In einem offenen Brief appellierte die deutsche Publizistin Alice Schwarzer an den Bundeskanzler Olaf Scholz. Darin warnt sie vor einem dritten Weltkrieg infolge der Waffenhilfe für die Ukraine. Der Brief sorgte in den vergangenen Tagen für heftige Kritik. Schwarzer wiederum verteidigte sich in einem bizarren Interview. Doch von Anfang an.
Die deutsche Publizistin Alice Schwarzer und weitere Prominente wie der Schriftsteller Martin Walser, die Philosophin Svenja Flasspöhler, der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar oder der Autor Alexander Kluge appellierten am Freitag mit einem offenen Brief an den Bundeskanzler Olaf Scholz. Er solle weder direkt noch indirekt schwere Waffen an die Ukraine liefern. Das gebe dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ein Motiv für eine Ausweitung des Krieges auf Nato-Staaten.
Die Unterzeichnenden betonen zwar, dass mit dem Angriff auf die Ukraine das Völkerrecht gebrochen wurde. Dies rechtfertige aber nicht, das «Risiko der Eskalation dieses Krieges zu einem atomaren Konflikt in Kauf zu nehmen». Die Lieferung grosser Mengen schwerer Waffen mache Deutschland selbst zur Kriegspartei. «Und ein russischer Gegenschlag könnte so dann den Beistandsfall nach dem Nato-Vertrag und damit die unmittelbare Gefahr eines Weltkriegs auslösen», heisst es im Appell. Und weiter: «Wir bitten Sie dringlich, alles dazu beizutragen, dass es so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand kommen kann; zu einem Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können.»
Der Brief wurde auf der Website der einst von Schwarzer gegründeten Frauenzeitschrift Emma veröffentlicht und von tausenden Personen digital unterzeichnet.
Kritik am Brief kam umgehend. «Wo sollen ‹Kompromisse› sein, wenn Putin völkerrechtswidrig ein freies europäisches Land überfällt, Städte dem Erdboden gleichgemacht, Zivilisten ermordet werden und Vergewaltigung systematisch als Waffe gegen Frauen eingesetzt wird?», fragte die grüne Fraktionschefin Britta Hasselmann.
Das FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer nannte den Brief «bestenfalls naiv und von intellektueller Traurigkeit». Ohne ukrainische Verteidigungsfähigkeit werde es keinen Frieden geben. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, twitterte, in der Ukraine, die einseitig angegriffen werde, kämpften Menschen um ihr Leben und Prominente forderten «beide Seiten» zu einem Kompromiss auf. «Der einzige Kompromiss ist die vollständige Wiederherstellung territorialer Integrität der Ukraine.».
Das muss man sich mal vorstellen: In #Ukraine, die einseitig brutal angegriffen wird, kämpfen Menschen um ihr Leben und 28 sog. „Prominente“ fordern „beide Seiten“ zu Kompromiss auf. Der einzige Kompromiss ist d.vollständige Wiederherstellung territorialer Integrität der Ukraine. https://t.co/5qXgxAej0U
— Marie-Agnes Strack-Zimmermann (@MAStrackZi) April 29, 2022
Kritik kam auch von Andrij Melnyk, dem ukrainischen Botschafter in Deutschland. Die Unterzeichner des Briefes würden das Prinzip «Nie wieder» mit Füssen treten, schrieb er auf Twitter. «Nichts aus der Geschichte gelernt. Traurig.»
Diese Prominenten, die der Ukraine schwere Waffen verwehren wollen und damit dem Mörder Putin nur in die Hand spielen, damit er🇺🇦Frauen und Kinder zerbomben kann, haben das Prinzip “Nie wieder“ mit Füßen getreten. Nichts aus der Geschichte gelernt. Traurig https://t.co/75PuSgvLwm pic.twitter.com/QpIb9b6lsX
— Andrij Melnyk (@MelnykAndrij) April 29, 2022
Bundeskanzler Olaf Scholz schrieb auf Twitter, er respektiere jeden Pazifismus und jede Haltung. Aber er müsse den Bürgerinnen und Bürgern der Ukraine zynisch vorkommen, wenn ihnen gesagt werde, man solle sich gegen die Putinsche Aggression ohne Waffen verteidigen. «Das ist aus der Zeit gefallen.»
