Wer mich länger kennt, weiss, dass ich gar nicht mal so heimlich von einem Arzt träume. Zum einen, weil ich die Götter in weiss wirklich heiss finde und zum anderen, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass Männer, die beruflich Leben retten, bad guys sein könnten.
Und dann ist da noch ein Grund. Ich neige zu Hypochondrie.
Neulich aber stösst mir tatsächlich was Übles zu. Und zwar auf dem Weg vom Bett zum WC. Morgens um 2:02 Uhr laufe ich schlaftrunken in meinen riesigen Spiegel rein, der an der Wand im Gang lehnt.
Ich erwische das Monsterteil im Dunklen so blöd, das es runterfällt und in 9765 Trilliarden Teile zerbricht. Mein Gang, ein Scherbenhaufen.
Ganz kurz frage ich mich, ob ich nun sieben Jahre Pech oder Glück haben werde.
Dann will ich das Licht anmachen. Und trete in eine riesige Scherbe, die sich heftig in meine linke Fusssohle bohrt.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ein paar Minuten später sitze ich sehr heftig blutend im Pischi im Uber Richtung Spital.
In der Notaufnahme angekommen, kümmert sich eine zauberhafte Assistenzärztin um die Erstversorgung. Da ich keine Corona-Symptome habe, werde ich ins Wartezimmer geschickt, wo in dieser Dienstagnacht einiges los ist.
Da ist ein junges Pärli, sie liegt gebeugt auf seinem Schoss und wimmert leise vor sich hin, während er ihr Haar streichelt. Herzig. Dann ist da ein Typ, Mitte 40. Wirkt topfit. Er scrollt sich durch Instagram.
Und dann ist da noch ein Mann. Alleine. Über 60ig. Verdacht auf Nierensteine. Seine Schmerzen sind heftig. Ich setze mich zu ihm, lächle ihn an.
«Sie sind auch alleine hier?», fragt er.
«So ist es», sage ich.
«Sie sind ja noch jung», meint er. «Ich bin Witwer. Meine Frau ist am 26. Dezember an Krebs gestorben.»
Noch habe er sich nicht an das Alleinsein gewöhnt. Die Kinder, ja, die Kinder. Haben halt ein eigenes Leben. Rufen aber jedes Wochenende an. Dafür habe er aber Verständnis: «Viele Eltern meinen, Kinder müssen sich um sie kümmern, wenn sie plötzlich alleine sind. Das sehe ich aber nicht als ihre Aufgabe!»
Der Mittvierziger schaltet sich nun auch in das Gespräche ein. «Sie müssen ein toller Vater sein», sagt er.
«Das hoffe ich!», so der Witwer. Dafür sei er kein guter Ehemann gewesen. «Ich habe meine Frau betrogen, ich habe Geld verzockt und habe mir zu wenig Zeit für sie und mich genommen. Ich war ein Tausendsassa, ein rastloser Halodri!»
Dafür seien die letzten zehn Jahre mit ihr umso schöner gewesen. Würde er das Rad der Zeit zurückdrehen können, sagt er nachdenklich, würde er mehr auf seine innere Stimme hören, weniger auf gesellschaftliche Normen geben.
Mehr reisen, mehr Liebschaften, eine Harley kaufen, Bergtouren machen, alleine wohnen, in WGs wohnen, Tauchen lernen, so halt. Und erst dann eine Familie gründen.
Während ich noch an seinen Lippen hänge, betritt ein Paar die Notaufnahme. Sie ist hochschwanger. Die Wehen haben eingesetzt. Sie ist in ihrem ganz eigenen Film. Er stützt sie. Sie verschwinden hinter einer Schiebetüre.
«Die beiden erleben in den nächsten Stunden das Schönste, das dir passieren kann. Neues Leben schaffen. Ich habe viel versemmelt, aber meine Kinder sind das Beste, das ich gemacht habe. Alleine dafür hat sich alles, das ich verpasst habe, doch gelohnt.»
Nun wird die Frau, die auf dem Schoss ihres Freundes liegt, aufgerufen. «Passt gut aufeinander auf», sagt der Witwer. «Manchmal vergisst man, wie gross das Geschenk der Liebe ist.»
Zwei Minuten später wird der Witwer selber abgeholt. Seine Schmerzen sind zum Glück besser geworden. «Und Sie», sagt er mir zugewendet, «geniessen Sie Ihr Leben und vergeuden Sie keine Zeit damit, auf die Liebe zu warten. Die Liebe kommt. Es ist nur die Zeit, die vergeht, also nutzen Sie diese.»
Ich schaue auf die Uhr. 3:14 Uhr.
Der Mann hat recht. Heute hier mit Splatter-Fuss in dieser Nacht lasse ich all meine Zweifel los und sage klar JA zu einem Sommer Auszeit nur für mich.
Für euch, liebe User, habe ich natürlich eine Stellvertretung organisiert. Um wen es sich handelt, erfahrt ihr heute in einer Woche.
PS: Snowy ist es nicht. Sorry. Olmabratwurst auch nicht. Ebenfalls Sorry. Dani Huber, Äxgüsi, auch nicht.
Adieu,