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Gute Sache? Warum solche Solidaritäts-Aktionen in Köln eine Katastrophe sind

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Gute Sache? Warum solche Solidaritäts-Aktionen in Köln eine Katastrophe sind

13.01.2016, 19:2114.01.2016, 07:02
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Asylbewerber in Köln solidarisieren sich mit den Opfern der Übergriffe der Silvesternacht und entschuldigen sich für ihre Landsleute/Glaubensgenossen. Gute Sache, oder?

Ägyptische und marokkanische Asylbewerber vor dem Kölner Dom entschuldigen sich für die Übergriffe in der Silvesternacht (12.01.2016).
Ägyptische und marokkanische Asylbewerber vor dem Kölner Dom entschuldigen sich für die Übergriffe in der Silvesternacht (12.01.2016).
Bild: EPA/DPA
Ein libanesischer und ein marokkansicher Asylbewerber vor dem Kölner Dom entschuldigen sich für die Übergriffe in der Silvesternacht (12.01.2016).
Ein libanesischer und ein marokkansicher Asylbewerber vor dem Kölner Dom entschuldigen sich für die Übergriffe in der Silvesternacht (12.01.2016).
Bild: AP/KEYSTONE

Wie kommen Menschen dazu, sich für ein Verbrechen zu entschuldigen, das sie nicht begangen haben und mit dem sie nichts zu tun haben? Eine mögliche Antwort gaben tags zuvor syrische Asylbewerber, die an der Universität Köln Flugblätter verteilten. Darin heisst es unter anderem:

«Wir bedauern, dass die Aktionen der Silvesternacht unsere Gruppe, die Gruppe der Syrer, die Gruppe der Flüchtlinge, wie auch viele andere arabische und nordafrikanische Menschen und Kulturen in Verruf gebracht haben.»
Gruppe «Syrische Männer für Fairness»
quelle: kölner stadt-anzeiger

Aber wie kommen diese Männer darauf, dass der Mob vor dem Kölner Hauptbahnhof durch sein Verhalten alle möglichen Syrer, Asylbewerber, Araber sowie Nordafrikaner in Verruf gebracht hat?

Vielleicht aufgrund solcher Reaktionen:

Legida-Demonstration in Leipzig (11.01.2016).
Legida-Demonstration in Leipzig (11.01.2016).
Bild: EPA/DPA

Vielleicht. Noch gesellschaftsfähiger als Pegida ist die oft gehörte Forderung, irgendwer solle sich von irgendwas distanzieren: Warum distanzieren sich nicht mehr Muslime vom «IS»? Oder von den Terroranschlägen in Paris? Oder eben aktuell: Von diesem Kölner Mob?

Jemanden dazu zu nötigen, sich von etwas zu distanzieren, ist unglaublich perfid. Denn der Betroffene kann dabei nur verlieren:

  • Er kann sich weigern, und macht sich damit unter Umständen noch verdächtiger als vorher. «XY weigert sich, sich von dies und jenem zu distanzieren» heisst doch, dass er es insgeheim gutheisst.
  • Er kann Folge leisten und erreicht damit zweierlei: Er nötigt andere in seiner Situation, es ihm gleich zu tun. Und er provoziert endlose Folgefragen im Stil von «Warum distanzierst du dich nur vom einen, aber nicht vom anderen?»

Die Forderung nach Distanzierung ist dabei auch ziemlich willkürlich:

Das Wort suggeriert Nähe, denn wo keine Nähe besteht, gibt es auch keinen Anlass zur Distanzierung. Im Fall Köln besteht diese Nähe, die Verbrecher und unbescholtene Asylbewerber miteinander assoziiert, offenbar aus der Religion. Es kann davon ausgegangen werden, dass alle Täter muslimischen Glaubens sind. Hierzu einige Fragen aus Sicht eines syrischen Ayslbewerbers:

  • Können syrische Christen darauf verzichten, sich von den Verbrechen ihrer muslimischen Landsleute zu distanzieren? Ebenso syrische Drusen? Syrische Atheisten?
  • Angenommen, unter den Tätern befindet sich auch ein syrischer Christ: Müssen sich dann alle Christen (also auch jene hier in der Schweiz) von ihm distanzieren?
  • Wie ist es mit den syrischen Kurden? Die sind zwar Muslime, haben aber Kobane heldenhaft verteidigt und den «IS» zurückgedrängt. Sollen sie sich auch distanzieren, oder ist das unnötig?
  • Warum redet niemand von den Somaliern und Iranern, die sich unter den identifizierten Tatverdächtigen befinden? Sind ihre Landsleute in Deutschland vom Distanzierungsgebot ausgenommen, weil sie zwar mehrheitlich Muslime, aber weder Nordafrikaner noch Araber sind?

Meine Empfehlung: Lassen wir das mit dem Fordern und dem Distanzieren. Es ist für alle Beteiligten einfacher.

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80 Kommentare
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Stellklaus
14.01.2016 00:06registriert September 2015
Um ehrlich zu sein, es hat auch nie jemand verlangt, dass sich unschuldige Kriegsflüchtlinge für etwas entschuldigen womit sie nichts zu tun hatten.

Es ist aber trotzdem eine schöne Geste, die zeigt dass es den Neuankömmlingen nicht egal ist. Ich bezweifle stark, dass der Normalbürger wegen solcher Aktionen anfängt eine künstliche Nähe zwischen allen Flüchtlingen und den Tätern herzustellen.

Andere die diese Nähe konstruieren, werden das sowieso machen.
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Ylene
13.01.2016 21:59registriert Januar 2016
Dieser Artikel ist eine totale Katastrophe, die Solidaritätsaktion wiederum sehr nobel und in guter Tradition, bspw. Willy Brandts Kniefall von Warschau als Bitte um Vergebung der deutschen Verbrechen im 2. WK, Gorbatschow entschuldigte sich bei Polen wegen dem Katyn-Massaker und Gordon Brown wegen Alan Turings elender Behandlung. Wikipedia hilft sonst weiter, lest besonders die Abschnitte bezüglich der Wirkung dieser Gesten (Versöhnung und pol. Entspannung). Alle 4 Entschuldigungen wurden von diesen Verbrechen nicht schuldigen Männer gemacht.
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m:k:
13.01.2016 22:45registriert Mai 2014
Ich finde solche Aktionen nicht schlecht. Es geht doch darum zu zeigen, dass man sich nicht identifiziert mit gewissen Kreisen die die eigene Religion oder Nationalität für sich beanspruchen und in den Dreck ziehen. Das ist doch dasselbe wie die Gegendemos gegen Pediga oder wenn nach einer SVP Initiative demonstriert wird.
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