen, «was es tun soll und wo und wann es dies tun soll». Das Epigenom kann die Gene wie einen Computer ein- und ausschalten. So sind immer nur diejenigen Gene mit den Informationen aktiv, die für die jeweilige Zelle benötigt werden.

Wenn die DNA beschädigt wird, was jeden Tag Millionen Mal passiert, sind es die epigenetischen Faktoren, welche die Reparatur koordinieren. Sie pausieren dann ihren normalen Job der Regulation der Gene und bewegen sich zum DNA-Schaden. Danach kehren sie an ihren ursprünglichen Standort zurück. Hier liegt laut Sinclair der springende Punkt. Er hat entdeckt, dass die epigenetischen Faktoren mit der Zeit nämlich nicht mehr zurückkehren und ihre ursprünglichen Informationen verlieren – es kommt zu epigenetischen Fehlfunktionen. Ohne die Befehle der epigenetischen Faktoren verlieren Zellen (wie beispielsweise Muskel- oder Hautzellen) ihre Identität, ihre Funktion wird gestört. So kommt es schliesslich zu Alterserscheinungen und zu Erkrankungen wie beispielsweise Krebs.

Um seine Informationstheorie des Alterns zu testen, zerschnitt sein Team die DNA eines Maus-Genoms an 20 Stellen. Sie kreierten also DNA-Schäden, welche die Maus erst mit fortlaufender Zeit erlitten hätte. Sinclair beobachtete dann, dass die Schäden zwar repariert wurden, die epigenetischen Faktoren aber erheblich darunter gelitten hatten. Als Konsequenz glichen diese denen viel älterer Tiere. Und tatsächlich: Innerhalb von Wochen verloren die Tiere Haare und Pigmente und wurden gebrechlicher. Dies, obwohl ihre DNA gar nicht mehr beschädigt war.

Mäuse
Diese beiden Mäuse stammen aus demselben Wurf und sind beide 16 Monate alt. Die DNA der Maus auf der rechten Seite wurde im Alter von 5 Monaten mit Absicht beschädigt, so wie dies mit fortschreitendem Alter geschehen wäre. Bild: D. Sinclair/HMS

Nun wollte Sinclair den ganzen Prozess umkehren und die beschädigten Zellen dieser älter wirkenden Mäuse wieder funktionstüchtig machen. Dazu griff er auf die zu Beginn erwähnten Yamanaka-Faktoren zurück und injizierte damit verschiedene Zellen, um sie in einen verjüngten Zustand zurückzuversetzen. Anschliessende Analysen der Muskeln, Nieren und Netzhäute der Mäuse ergaben vielversprechende Resultate: Der Gen-Cocktail konnte einige der durch die DNA-Brüche ausgelösten epigenetischen Veränderungen rückgängig machen.

Was Sinclair überraschte: Die behandelten Zellen wurden nur auf etwa 50 bis 75 Prozent ihres ursprünglichen Alters reduziert. Sie gingen also nicht komplett in ihren embryonalen Zustand zurück wie in Yamanakas ursprünglichem Experiment. Wieso, verstünde er noch nicht, so Sinclair. Aber: Wäre die Zelle zum embryonalen Zustand zurückgekehrt, hätte sie ihre ganze Identität verloren. Eine alternde Muskelzelle wüsste also gar nicht mehr, dass sie einmal eine Muskelzelle gewesen war. Dieser Defekt in der Erbfunktion würde laut Sinclair zu Krebs führen. Die Zellen schienen die Verjüngung zu Sinclairs Überraschung aber genau im richtigen Moment gestoppt zu haben.

Sinclair sieht in dieser Behandlung deshalb grosses Potenzial. Sein Team suche nun einen Weg, diese Verjüngung gleichmässig in jeder Zelle herbeizuführen, um somit die ganze Maus auf einmal zu verjüngen. Im Rahmen einer anderen Studie scheint dies gelungen zu sein.

Studie 2: Lebensspanne von Mäusen verlängern

Die zweite Studie machte sich ebenfalls die Yamanaka-Faktoren zunutze. Sie wurde am 5. Januar als Preprint auf der Website BioTxiv veröffentlicht und noch nicht von Fachleuten geprüft. Die Behauptung des im US-Bundesstaat San Diego ansässigen Unternehmens Rejuvenate Bio ist steil: Die Forschenden können das Leben von Nagetieren verlängern. Wie das?

