Paz de la Huerta sagt, sie habe mit Hollywood und Amerika gebrochen. Heute lebt die Schauspielerin aus New York mit ihrem Freund, einem spanischen Regisseur, in Madrid und will eine Familie gründen. Bekannt wurde sie 1999 als 14-Jährige in «The Cider House Rules» von Lasse Hallström. Ab da habe die Belagerung durch Hollywood-Modul Harvey Weinstein begonnen, sagte sie 2017 im Magazin «Vanity Fair». 2009 feierte sie ihren Durchbruch in «Enter the Void» von Gaspar Noé.
2010, während er Dreharbeiten zu Martin Scorseses HBO-Serie «Boardwalk Empire», wird sie zweimal von Weinstein vergewaltigt. Danach verliert sie ihren Job bei HBO. Kurz vor ihrer Entlassung erscheint ein Foto von Weinstein und Scorsese in der «New York Times». Im März 2011 versucht sie, Weinstein zu konfrontieren, im Oktober 2011 wird sie während der Dreharbeiten zu «Nurse 3D» schwer verletzt. Auf Videoaufnahmen ist zu sehen, wie ein Krankenwagen seine Fahrtrichtung ändert und die Schauspielerin plötzlich rammt. Dies ist das Gespräch mit einer Frau, die überlebt hat. Durch ihre Kraft, ihre Kunst und ihren Glauben an den Glauben.
Ms de la Huerta, was führt Sie ausgerechnet in die langweilige Schweiz?
Ich arbeite seit zehn Jahren an meinem Filmprojekt «The Valley of Tears». Es erzählt meine Autobiografie im Gewand eines Märchens. In der Bibel kommt das Tal der Tränen in einem Psalm über das Ende des Leidens vor. Und über die Trübsal, die wir erleben müssen, bevor wir die Himmelspforte durchschreiten. In der Schweiz suche ich jetzt nach einem Ort für die letzte Szene. Nach einem See. Seen sind sehr wichtig für mich.
Wieso?
Ich bin katholisch, aber ich praktiziere auch eine afro-brasilianische Religion namens Orishas. Meine Gottheit ist Oshun, die Göttin des Süsswassers. In der letzten Szene meines Films wird sich ihr Kreis – und damit auch meiner – schliessen und sie wird neues Leben gebären. Dafür brauche ich den ruhigsten, klarsten See, den ich finden kann. Und deshalb bin ich in Zürich. Der See hat mich schon immer angezogen. Aber vielleicht brauche ich eher einen Bergsee.
Sie haben eben von Tränen geredet. Die sind auch in Ihrer Malerei sehr präsent. Ihre Bilder sind voller weinender Engel. Ihre Himmel sind damit geradezu tapeziert. Gibt es für Sie eine Kraft in der Traurigkeit?
Ja! Ich glaube, ich habe eine traurige Seele, die alles durchdringt. Auch wenn ich eine glückliche Szene spiele, ist das mein Kern. Ich glaube, jede wahre Künstlerin und jeder Künstler hat eine traurige Seele, deshalb sind wir so empfindsam. Und deshalb müssen wir beschützt werden. Alle grossen Künstler haben sich entweder selbst zerstört oder wurden von der Welt bei lebendigem Leib gefressen. Ja, die weinenden Egel sind allgegenwärtig. Und Kinder. Ich male mir die Kindheit, die ich nicht hatte. Ich betrachte mich als Geschöpf Gottes. Ich bin nicht zwingend das Produkt der beiden Menschen, die mich zur Welt gebracht haben. Die Engel sind aber nicht nur traurig. Sie können auch aus Freude weinen.
Auch Sie wurden bei lebendigem Leib gefressen.
Nun, weil ich nicht beschützt wurde. Ich war jung und ausgeliefert und ich bin erst jetzt von Menschen umgeben, die mich beschützen. Vorher musste ich mich mit Hilfe meiner Kunst therapieren. Wobei therapieren ein hässliches Wort ist.
Es klingt so klinisch.
