Am Ende unseres Gesprächs hat Gale Anne Hurd einen Wunsch: «Bitte, bleibt unabhängig. Bleibt kritisch. Gerade jetzt. Lasst euch nicht einschüchtern als Presse.» «Machen Sie sich darüber keine Gedanken, das versteht sich von selbst», sage ich ohne nachzudenken. Gale Anne Hurd schaut auf den brasilianischen Kollegen neben mir. Ihn hat sie mit ihrer Ermutigung gemeint.
Am 29. Juli ging die brasilianische Cinematheque in Sao Paolo in Flammen auf. Jahrzehnte an brasilianischem Filmerbe sind höchst wahrscheinlich für immer zerstört. Und wieso? «Weil vor genau einem Jahr von der Regierung alle Fördergelder gestrichen und alle Mitarbeitenden entlassen wurden», sagt der brasilianische Kollege, «dabei war die Cinematheque total baufällig. Jetzt befürchten wir, dass das gleiche mit der Nationalbibliothek passiert. Bolsonaro hasst Kultur.»
Es ist ein Nachsatz zu einem Gespräch, dass mit Richard Nixon und Donald Trump beginnt. Denn Gale Anne Hurd, Erfinderin von «Terminator», Produzentin von Blockbustern wie «Armageddon», «Hulk» und allen Staffeln von «The Walking Dead» hat soeben die in Europa nicht sonderlich bekannte Komödie «Dick» (1999) gezeigt. Michelle Williams und Kirsten Dunst, damals selbst noch Teens, spielen zwei für Richard Nixon entflammte Schulmädchen, die aus Enttäuschung über die Lügen ihres Präsidenten zu den unter dem Decknamen Deep Throat bekannten Informantinnen im Watergate-Skandal werden.
«Dick» ist ein Film, der so gar nicht ins apokalyptische Action-Universum der Produzentin mit Killerrobotern und Zombies passt, sondern eine kaugummirosa, komplett überdrehte Satire. «War dieser Film Ihre Geheimwaffe, Ihr Schutzschild unter der Regierung-Trump, die Ihnen erlaubt hat, alles ein bisschen leichter zu nehmen?», will ich wissen.
«Es ist sehr schwierig, etwas leichter zu nehmen, wenn Menschenleben in der Hand von einem wie Trump sind», gibt sie zur Antwort, «aber wenn ich will, dass Menschen, deren politische Meinung grundsätzlich von meiner abweicht, etwas begreifen, dann muss ich ein Genre zu Hilfe nehmen: Horror, Science Fiction oder Komödie. So kann ich eine Geschichte erzählen, die sehr politisch ist, aber ohne die aktuelle Tagespolitik zu berühren. Wenn ich einen Film mache, der sich ernsthaft mit einem realpolitischen Problem auseinandersetzt, erreiche ich damit nur meine eigene Blase.» Und was ist ihr Lieblingsbeispiel? Natürlich «Terminator»!
Aber erzählen wir erst die Vorgeschichte. Es ist Anfang der 80er-Jahre, Gale Anne Hurd ist Mitte zwanzig, sie hat ein paar Jahre lang als Assistentin von Roger Corman in verschiedenen administrativen Jobs gearbeitet, aufgewachsen ist sie in einem jüdisch-katholischen Elternhaus in Palm Springs. Dann beschliesst sie, ihre eigene Produktionsfirma zu gründen. Ihr erstes Projekt schreibt sie gleich selbst, zusammen mit dem gleichaltrigen James Cameron, auch er steht nach einem Kurz- und einem Langfilm («Piranha II») noch am Anfang seiner Karriere. Die beiden verlieben sich. Ihr Baby ist ein nicht gerade ultraromantisches Drehbuch über einen Killerroboter aus der Zukunft.
Hurd und Cameron suchen nach Geld. Sie bekommen 99 Absagen. Kein Mensch kann sich diesen Film vorstellen, alle finden das Drehbuch peinlich. Wie fühlt sich das an, wenn das eigene Drehbuch 99 Mal abgelehnt wird? «Das ist, als ob mir jemand sagen würde, dass mein Kind hässlich, dumm, gemein und ohne Zukunft ist.»
Dann treffen sie sich mit Schwarzenegger und fürchten, auch ihn nicht von der Rolle überzeugen zu können. «Er wählte ein sehr exklusives Restaurant in L.A., wo es Dinge wie Aquavit und Kaviar gab», erzählt Hurd, «und wir merkten sofort: Wir müssen ihn gar nicht überzeugen, er will diese Rolle unbedingt! Er sagte: Dies ist eine der grössten Rollen unserer Zeit, wer das richtig spielt, kommt ganz gross raus.»
Doch als die Rechnung kam, da «realisierten wir, dass wir die beim besten Willen nicht bezahlen können. Wir sahen uns schon Geschirr spülen in der Restaurantküche und dachten, okay, Produzenten, die nicht mal ihre Rechnung bezahlen können, sind echt nicht vertrauenswürdig, das war's mit Arnold. Doch Arnold sagte: ‹Lasst mal, ich übernehm' das, meine Restaurantwahl, mein Film, meine Rechnung.›»
Danach müssen sie zwei Jahre lang warten, weil Schwarzenegger den zweiten «Conan» drehen musste. Als «Terminator» dann geboren ist, will ihn die Marketing-Abteilung des Studios versenken, so grotesk misslungen findet sie ihn. Kein Filmkritiker soll den Film jemals zu Gesicht kriegen dürfen. Schwarzeneggers Agent sorgt eigenhändig für Pressevorführungen – die Reaktionen sind begeistert. Ein Jahr später heiraten James Cameron und Gale Anne Hurd, sie produziert weitere seiner Filme, «Aliens», «The Abyss», «Terminator 2».
