Sue ist fix und fertig. Sie hat Augenringe, wunde Nippel und eine heftige Blasenentzündung. Der Grund ist simpel. Sue schläft zurzeit mit Andres. Andres ist sexsüchtig. Nicht nur ein bisschen viel Testosteron und ein bisschen mehr Trieb als andere Männer, nein, Andres muss mehrmals am Tag Sex haben. Hat er das nicht, wird er, wie er selber sagt, zum «Arschloch».
Viel mehr weiss ich nicht über Andres, bevor ihn Sue mitnimmt zum Geburtstag eines gemeinsamen Freundes. Wir grillieren, ganz corona-konform, draussen im Garten. Mein Voyeurismus ist sehr gespannt auf Andres. Sue meint, er sei «der geilste Typ, den ich je gedatet habe». Der Sex? «Emma, krass, krass, krass!»
Nur schon mit Andres über Sex zu reden, sei crazy, findet Sue. Und weil Andres so gerne Sex hat und über Sex spricht, erlaubt mir Sue hochoffiziell, das Thema zu thematisieren, wenn ich will.
Logisch will ich.
Zwischen Bratwurst und Bier stelle ich mich dem Guten selber vor. Andres ist unglaublich sympathisch, charismatisch und durchaus sexy. Tiefe Stimme. Blondes Haar. Unfrisiert. Out-of-Bed-Look. Passt. Er trägt ein kariertes Holzfällerhemd mit Kapuze, Jeans, Sneakers, Parka.
Sue und Andres sind zurzeit irgendwas zwischen liiert und nicht liiert. Es ist mehr als eine Affäre, er wäre ja sonst nicht hier mit ihr bei ihren Freunden. Richtig offiziell ist die Story aber auch (noch) nicht. Sue hat schampar Respekt vor der Sexsucht.
Hier und jetzt jedenfalls sitze ich Andres gegenüber. Wir reden über dies und das und dann endlich über Sex. Ich erfahre, dass er den Wecker 15 Minuten früher stellt, um zu masturbieren. Je nachdem masturbiert er dann auch zwei Espressos und einen Müsliriegel später unter der Dusche.
Übernachtet er mit Sue, dann stellt er den Wecker sogar 30 Minuten früher. Andres schwört auf Morgenquickies. Sue mag aber nicht immer. Dann masturbiert er, während sie daneben liegt. Stört Sue nicht.
Er sei schon immer ein Getriebener gewesen, sagt Andres. Und schon sehr früh habe er die Erotik entdeckt. Er fand den Sexheftli-Stapel seines Vaters, als er grad mal 10 Jahre alt war. Er sei schnell süchtig nach den Schmuddelblättchen geworden. Nach seinem ersten Orgasmus sei er lieber daheim gewesen und habe masturbiert, statt sich mit Freunden zu treffen.
Als dann das Zeitalter Internet anfing, habe es ihn vollkommen genommen. Irgendwann sei er sogar so weit gewesen, dass er sich lieber selbst befriedigte statt zu vögeln.
Aus Andres sprudelt es nur so raus. Fragen muss ich keine stellen. Er lebt und erlebt und zelebriert seine Sexualität. Mir kommts biz aufgesetzt vor. Zumal der Gute keine Gelegenheit auslässt, sein mega-giga-krasses Knowhow zu präsentieren.
«Ich und die Klitoris, wir sind ein sehr eingespieltes Team», sagt er, um mir sogleich die Funktion meiner Klitoris zu erklären. Jede könne lernen, noch viel mehr Spass damit zu haben. Auch ich.
Ausserdem, so sagt er, sei die Scherenstellung die, in der ein Mann am längsten kann und die Frau am besten kommt. Sofern es der Mann natürlich richtig macht. «Alles eine Frage des Winkels, des Tempos und der Beschaffenheit des Penisses.»
Sue wirds unangenehm.
Ich versuche das Thema wieder auf Andres zu lenken. Ob Orgasmen langweilig werden, wenn man täglich mehrere hat. «Spinnsch?», antwortet er. Wie Frauen auf seinen Trieb reagieren, will ich wissen. «Anfangs finden es alle geil. Auf Dauer machts leider keine mit.» Er verstehe das. Irgendwie. Dann auch wieder nicht. «Wie kann man nicht den ganzen Tag vögeln wollen?»
Wie er es macht, wenn er Single ist und nix laufen hat, will ich wissen. «Uff», sagt er. Darüber habe er mit Sue noch nicht gesprochen. Aber jetzt passe es ja grad. Und da sei ja auch nichts dabei. «Ich gehe ins Puff.»
Sue erschrickt.
«Das machen ALLE», ist sich Andres sicher. «Eure Väter, eure Cheffen, eure Ex-Typen, alle.» Sei doch voll okay. Andres findet es auch sehr easy, zu Prostituierten zu gehen, wenn man in einer Beziehung ist, in der die Frau weniger oft will als der Mann.
Was Andres in seinem Monolog nicht ganz checkt, ist der Fakt, dass er sich hier grad ins Sue-Aus manövriert.
Im Gegenteil.
Das Gespräch hat ihn grad «so spitz» gemacht, dass er «ablassen» muss. «Gehen wir aufs Klo, Sue?», fragt er. Und wenn sie nichts dagegen habe, könne ich auch mitkommen. «Aber no pressure, kein Problem, wenn nicht.»
Sue will nicht aufs WC.
Ich auch nicht.
Für Andres kein Problem. Er geht husch alleine. Wir sollen seinen Platz freihalten. Er ist so «geladen», dass es sowieso ganz schnell geht.
Dann verschwinden Andres und seine Latte.
Sue und ich schauen uns schweigend an. Dann beginnt sie zu lachen. Ich stimme ein. Dann fällt sie ins Weinen. Das sei ein massiv unsexy Auftritt gewesen. Finde ich auch. So will sie ihn nicht, sagt Sue. Ich verstehe sie und will sie gerade trösten.
Das sei unnötig, meint Sue. Es sei nicht ihr Herz, das weint. Es ist viel mehr ihre Klitoris, die doch schon recht angefixt ist.
«Shit, Emma. Sind wir jetzt da, wo der Sex plötzlich komplizierter als die Liebe wird!?», sagt sie.
Keine Ahnung, antworte ich.
Sue will die Geschichte mit Andres jedenfalls schnell beenden.
Zwei Tage später frage ich sie, wie es ihr geht. Sie antwortet postwendend: «Hab grad die ganze Nacht mit Andres durchgevögelt. Sorry.»
Ich muss lachen.
Das könnte eine längere Geschichte werden. Eventuell eine nervige. Eventuell sogar noch nerviger als Suff-SMS-Sandro und ich.
Adieu (und Hoi, Suff-SMS-Sandro),
Des Mannes (diesen Mannes) Sexualität steht im Mittelpunkt des Universums. Frauen sind nur da, damit es Klitorides gibt, welche um den Mittelpunkt des Universums keisen. Frau ist von dieser prachtvollen Männlichkeit so angetan, das die körperliche Gesundheit und die eigene Integrität nicht nur nebensächlich sind, sondern komplett ignoriert werden.
Ich finde keine Worte dafür, wie ich das finde.
Ich als Frau könnte es nicht. Vielleicht kann mir das eine andere Frau beantworten?