Klinisch und institutionell. Ich verwende lieber heilen. Ich glaube, alle, die Kunst machen, müssen sich damit heilen. Wer bloss eine Kiste malt, weil sie nett aussieht, ist kein wahrer Künstler. Das muss einen tieferen Grund haben.
Es gab in Ihrem Leben nicht nur die psychische, sondern auch die grosse physische Verletzung.
2011 wurde ich während eines Drehs von einem Stunt-Fahrer mit einem Krankenwagen umgefahren und schwer an meiner Wirbelsäule verletzt. Zweieinhalb Jahre lang erhielt ich eine Fehldiagnose um die andere, schliesslich hatte ich die rettende Operation in Los Angeles. Am Vorabend dieser Operation besuchte ich einen Freund. Er besass dieses magische Palmblatt. Man musste Geldscheine zerreissen und sich vom Blatt etwas wünschen. Ich hatte meine letzten fünfhundert Dollar dabei, ich wusste, wenn die Operation nicht funktioniert, dann war's das mit meiner Schauspielkarriere. Ich zerriss mein letztes Geld und wünschte mir Glück.
Sie spielen, malen, modeln – sind Sie süchtig danach, sich auszudrücken?
Ich schreibe auch und mache Musik. Ich finde, dass ich in allem ziemlich gut bin, aber ich bin nicht gut darin, ich selbst zu sein. Also in einer Interview-Situation wie dieser hier. Ich liebe es, mich hinter Figuren oder in einem kreativen Prozess zu verstecken.
Sie können aber ziemlich gut über sich reden.
Nun, vielleicht spiele ich jetzt gerade eine Figur, die Sie nicht kennen … Ich werde bald 37 und ich möchte nichts lieber, als Hausfrau und Mutter zu sein, den ganzen Tag zuhause zu sitzen, meine Haare zu machen und zu shoppen. Ich WILL nicht Kunst machen. Aber ich MUSS. Es ist für mich eine Notwendigkeit, um bei Trost zu bleiben. Betrachten Sie mal die Tarot-Karte des Sterns: Da giesst eine nackte Frau einen Garten mit ihrem Blut. Und sie vergiesst so viel Blut, dass alle Pflanzen sterben. Das ist es doch, was ein echter Star macht: Sich ohne jede Rücksicht zu verschwenden. Deshalb brauche ich immer wieder Phasen, in denen ich mich erholen und wieder aufladen muss. Und dann verschwende ich mich von neuem. Ich kann nicht anders. Vielleicht endet das, wenn ich Mutter werde. Wenn ich spiele, male oder schreibe, dann spricht Gott durch mich. Und ich weiss nie, was er für mich vorgesehen hat, das ist immer eine offene Frage.
Ihre Beziehung zu Gott …
… ist sehr intensiv.
Beten Sie auch?
Natürlich. Ich bete jeden Morgen und jede Nacht, und wenn es nötig ist, wie in den letzten Jahren, sehr, sehr oft.
Und antwortet er?
Ja. Gott kümmert sich um mich. Gott ist gut.
Die Motive ihrer Bilder sind oft Weiblichkeit, Verletzlichkeit, Reinheit.
Reinheit gefällt mir gut. Ein Mann hat mal über mich gesagt: «Deine Reinheit ist unzerstörbar.» Daran halte ich mich fest. Und die reinen, nackten, mütterlichen Figuren heilen mich auch von den Verletzungen, die mir meine eigene Mutter zugefügt hat. Ich musste meine Mutter durch die Jungfrau Maria ersetzen.
Möchten Sie darüber reden?
Nicht wirklich. Nur so viel: Um meiner Mutter vergeben zu können, musste ich französisch sprechen. Ich sagte zu ihr: «J’ai pardonné.» Anders hätte ich es nicht tun können. Ich musste mich distanzieren. Können wir für einen Augenblick der Natur zuhören? Und dem Fluss? Es ist so schön hier! Sie haben mich zu Oshun gebracht! Ich zitiere gerade Marlon Brando. Er sagte mal mitten in einem Interview: «Schauen Sie sich dieses Blatt an!», bloss um das Thema zu wechseln.