Ich respektiere jeden Pazifismus und jede Haltung. Aber es muss den Bürgerinnen und Bürgern der #Ukraine zynisch vorkommen, wenn ihnen gesagt wird, man solle sich gegen die Putinsche Aggression ohne Waffen verteidigen. Das ist aus der Zeit gefallen.
— Bundeskanzler Olaf Scholz (@Bundeskanzler) May 1, 2022
Verständnis für den Appell kam lediglich aus den Reihen der Linkspartei. Der ehemalige Vorsitzende, Bernd Riexinger, sagte gegenüber dem «Meininger Tageblatt»: «Ich bin froh, dass es wahrnehmbare Stimmen gibt, die aus der militärischen Logik ausbrechen.» Man müssen alles tun, um nicht in einen Krieg hineingezogen zu werden, und dafür, dass der Krieg beendet werde.
Die Obfrau der Linken im Auswärtigen Ausschuss, Sevim Dagdelen, twitterte, es sei gut, dass sich Stimmen gegen die drohende Ausweitung des Krieges mehrten.
Gut,dass sich Stimmen in der Öffentlichkeit gegen drohende Ausweitung des #Ukraine -Kriegs mehren. Warnung d Unterzeichner ernst nehmen statt abtun:„Die Lieferung großer Mengen schwerer Waffen allerdings könnte Deutschland selbst zur #Kriegspartei machen.“ https://t.co/enZQvNdN9D
— Sevim Dağdelen, MdB (@SevimDagdelen) April 29, 2022
Alice Schwarzer wies die Kritik an dem offenen Brief vehement zurück. In einer Bild-Talksendung sagte sie: «Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich ernsthaft von der Gefahr eines neuen Weltkriegs überzeugt». Zwar sei Hilfe für die Ukrainer bei der Selbstverteidigung richtig, doch gehe es «um die sehr schwierige Grenzziehung zwischen Unterstützung zur Verteidigung und Lieferung von Waffen, die von Herrn Putin als Angriffswaffen verstanden werden können».
Wenn die russische Führung die Gefahr eines mit Atomwaffen geführten Konflikts als sehr konkret bezeichne, «dann müssen wir das einfach ernst nehmen und sehr genau abwägen», sagte Schwarzer in der Talksendung. Zugleich dürfe man die «bewundernswerten» militärischen Erfolge der Ukraine bei der Verteidigung gegen Putins Truppen nicht überbewerten: «Solche punktuellen Siege sind eines. Die zweite Atommacht der Welt gesamt in die Knie zu zwingen ist etwas anderes.»
Bizarr mutete ein Auftritt von Schwarzer in einem Interview mit dem Nachrichtensender der «Welt» an. Zuerst unterbrach sie die Journalistin mehrmals. Anschliessend sprach sie zweimal von Ungarn statt der Ukraine.
Alice Schwarzer feuert mit ihrem offenen Brief die Debatte um die deutschen Waffenlieferungen weiter an. Ende April stimmte der Bundestag einem gemeinsamen Antrag von SPD, FDP, Grünen und Christlich Demokratische Union für Waffenlieferung zu.
Konkret will Deutschland 50 Flugabwehrkanonenpanzer des Typs Gepard an die Ukraine liefern. Ausserdem sollen weitere schwere Waffen folgen, die über einen sogenannten Ringtausch an die Regierung in Kiew gehen. Dazu will Deutschland Schützenpanzer Marder an osteuropäische Staaten schicken, die wiederum Rüstungstechnik aus Sowjetzeiten an die Ukraine abgeben. Direkt will die Bundesregierung Mörser in die Ukraine schicken und auch bei der Ausbildung ukrainischer Artilleristen helfen.
Putin ist der Mann, der heute alles beenden kann, wenn er will. Also der Brief ging schlicht an die falsche Adresse.