Im Rahmen ihrer Studie injizierten die Forschenden sehr alten Mäusen (124 Wochen) drei von vier Yamanaka-Faktoren und beobachteten dann, wie lange sie noch lebten. Im Gegensatz zu Sinclair wurden die Mäuse zuvor nicht künstlich gealtert. Bis zur Injektion des Gen-Cocktails handelte es sich also um gesunde, natürlich gealterte Mäuse.

Das Resultat: Die behandelten Mäuse lebten im Schnitt noch 18 weitere Wochen, während die unbehandelten Mäuse der Kontrollgruppe erwartungsgemäss nach 9 Wochen starben. Ähnlich wie Sinclar konnten die Forschenden im Rahmen der Gentherapie eine Verjüngung der Epigene feststellen. Die Mäuse lebten also nicht nur länger, sie waren auch länger gesünder.

Die Lebensverlängerung sei zwar nur bescheiden, sagt Noah Davidsohn, Wissenschaftschef von Rejuvenate Bio, aber dennoch wegweisend:

«Dies ist eine leistungsstarke Technologie, und hier ist der Beweis für das Konzept. Ich wollte zeigen, dass wir diese Technologie auch bei älteren Menschen einsetzen können.»

Doch wann wird es so weit sein?

Was hat der Mensch davon?

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die nicht mit den Studien in Verbindung stehen, bezeichnen diese als Meilensteine. Sie warnen aber auch davor, dass eine Ganzkörper-Verjüngung durch Gentherapie ein nach wie vor schlecht verstandenes Konzept sei und viele Risiken berge. Eines davon sei das Auslösen von Krebs.

So wird etwa Professor Vittorio Sebastiano von der Stanford University in einem Beitrag des MIT Technology Review zitiert:

«Es ist eine schöne intellektuelle Übung, aber ich würde davor zurückschrecken, auch nur im Entferntesten etwas Vergleichbares an einem Menschen durchzuführen.»

Sebastiano, Experte für Stammzellen-Biologie, kritisiert zudem, dass Rejuvenate Bio nicht dokumentiert habe, welche und wie viele Zellen während der Genbehandlung verändert wurden. Das verlängerte Leben könnte demnach auf die Veränderungen in einem einzelnen Organ zurückzuführen sein und nicht auf einen allgemeinen Maus-Verjüngungs-Effekt.

Tatsächlich liegt der Fokus bei der Verjüngungsforschung in vielen Studien auf einzelnen Organen. So testet Sinclair derzeit Yamanaka-Faktoren an erblindeten Affen-Augen. Bei Mäusen hatte man damit bereits Erfolg: Die betroffenen Gene im Auge, die nicht mehr funktioniert hatten, wurden wieder «eingeschaltet», die Maus konnte wieder sehen. Professor Sebastiano arbeitet derweil an Verjüngungsspritzen, welche Falten bekämpfen oder erneutes Haarwachstum anregen sollen.

Rejuvenate Bio forscht unter anderem an einem Gentherapie-Medikament, welches Herzversagen behandeln soll.

Wissenschafts-Chef Davidsohn glaubt aber fest daran, dass es schliesslich möglich sein werde, Menschen ganzheitlich zu verjüngen. Mit Überzeugung sagt er:

«Ich würde nicht daran arbeiten, wenn ich nicht daran glauben würde.»
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115 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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dmark
17.01.2023 15:38registriert Juli 2016
Stell dir vor du hättest endlich das Rentenalter erreicht und dein Arzt macht dich wieder 20 Jahre jünger...
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P. Etter
17.01.2023 16:13registriert Dezember 2021
Um Richmond Valentine zu zitieren: Die Erde ist ein Organismus und der Mensch der Parasit dazu, welcher sich unkontrolliert ausbreitet. Die Erde kriegt Fieber entweder bis es ihr besser geht oder sie stirbt. Das Fazit ist das selbe: Der Parasit stirbt. - Wieso also den Parasiten noch mehr unterstützen? Man soll die Zeit auf Erden nicht verschwenden sie zu verlängern, sondern sie nützen zu leben.
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mrmikech
17.01.2023 17:17registriert Juni 2016
Viele haben die orginale Forschungsresultate nicht gelesen. Was gefunden wurde, ist dass unser Körper, und dem Körper von alle Lebewesen, eine perfekte Kopie speichert, von alles was wir sind, bevor wir ältern. Die Forschung hat ein Weg gefunden diese Kopie zu reaktivieren. Und das kann man beliebig oft machen.

Alle die sagen, wir sollen kein Gott spielen: vielleicht hat Gott diese kopie extra eingebaut? Wofür soll diese Kopie sonst da sein?

PS Ich glaube nicht an Gott. Die Kopie gibt es aber.
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