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Kanzler Kurz sieht keinen Grund zum Rücktritt

epa09511179 Austrian Chancellor Sebastian Kurz (L) crosses the Ballhausplatz square on his way to a meeting with Austrian President Alexander Van der Bellen at the Presidential Office, part of the Hof ...
Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz ist unter Druck. (Archivbild)Bild: keystone

Kanzler Kurz sieht keinen Grund zum Rücktritt – SPÖ setzt auf Sturz von Kurz durch ÖVP

09.10.2021, 06:44
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Unbeeindruckt von Korruptionsvorwürfen und Rücktrittsforderungen hält Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an seinem Amt fest. Er und seine Partei seien «handlungsfähig und vor allem auch handlungswillig», sagte Kurz am Freitagabend in einem kurzfristig angekündigten Statement im Kanzleramt. Zuvor hatte Bundespräsident Alexander Van der Bellen alle politischen Akteure aufgefordert, jetzt an das Wohl des Landes und nicht an eigene Interessen zu denken. «Österreich kann sich jetzt keine Egoismen leisten», sagte das Staatsoberhaupt in einer kurzen Rede an die Nation.

SPÖ setzt auf Sturz von Kurz durch ÖVP
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sollte sich nach Einschätzung der oppositionellen SPÖ nicht auf die bisherigen Solidaritätsbekundungen seiner Partei verlassen. Eine Partei wie die konservative ÖVP, die seit Jahrzehnten an der Macht sei, sei bereit, Kurz noch vor dem für Dienstag im Parlament geplanten Misstrauensvotum zu opfern, sagte die SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner am Freitagabend in der ORF-Nachrichtensendung «ZiB2». «Das ist aus meiner Sicht das wahrscheinlichste Szenario». Ein Ausscheiden von Kurz gilt als Voraussetzung für den Fortbestand der aktuellen Koalition von ÖVP und Grünen.

Gegen Kurz und enge Mitglieder seines Teams ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und der Untreue. Der Vorgang hatte eine Regierungskrise ausgelöst. Die Grünen als Koalitionspartner halten den Regierungschef inzwischen für nicht mehr amtsfähig und haben Sondierungen mit anderen Parteien gestartet.

Die Grünen hatten am Freitag klargestellt, dass eine Fortsetzung ihrer Koalition mit der konservativen ÖVP angesichts der schweren Korruptionsvorwürfe gegen Kurz nur mit einem «untadeligen» neuen ÖVP-Kanzler möglich sei. Es werde immer deutlicher, «dass es im Machtzentrum der ÖVP ein erschütterndes, ein erschreckendes, ja eigentlich ein schauerliches Sittenbild gibt», sagte Grünen-Parteichef und Vizekanzler Werner Kogler am Freitagabend. Zuvor hatte er Gespräche mit Oppositionsparteien zu einer möglichen parlamentarischen Mehrheit ohne die ÖVP geführt. Dabei zeichnete sich jedoch keine Einigung ab.

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Vizekanzler Werner Kogler.Bild: keystone

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Kurz und einige seiner engsten Vertrauten wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und Untreue. Das Team soll den Aufstieg von Kurz an die Spitze von Partei und Staat seit 2016 durch geschönte Umfragen und gekaufte Medienberichte abgesichert haben. Dafür seien Steuermittel geflossen. Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe, die am Mittwoch nach einer Razzia im Bundeskanzleramt bekanntgeworden waren.

Die Verdachtsmomente stützen sich auf Chatnachrichten aus dem Machtzirkel um Kurz. Am Freitag veröffentlichten Medien weitere Nachrichten, in denen Kurz anscheinend auch aktiv gegen den früheren ÖVP-Chef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner intrigierte.

Am kommenden Dienstag will die Opposition bei einer Sondersitzung des Parlaments einen Misstrauensantrag gegen Kurz einbringen. Aufgrund der bisherigen Äusserungen gilt es als wahrscheinlich, dass die Grünen dem Sturz von Kurz zustimmen, falls er nicht doch noch zuvor zurücktritt. Kurz wurde schon einmal per Misstrauensvotum aus dem Amt gedrängt: Im Mai 2019 stimmte eine Mehrheit im Parlament gegen den ÖVP-Chef und seine gesamte Regierung. Damals folgten Neuwahlen, die Kurz und seine Partei deutlich gewannen.

Am Freitag führten die Grünen Gespräche mit allen Parlamentsparteien, um künftige Kooperationsmöglichkeiten auszuloten. Für eine mögliche Mehrparteienregierung ohne ÖVP bräuchten die Grünen allerdings nicht nur die Stimmen der sozialdemokratischen SPÖ und der liberalen Neos, sondern auch jene der FPÖ. Die Rechten vertreten jedoch völlig andere Positionen in Sachen Umwelt, Migration und Pandemiebekämpfung als die drei anderen Parteien.

Herbert Kickl, der Chef der FPÖ, signalisierte, dass er in diesem Fall auch Ministerposten für seine Partei einfordern würde. «Ich will Gespräche auf Augenhöhe haben und nicht eine Vorgangsweise, bei der sich mehrere Parteien etwas ausmauscheln und dann kommt man zu den Freiheitlichen und sagt, wir sollen das Ganze unterstützen», sagte er bei einer Pressekonferenz. Während Grüne, SPÖ und Neos derzeit keine Neuwahlen gegen den bislang populären Kurz anstreben, schloss Kickl einen Urnengang als Option nicht aus. (sda/dpa)

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40 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Nasse Robbe
08.10.2021 21:28registriert September 2021
Wann haben korrupte - 'hochrangige' Politiker:innen je von sich aus einen Grund gesehen, zurückzutreten? Genau, noch nie.

Sie müssen immer mind. zurück getreten werden...
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phreko
08.10.2021 20:27registriert Februar 2014
Ja, handlungswillig war er immer! Selbst wird er sich nie stoppen!
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paddyh
08.10.2021 21:29registriert Januar 2016
Tja, wer Ideologien wählt, die nur auf Profitmaximierung aus sind, kriegt halt Profitmaximierung. Der gute Kurz macht ja nur, was er predigt, nämlich sich auf Kosten anderer zu bereichern. Ist ja bei unseren Turbokapitalisten nicht anders, die sind halt etwas schlauer sich nicht erwischen zu lassen.
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