Es war neben Schweiz–Serbien die politisch brisanteste Partie der Woche: Iran–USA. Der Iran verlor und schied von der Fussball-WM in Katar aus. Viele hätten den Fussballern aus dem Land, in dem täglich Tausende in Protesten gegen das totalitäre Regime ihr Leben riskieren, ein Weiterkommen gegönnt. Zumal es zuerst danach aussah, als ob die Mannschaft jenen Teil der iranischen Bevölkerung repräsentiert, der unter dem Regime leidet und dagegen aufbegehrt.
Die Bilder der iranischen Spieler, die vor ihrem Eröffnungsspiel das Singen der Nationalhymne verweigerten, gingen um die Welt. Ebenso die Bilder jener Frauen und Männer im Stadion, die Protestplakate hochhielten und vor Rührung weinten. Das iranische Staatsfernsehen jedenfalls unterbrach die Übertragung, wollte die Bevölkerung von diesen Bildern abschirmen. Später kam heraus, auf die Familien der Spieler soll massiver Druck ausgeübt worden sein. Bei den restlichen zwei Spielen Irans jedenfalls sangen die Spieler wieder mit.
Im Publikum zogen auch andere iranische Frauen die Aufmerksamkeit der Fifa-Fernsehregisseure auf sich. Deren Kameras präsentierten auffallend oft auch iranische Frauen in körperbetonter Kleidung, geschminkt und ohne Kopftuch. Die naive Lesart des westlichen Fernsehpublikums: Das müssen nun die hübschen Iranerinnen sein, die sich im Ausland unter dem Tschador hervorwagen und ihre Freiheit geniessen, für die ihre Schwestern in der Heimat ihr Leben riskieren. Das einzige Detail, das stutzig machen sollte: Diese Frauen trugen keine Zeichen des Protests mit sich.
Wer also sind die Frauen? Auf Twitter greift die Exil-Iranerin Shoura Hashemi das Thema auf. Sie nennt sie Influencerinnen des iranischen Regimes:
Dazu stellte Hashemi, die in Österreich für das Aussenministerium arbeitet, Aufnahmen solcher Frauen:
Bauchfrei im Ausland, im Tschador in der Heimat: Laut Shoura Hashemi würden Frauen wie diese im Iran nicht zum Kreis der Protestierenden gehören, sondern seien nichts weiter als Unterstützerinnen des Regimes, deren «hübsches Gesicht» der Welt gerne gezeigt werde. Sie würden in den Kreisen der Revolutionsgarde, also den hochgerüsteten und obersten Verteidigern des Regimes, gewisse Privilegien geniessen und bei «Verfehlungen» nicht belangt werden. «Religion ist all diesen Leuten egal, es geht ums Geld», schreibt Hashemi.
Shoura Hashemi erinnert daran, dass auch Frauen unter den Täterinnen im «islamischen Terrorstaat» seien. Einige dieser Adlaten des Regimes wurden von den Kameras an dieser Fussballweltmeisterschaft nun eingefangen.
Wurden wir im Westen also getäuscht? Die Beobachtung Hashemis entspricht jedenfalls den Fakten: Sicherheitsbehörden Katars verbannten iranische Demonstranten aus den Stadien; kritische Iraner wurden in Katar drangsaliert; Protestierende im Iran bedauerten das Ausscheiden des iranischen Teams nicht etwa, sie feierten es regelrecht.
Worin aber liegt das Motiv? Warum schickt der Iran regimetreue Fans nach Katar, die dort einen weltoffenen Iran vorgaukeln, in dem Frauen sich auch körperbetont kleiden können?
Offenbar sah sich das Regime nach dem ersten Spiel der Iraner zum Handeln veranlasst. Bereits am zweiten Spiel soll im Stadion eine komplett andere, den Regimekritikern aggressive Stimmung entgegengeschlagen haben. So schilderte es etwa diese Frau gegenüber der britischen BBC.
Wie in Katar oppositionelle Stimmen aus dem Iran unterdrückt werden, zeigt etwa auch die eindrückliche Aufnahme dieses dänischen Journalisten:
Das Regime in Teheran setzt also alles daran, die Deutungshoheit zu halten. Das politisch verbündete Katar und die Unterstützerinnen und Unterstützer des Teheraner Machtapparats helfen dabei, ein falsches Bild ihres Lands zu konstruieren. Shoura Hashemi sagt: «Das Regime spielt natürlich auch mit der Tatsache, dass für viele Europäer all diese Dinge völlig absurd und unglaublich klingen.» Mit anderen Worten: Um den Schein zu wahren, dürfen sich iranische Frauen im Ausland für Propagandazwecke zeigen, wie sie wollen. Den Frauen im Iran bleibt das verwehrt. Das westliche Publikum soll getäuscht und verwirrt werden.