Doch zurück zur Politik. «‹Terminator› ist eine Parabel über den unkontrollierten Aufstieg der Technologie und seine Folgen, gegen die wir uns dringend absichern müssen. Deswegen tauften wir auch den Nachtclub im Film Tech Noir – da kommen alle Figuren zusammen und der Terminator richtet den roten Strahl seiner Laserpistole auf Sarah Connors Stirn. Ich habe gerade einen Artikel über russische Killerroboter vertwittert, für die keinerlei Regeln oder internationale Kontrollen gelten. Genau dagegen haben wir in ‹Terminator› gewarnt. Das gleiche gilt für künstliche Intelligenz. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht etwas schaffen, was noch schlimmer ist als die schlimmsten menschlichen Instinkte.»
#HunterKillers in real life…shades of #TheTerminator https://t.co/7ZICaNCIS1 #ThrowbackThursday #ThursdayThoughts
— Gale Anne Hurd (@GunnerGale) August 5, 2021
Wer ist für sie, die unzählige Heldenfilme ermöglicht hat, eine zeitgemässe Heldin oder ein zeitgemässer Held? «Ich habe gerade eine Reihe von Dokumentarfilmen gemacht. Einer davon erzählt das Leben der 2010 verstorbene Wilma Mankiller, sie war obdachlos, lebte mit ihren zwei Töchtern in einem Auto und gehörte zum Volk der Cherokee. Und dann schaffte sie es, zum ersten weiblichen Häuptling der Cherokee gewählt zu werden und machte einen perfekten Job, denn sie regierte nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben, sie begriff sich als Dienerin ihres Volkes. Geschichten wie ihre müssen erzählt werden. Geschichten von gewöhnlichen Leuten, die alles überwinden, was sich einem in den Weg stellen kann. Gerade heute, wo alles so düster ist.»
Aktuell gibt es immer mehr sehr erfolgreiche Produzentinnen, die bewusst Stoffe von Frauen und Regisseurinnen fördern. Reese Witherspoon, die ihre Produktionsfirma vor wenigen Tagen für 900 Millionen Dollar verkaufte, ist nur ein Beispiel. Mrs Hurd, waren Sie zu Beginn der 80er-Jahre als Frau mehr oder weniger allein in dieser Branche? «Oh nein! Ich verdanke der fünf Jahre älteren Debra Hill, der Produzentin der ‹Halloween›-Filme, enorm viel!»
«Wenn verschiedene Leute das Gleiche tun, gibt es zwei Möglichkeiten: Du kraxelst die Leiter hoch und oben wartet jemand, tritt dir auf die Finger und stösst dich von der Leiter. Oder oben wartet jemand, gibt dir die Hand und zieht dich hinauf. Das war Debra Hill. Nachdem mir schon Roger Corman gesagt hatte, dass ich gut bin, sagte mir auch noch eine Frau, dass ich gut bin.»
Und wie wichtig war das? «Enorm wichtig! Sie verstand, wie es ist, in einem Business nicht ernst genommen zu werden. Wie reagiert man darauf? Man darf nicht weinen, sonst heisst es, ah, die Frau ist zu emotional, mit der können wir nicht arbeiten. Dabei war es genau die Absicht, einen zum weinen zu bringen. Man darf aber auch nicht laut werden, sonst heisst es, die Frau ist hysterisch. Vor jedem wichtigen Meeting traf ich sie und wir trainierten jede mögliche Situation. Sie hatte immer die besseren Ideen als ich.»
Hat sie als Produzentin auch schon mal einen Film mit ihrem Recht auf den Final Cut, quasi das Durchschneiden der Nabelschnur zwischen Regie und Leinwand, ruiniert? «Ich habe selbstverständlich das Gefühl, jeden meiner Filme besser gemacht zu haben, aber gewisse Regisseure sehen das anders.»
Um die Zukunft von Fiktion und Dokumentation im Streaming-Universum macht sie sich keine Sorgen, das sei immer noch ein «goldenes Zeitalter». Um die Zukunft des Kinos, seiner Häuser und seiner Festivals schon. Es müsse unter allen Umständen vermieden werden, dass die Kinos nur noch Blockbuster zeigen, weil alles andere nicht mehr rentiert.
«Ich persönlich liebe Arthouse-Filme, ich will nicht, dass sie aus dem Kino verschwinden. Aber alles ist eine Frage der Ökonomie. Fürs Kino ist das Zusammenfallen von Covid und gesteigertem Streaming-Konsum eine riesige Katastrophe. Und deshalb ist es wichtig, dass wir alle so schnell wie möglich wieder in die Kinos strömen und beweisen, dass auch andere Filme ihre Daseinsberechtigung haben.»