US-Demokraten: Wie weit trägt die Hoffnung?
Die Schlange windet sich um den ganzen Block, vorbei an Roots Hair & Design, Darling x Dashing Boutique, vorbei am kolumbianischen Imbiss The Parche. Das Interesse ist gross – und das, obwohl es ein normaler Wochentag ist. Schon drei Stunden vor dem Event mit der demokratischen Gouverneurskandidatin in Virginia, Abigail Spanberger, und dem ehemaligen Verkehrsminister Pete Buttigieg haben sich die ersten Besucher vor dem Jefferson Theater in Charlottesville positioniert. Julie Ridland wird es gerade noch schaffen, hineinzukommen: Kurz vor Beginn der Veranstaltung steht sie mit ihren Freundinnen vor dem Vietnamesen Vu Noodles und kann damit gleich durch die Metalldetektoren laufen, die inzwischen bei fast allen Wahlkampfveranstaltungen aufgebaut werden.
Auf die Frage, was sie sich von diesem Abend verspricht, antwortet Ridland ohne zu zögern: Hoffnung. Hoffnung auf change, einen Wandel der Gemütslage. «Weg von der ganzen Negativität, zurück zu einem Vertrauen in Werte.» Das wünscht sich die blonde Mittfünfzigerin nicht nur in ihrem Bundesstaat Virginia, sondern im ganzen Land. Sie hoffe, dass das Gefühl der No-Kings-Demonstrationen anhält: dass man nicht allein sei, sondern Teil einer wachsenden Gemeinschaft. Am vergangenen Wochenende demonstrierten in den USA rund sieben Millionen Menschen gegen die Politik von Donald Trump und seiner Regierung.
Ähnlich klingt es bei Denise Way, 59, die ein paar Meter hinter Julie Ridland steht und es nicht mehr ins Theater schaffen wird. Sie muss sich wie Dutzende andere mit einem overflow room begnügen, in dem die Reden live übertragen werden. «Positive Einstellungen nehmen zu», sagt Way, die in Charlottesville als Allgemeinärztin arbeitet. «Die Menschen sind es leid, dass die Minderheit das Sagen hat. Die Mehrheit will sich umeinander kümmern. Und Abigail Spanberger bestärkt das.» Sie werde sich um wichtige Themen wie die Gesundheitsfürsorge und die Förderung der Wissenschaft kümmern, ist Way überzeugt, etwa um die Krebsforschung, die unter der jetzigen Regierung leide. Spanberger sei die Politikerin, die Virginia jetzt brauche.
Aufstehen gegen die Machtlosigkeit
Weg vom Negativen. Zurück zu einer werteorientierten Politik. Losungen wie diese ziehen sich durch Abigail Spanbergers Wahlkampf, mit dem sie am Dienstag in einer Woche gegen ihre republikanische Mitbewerberin Winsome Earle-Sears gewinnen will. Umfragen zufolge stehen ihre Chancen gut: Einer aktuellen Erhebung der Virginia Commonwealth University nach würden derzeit 49 Prozent der Wählerinnen und Wähler für Spanbergers stimmen, 42 Prozent für Earle-Sears. Auch für den Endspurt ist Spanberger besser aufgestellt: Sie hat deutlich mehr Spenden eingetrieben als ihre Konkurrentin und eine geschlossene Partei hinter sich. Earle-Sears dagegen wartet immer noch auf ein endorsement von Präsident Trump.
Die Wähler in Virginia sind zudem dafür bekannt, dass sie sich bei ihrer «off year»-Gouverneurswahl, also einer Abstimmung, die in einem Jahr ohne Präsidentschafts- und Kongresswahl stattfindet, gegen die vorherrschende politische Strömung wenden. Seit den 1970er-Jahren stimmten sie nur ein einziges Mal für einen Gouverneur aus derselben Partei wie die des Präsidenten. Aber was ist schon normal in Zeiten von Trump? Trotzdem gilt der Ausgang der Wahlen im Commonwealth of Virginia und in New Jersey, wo ebenfalls am 4. November ein neuer Gouverneur gewählt wird, als erster grosser Stimmungstest in Trumps zweiter Amtszeit.
Weder Abigail Spanberger noch Pete Buttigieg, der vor ihr die mehr als 1'000 Anwesenden einheizt, erwähnen an diesem Abend den Namen des amtierenden Präsidenten. Buttigieg, der sich 2020 selbst um die Präsidentschaftskandidatur seiner Partei beworben hatte, zählt die Auswirkungen der Regierungspolitik der vergangenen neun Monate auf. Der Commonwealth, in dem mehr als 150'000 Bundesbeamte und viele Auftragnehmer der Regierung leben, wurde erst durch die Sparpolitik von Donald Trump und Elon Musk hart getroffen. Dann folgte der Shutdown, der nun seit fast vier Wochen andauert und dessen Ende nicht in Sicht ist.
Buttigieg spricht das Gefühl der Machtlosigkeit an, das viele angesichts der Zentralisierung der Entscheidungen in Washington, D. C. umtreibe. Genau das wolle die Regierung erreichen: «Dass wir uns fühlen, als stünden wir vor einer Dampfwalze und könnten nichts dagegen tun, könnten nichts anderes tun, als zu akzeptieren, dass Bundesbeamte Menschen wegen eines von ihnen verfassten Kommentars in Transporter stopfen oder dass Truppen durch die Strassen amerikanischer Gemeinden marschieren. Aber in Wirklichkeit sind wir nicht machtlos.» Und das werde man beweisen. Darum seien Millionen von Amerikanern vor wenigen Tagen an mehr als 2'000 Orten aufgestanden. Und darum würden die Einwohner Virginias am 4. November diejenigen Anführer wählen, die sie verdienten. Mit der Wahl von Abigail Sparnberger würden sie eine starke Botschaft senden, die im ganzen Land gehört werde.
