Zwei Frauen, zwei Methoden. Im Umgang mit #MeToo. Ihre Erfahrung: identisch. Beide sind sehr früh in ihrer Karriere, die eine fast noch als Kind, von Regisseuren sexuell belästigt worden. Ihre Namen: Reese Witherspoon und Adèle Haenel. Die Amerikanerin und die Französin.
Beide stehen jetzt gerade im Rampenlicht mit Projekten, die sich ganz klar gegen jene alte Supermacht namens struktureller Sexismus wenden: Haenel in der lesbischen Liebesgeschichte «Portrait de la jeune fille en feu», Witherspoon in der Apple-TV-Serie «The Morning Show» mit Jennifer Aniston und Steve Carell.
«The Morning Show» ist die bis jetzt direkteste Auseinandersetzung eines amerikanischen Unterhaltungsformats mit #MeToo: Eine Morgenshow-Moderatorin (Aniston) verliert ihren Co-Moderator (Carell), er soll mehrere Frauen sexuell belästigt haben. Die neue Co-Moderatorin (Whiterspoon) beschliesst, die Schweigemauern des TV-Senders vor laufender Kamera einzureissen und mit der Kultur der Komplizenschaft Schluss zu machen. Ungefähr so.
Eine Serie, der man die etwas hastig und cheap revidierten Drehbücher anmerkt, denn als sich 2017 #MeToo erhob, beschlossen Aniston und Witherspoon, dass der bereits bestehende Plot der «Morning Show» von Grund auf umgeschrieben werden müsse. Trotzdem ist das gute, schnelle Unterhaltung, mit einem schon fast hysterisch entfesselten Cast.
Kurz nach den ersten Aussagen gegen Harvey Weinstein im Herbst 2017 erzählte Witherspoon, wie sie als 16-Jährige von einem Regisseur sexuell belästigt worden war und wie ihre Agenten und Produzenten sie aufgefordert hatten, darüber zu schweigen. «Sie liessen mich spüren, dass Schweigen eine Voraussetzung für meinen Job war.» Die Namen der Regisseure, Agenten und Produzenten nennt sie bis heute nicht.
Der «Guardian» fragte sie zum Start von «The Morning Show», ob sie nicht bereue, sich als einflussreiche Schauspielerin und Produzentin nicht schon früher geäussert und damit jüngere, unbedeutendere Kolleginnen unterstützt zu haben. Und ob die Menschen, die sie missbraucht und manipuliert hätten, heute noch in der Filmindustrie tätig seien. Witherspoons Antwort auf beide Fragen: «Ummm, no.»
Das kann man nun ungenau, feige, ausweichend finden. Gerade im Vergleich mit Haenel. In «Portrait de la jene fille en feu» ist sie als junge Adelige aus dem 18. Jahrhundert im Kino zu sehen, die mittels eines schmeichelhaften Porträts an einen reichen Mann verheiratet beziehungsweise verkauft werden soll. Sie verliebt sich in die Malerin des Porträts. Ein Film und eine Liebe ohne Männer.
Haenel tritt nun mit dem Namen eines, ihres «Predators» an die Öffentlichkeit: Als sie 12 Jahre alt war, begann ein drei Jahre lang anhaltendes Martyrium der Zudringlichkeiten durch den damals 36-jährigen Regisseur Christophe Ruggia, mit dem sie ihren ersten Film «Les diables» drehte. Anfassen, Küsse, Besuche auf ihrem Hotelzimmer – alle sahen es, einige empörten sich, niemand sagte ein Wort.
Sieben Monate lang recherchierte das französische Investigativportal Mediapart gegen Ruggia, 36 Zeuginnen und Zeugen wurden befragt, 23 von ihnen lassen sich namentlich zitieren, Zweifel gibt es keine, der Damm ist gebrochen.
Im Gegensatz zu Witherspoon betrachtet Haenel die Offenheit gegenüber der Öffentlichkeit als ihre Pflicht. Sie ist damit die erste prominente französische Schauspielerin. In Frankreich löst dies ein Erdbeben aus. Bisher forderten Säulenheilige des französischen Kinos wie Catherine Deneuve die jungen Kolleginnen auf, allgemein härter im Nehmen zu sein, und warnten vor einer medialen Lynchjustiz. Und die Filmwelt schwieg. Verhielt sich so wie Witherspoons Agenten und Produzenten.
Prominente Französinnen wie die Oscarpreisträgerin Marion Cotillard feiern Haenel nun für ihren Mut. Dafür dass sie Jüngeren, Ohnmächtigeren, weniger Privilegierten nun einen Boden der Glaubwürdigkeit bereitet.
Und Witherspoon? Muss man sie wirklich verurteilen für ihre Weigerung einer präziseren Stellungnahme und Namensnennung? Das französische Magazin «Télérama» schreibt, Haenel habe «ihre persönlichen Leiden zur Autopsie freigegeben – für das Gemeinwohl». Witherspoon hat sich dagegen entschieden. Und? Darf sie das? Natürlich. Es gibt keinen Imperativ, das Private öffentlich zu machen. Und letztlich auch keinen, sich selbst zu entäussern, um andern zu helfen.
Witherspoon versucht seit Jahren, die strukturellen Geschlechter-Verkrustungen Hollywoods von einer andern Seite her aufzuweichen – und dies mit Erfolg. Indem sie als Produzentin Stoffe von, für und mit Frauen fördert. Sie verantwortet David Finchers Hit-Thriller «Gone Girl» nach dem Roman von Gillian Flynn, die HBO-Serie «Big Little Lies» mit Nicole Kidman und Meryl Streep (Thema: Missbrauch) und jetzt eben «The Morning Show» mit Jennifer Aniston. Man darf ihr das wirklich zu Gute halten. Und Haenels tapferen Stunt gleichzeitig bewundern. Beides ist wirkmächtig.
Das finde ich übergriffig.
Und dass sie es würdigen wie die beiden Frauen Ihren Weg gefunden haben etwas zu bewegen!