Bevor ihr fragt, das heisst, ihr würdet gar nicht fragen, alles, was euch interessiert, ist schliesslich, ob es Sex gab und wenn ja, wie viel und wo, warum und mit wem, und das werde ich gleich beantworten, zuerst will ich aber sagen, dass ich das Buch über Polyamorie gelesen habe. Das Buch war nicht mal schlecht. Also, ich will hier keine Werbung machen, aber falls ihr ein Buch zum Thema lesen wollt, dann kann ich euch ... okay, so wäre es nun doch Werbung. Aber was weiss ich schon, ob das nun wirklich gut war, ich habe ja keinen Vergleich, vielleicht gibt es auch noch viel bessere Bücher zum Thema. Werde ich sie lesen? Hoffentlich nicht.
Aber das Buch von Lara habe ich gelesen. Das Risiko, dass sie sonst nie wieder mit mir spricht, oder noch schlimmer, nie wieder mit mir schläft, wäre viel zu gross gewesen. Ich befürchtete, dass wir nach der Lektüre jedes Kapitel lang und breit diskutieren müssen. Warum wohl sonst hätte ich das Buch lesen müssen? Aber so kam es nicht. Im Gegenteil. Lara fragte einmal kurz, ob ich es gelesen hätte, ich nickte, das Thema war vom Tisch. Ich wurde natürlich skeptisch. Und bin es immer noch. Aber ich will keine schlafenden Hunde wecken. Mir ist es total recht, wenn wir nicht darüber reden.
Ohne das ständige Besprechen der Form unseres Zusammenseins war alles ganz einfach und entspannt. Es war noch besser als zuvor und ich war geneigt, den Haken an der Sache zu suchen, worauf Hanna sagte: «Jetzt hör auf, immer misstrauisch zu werden, wenn etwas gut ist. Es kann doch auch einfach mal gut sein!»
Item.
Was ich an Lara besonders mag, ist ihre Spontanität gepaart mit manchmal guten, manchmal halb guten Ideen, aber sie kann diese so euphorisch-optimistisch präsentieren, dass ich auch die halb guten ziemlich gut finde. Letzten Freitag hatte sie Lust auf Spaghetti Carbonara. «Die richtige», wie sie sagte, «nicht dieses Rahm-Gedöns», das man hier in der Schweiz esse. Laras Vater ist aus Italien und Lara erwähnt bestimmt einmal pro Tag ein Gericht, das er immer kocht und das sie so sehr vermisst, weil er im tiefen Thurgau wohnt und es etwas umständlich wäre, ständig fürs Abendessen fast drei Stunden mit Zug und Bus durch die Schweiz zu gondeln. Jeden Sonntag aber geht sie nach Hause zu Papa.
Sie hätte die Carbonara selbst kochen können, aber das wollte sie nicht. Sie wollte sie serviert bekommen. In Italien. Wir schauten uns Züge nach Mailand an, was ich unterhaltsam fand, aber nicht wirklich ernst nahm. Wer fährt für einen Teller Pasta nach Italien? Nun, wir taten es nicht. Aber die Suche war durchaus ernst gemeint. Lara wollte Carbonara, Lara wollte Italien-Feeling, fand aber das Zugticket zu teuer, ausserdem musste sie ja Sonntagabend zurück im Thurgau sein.
Samstagmittag fuhren wir los. Unser Ziel: Lugano. Für die fast dreistündige Fahrt kauften wir eine Flasche Weisswein, weil wir diese in Arth-Goldau aber schon leer hatten, kauften wir noch eine völlig überteuerte zweite im Zug-Bistro.
Das Hotel, das wir nach einer für meinen Geschmack viel zu langen Suche gebucht hatten, wirkte von aussen pompös, war aber innen ziemlich miefig. Unser Zimmer hatte einen dicken, dunkelroten Teppich, das Bad war eher schlecht als recht geputzt und hätten wir nicht sofort Sex gehabt, hätte ich nach einem anderen Zimmer gefragt. Aber so konnte man es natürlich nicht mehr tauschen.
Viel später als erwartet zogen wir los. Wir marschierten die Riva rauf und runter, leider eher erfolglos. Nirgendwo war es so, wie Lara fand, dass es sein sollte. Alles waren Tourifallen oder dann zu teure Restaurants. Weil ich langsam genervt war und Lara dies bemerkte, stoppten wir in irgendeinem Lokal, wir tranken je zwei Gläser Weisswein, ich stopfte mich mit Erdnüssen voll.
Das wiederholten wir nochmals, weil Lara zwar nun wusste, wo sie essen wollte, wir dort aber noch auf einen Tisch warten mussten. Um ein Haar hätten wir hinter einem geparkten Auto gevögelt, aber Lara bemerkte früh genug, dass es gar nicht so abseits stand, wie wir dachten.
Irgendwann waren wir endlich – mittlerweile ziemlich betrunken – im Restaurant, schaufelten Berge von Pasta in uns rein und tranken nochmals eine Flasche Wein, danach einen Grappa und mit der Rechnung gab's einen Limoncello.
Lara hatte exakt so viel getrunken wie ich. Was viel war. Für mich. Aber ich bin fast zwei Meter gross. Lara ist 165 Zentimeter – das steht jedenfalls in ihrer ID und das sei gelogen, wie sie mir erklärte. Sie sei auf die Zehenspitzen gestanden beim Messen.
Lara war betrunken, aber dass sie so betrunken war, wusste ich nicht. Sie konnte immer noch mehr oder weniger normal gehen und reden und beim Sex war sie stürmischer als sonst, was ich grundsätzlich gut fand.
Als ich auf meinen Orgasmus zusteuerte, sie unten, ich oben, krallte sie ihre Fingernägel in meine Oberarme. Fand ich generell okay. Etwas arg, aber auch nicht schlecht. Sie schaute mich jedoch entsetzt an. Die Pupillen so gross wie Rosinli. Ich stoppte in der Bewegung.
Lara stiess mich weg, hechtete ins winzige, nicht gut geputzte Bad, was nun auch eher egal war, und kotzte los. Weil Lara die Tür nicht schloss und ich das als Aufforderung verstand, ging ich hinter ihr her. Lara hing über der Toilette. Ich hielt ihre Haare nach hinten. Die lang gesuchte und lang ersehnte Carbonara wurde der Schüssel übergeben.
Am nächsten Morgen hatten wir das erste Mal keinen Morgensex.
Aber.
Aber Leute!
Seit diesem Wochenende ist der Sex noch besser als zuvor. Deshalb: Tutto bene würd ich sagen.
So long,
Ben
Das ist wahre Liebe, Benjamin.
Tipp für Ben: es geht nicht darum Sex zu erwähnen, sondern in sinnlich (oder schmutzig) zu beschreiben