Vielen Dank, ich sehe Ihre Taktik.
Stellen Sie sich doch einmal vor, wie es wäre, wenn Sie den See befragen könnten!
Was würde er mir sagen?
Wer, Brando?
Nein, der See!
Oh, das ist zu persönlich. Er würde vielleicht über Reinheit reden. Und über das Verzeihen.
Darf ich persönlich werden? 2019 sind Sie als eines von Weinsteins Opfern im Dokumentarfim «Untouchable» zu Wort gekommen.
Ich war nicht gesund, als ich vor die Kamera trat und ich fühlte mich ausgenutzt. Es war nicht mein Fehler, dass ich so kaputt war – wieso, wird sich zu einem späteren Zeitpunkt klären. Jetzt läuft noch meine Zivilklage gegen Weinstein in Los Angeles, deshalb darf ich nicht genauer darüber reden. Aber man machte, dass ich krank wirkte und unzurechnungsfähig. Schauen Sie sich mein Gesicht an – im Film ist es aufgequollen und hässlich, ich sehe heute total anders aus. Leute, die Weinstein beschützten, machten mich mit Absicht krank, damit ich über gewisse Aspekte meiner Geschichte nicht rede. Und damit ich verrückt wirke und man mir nicht glaubt. Ich wurde öffentlich verleumdet, das begann schon vor der Vergewaltigung. Ich sollte fragil wirken, auf Drogen, eine Alkoholikerin. Die Verleumdungen sind auch heute noch im Gang.
Sie sahen tatsächlich sehr schlecht aus im Film, aber Sie haben sehr gut geredet. Sie waren die Einzige, die ihre Situation auch analytisch beschreiben konnte. Wie Sie während Ihrer Vergewaltigung über Ihrem Körper schwebten. Wie lange sie brauchten, um Ihren Körper wieder zu Ihrem Zuhause zu machen. Das war ungemein berührend.
Ach wie schön. Ich bin also auch gut, wenn es mir beschissen geht.
Ich habe damals Ursula MacFarlane, die Regisseurin von «Untouchable» interviewt, wir haben über Sie gesprochen und mussten mitten im Interview beide kurz weinen.
Hoffentlich hat meine Selbstaufopferung ein paar Frauen geholfen. Dann bin ich glücklich. Das ist der einzige Sinn im Leben: Sich selbst zu heilen und anderen zu helfen. Was Männer wie Weinstein getan haben, ist unmoralisch, böse und kriminell. Das ist unentschuldbar. Und nur weil er jetzt im Gefängnis sitzt, heisst das nicht, dass er aufgehört hat, Leute zu verletzen. Er ist noch immer sehr mächtig. Und nicht nur in Amerika. Ich glaube auch, dass mein Unfall von 2011 kein Zufall war. Aber jetzt geht es mir besser. Und bald habe ich Geburtstag. Sehe ich sehr müde aus?
Überhaupt nicht.
Ich fühle mich heute wie Marilyn Monroe. Sie wirkte immer etwas verwirrt. Ich habe vieles mit ihr gemeinsam.
Sie werden 37. Sie haben Marilyn Monroe überlebt.
Ja. Ich bin gerne eine Überlebende. Ich bin vorsichtig geworden. Früher bin ich in meinem Leben rumspaziert wie das leichtgläubigste, verletzlichste kleine Mädchen. Aber vor der Kamera war ich alert, ein menschlicher Lügendetektor. Da entging mir nichts. Heute versuche ich mein Leben so zu leben, als ob ich ständig vor einer Kamera stünde. Ich merke, wenn mich jemand belügt.
Die Religion heisst Candomblé und deren Gottheiten nennt man Orishas. Oshun ist eine davon.
"Paz de la Huerta während unseres Gesprächs an der Limmat. Gewässer sind für sie wichtig."
Ich denke Gewässer sind für uns alle wichtig, wenn nicht lebensnotwendig.