Schon einmal hat Spanberger wider Erwarten gesiegt
Als Spanberger dann auf die Bühne kommt, ist die Stimmung im voll besetzten Theater so fröhlich-selbstbewusst, wie es sich für den Auftritt einer Favoritin gehört. Die 46-Jährige ist eine ordentliche, anders als Buttigieg aber keine brillante Rednerin. Dennoch erreicht die ehemalige CIA-Mitarbeiterin und frühere Kongressabgeordnete die Menschen. Schon 2018 bewies sie diese Fähigkeit, als sie im lange konservativen Virginia einen Überraschungserfolg erzielte und das Rennen um den Einzug ins US-Repräsentantenhaus für sich entschied. Im Kongress galt sie als entschiedene Kämpferin für überparteiliche Zusammenarbeit.
An diesem Abend spricht sie über Themen, die die Wähler in ihrem Bundesstaat Umfragen zufolge am meisten umtreiben: die hohen Lebenshaltungskosten, aber auch die Gesundheits- und Bildungspolitik. Und einmal mehr die Abtreibungsfrage. Bread-and-butter-Themen, die die meisten Menschen betreffen. Mit dieser Ausrichtung, so sagen Parteienforscher, könnten die Demokraten wieder mehrheitsfähig werden. Vor allem in Bundesstaaten wie diesem, die nicht eindeutig einer Partei zuzuordnen sind.
«Hier in Virginia wissen wir, was bei dieser Wahl auf dem Spiel steht. Und tatsächlich kennen wir alle Herausforderungen, die aus Washington durch schlechte Politik auf uns zukommen. Aber was wir im November tun werden, ist nicht nur gegen etwas zu stimmen, sondern für die Politik, an die wir glauben», sagt Spanberger unter Applaus.
Ist ihr Weg, über trockene Sachthemen für sich zu werben und nicht vor allem durch die Warnung vor dem Diktator Trump, der richtige, um die von den Demokraten ersehnte Kehrtwende einzuleiten? Anders gefragt: Welche Aussagekraft wird die Wahl in Virginia für die Midterms, die Kongresszwischenwahlen, im kommenden Jahr haben?
Unterstützung durch Trump kann hier fehlschlagen
Die Demokraten befinden sich in einer schwierigen Ausgangslage. Umfragen zufolge werden sie von gerade mal einem Drittel der US-Amerikaner positiv gesehen – trotz ebenfalls hoher Unzufriedenheit mit Trump. Gleichzeitig wirkt die Partei gespalten in der Frage, wie sie ohne Mehrheit im Kongress eine wirksame Opposition gegen Trump aufbauen kann: eher mit lösungsorientiertem Vorgehen à la Spanberger oder mit Fundamentalopposition?
Eindeutige Antworten kann auch der renommierte Meinungsforscher Larry Sabato nicht geben. Aber Sabato, der das Zentrum für Politik an der University of Virginia in Charlottesville leitet, zeigt zumindest die Gefechtslage auf. Das Büro des 73-Jährigen im Pavillon IV der von Thomas Jefferson konzipierten Universität ist dekoriert mit Plakaten und Erinnerungen an legendäre Wahlkampagnen, darunter die von Joe F. Kennedy oder Richard Nixon. Für das Interview empfiehlt er das graue Sofa – seine Studenten liebten es, sagt er. Er selbst nimmt auf einem Plastikstuhl Platz.
Spanbergers grosser Vorteil sei Trump, sagt Sabato. «Trump ist in Virginia sehr unpopulär, seine Unterstützung schadet republikanischen Kandidaten hier eher.» Der Bundesstaat habe sich in den vergangenen Jahren stark verändert, aber er schätze nach wie vor Höflichkeit und zumindest ein gewisses Mass an Anstand. «Trump ist das genaue Gegenteil davon. Alles, was er tut, macht die Menschen krank.» Auch die republikanische Kandidatin Earle-Sears stehe viel zu weit rechts, etwa in der Abtreibungsfrage. Spanberger dagegen positioniere sich als moderate, überparteiliche Kandidatin. «Ihre Haltung passt zum politischen Profil Virginias.»
Gleichzeitig warnt Sabato davor, aus den anstehenden Gouverneurswahlen zu viel über die nationalen Trends abzuleiten. Weder New Jersey noch Virginia seien repräsentativ für das gesamte Land – und die Midterms seien ja erst in einem Jahr. «Wie kann man überhaupt irgendetwas mit Sicherheit sagen, wenn mit Trump eine Million Dinge an einem Tag passieren?» Aber Medien und Parteien würden die Ergebnisse als Referendum über die Beliebtheit des Präsidenten deuten. Genauso wie als Beleg für die These, dass die Demokraten besser daran täten, möglichst viele moderate Politiker aufzustellen. Dagegen spreche, dass bei der Bürgermeisterwahl in New York mit Zohran Mamdani ein linker Kandidat die besten Chancen habe. «New York ist immer ein Sonderfall. Aber Demokraten gewinnen mit Kandidaten, die zur politischen Kultur ihres Bundesstaates passen.»
Schon jetzt steht fest, dass zumindest in Virginia neue Zeiten anbrechen: Noch ist der Commonwealth einer von 18 Bundesstaaten, die noch nie eine Frau zur Gouverneurin gewählt haben. Das ist bald Geschichte – egal, welche der beiden Frauen am 4. November gewinnt. Die Tatsache, dass beide Kandidatinnen Frauen seien, helfe indes Spanberger, ist Sabato überzeugt: Damit sei das Thema «erste Gouverneurin» nicht mehr polarisierend. «Hätten die Republikaner in Virginia einen Mann aufgestellt, hätte Spanberger möglicherweise verloren.»
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.

