Die Frauen haben perfekte Brüste, ein riesiges Mundwerk und eine von ihnen hat auch noch ein höchst effizientes Gebiss. Weil sie eine Vampirin ist. Allerdings eine, die in der Wüste ausserhalb von L.A. lebt, dort, wo die Sonne besonders erbarmungslos ist. Aber auch Vampire müssen etwas mit der Zeit gehen, und die schöne Beisserin in «The Velvet Vampire» (1971) von Stephanie Rothman hat zwar noch mit Kruzifixen, aber nicht mehr mit dem Sonnenlicht ihre Probleme. Vampirin Diane Le Fanu lockt attraktive junge Menschen in ihre Wüsten-Villa und vernascht sie bis zum süssen Tod.
In anderen Filmen von Stephanie Rothman, etwa in «The Student Nurses» (1970) und «The Working Girls» (1974), geht es um komplett versexte urbane Wohngemeinschaften voller angehender Krankenschwestern oder Stripperinnen und anderer Künstlerinnen. Es sind süffige Filme voller scharfer, schlagfertiger Dialoge, ein Spass.
Die Frauen sind wunderschön. Die Männer nicht viel weniger. «Das war die Bedingung», sagt Rothman, heute 87 und wohnhaft in Kalifornien, beim Zoom-Gespräch, «Sex, Gewalt und sehr schöne Frauen. Junge, schöne, liebenswerte Menschen, die sich riesige Mühe gaben und ihren Job sehr ernst nahmen, und deren Karrieren viel zu schnell vorbei waren.»
Verblüht war verblüht und wurde wieder ausgespuckt, das galt für «tausende, die auf eine grosse Karriere hofften», Rothman beschreibt das ganz pragmatisch: «Ästhetische Chirurgie war damals noch nicht in der Filmwelt angekommen, Brustimplantate etwa wurden nur für Brustkrebsüberlebende benutzt, Lippen wurden nicht gespritzt.»
Rothman war DIE B-Movie-Regisseurin der USA. Und auch ihre Karriere war kurz, 1978, mit 42 Jahren, schrieb sie ihr letztes Drehbuch, «danach kriegte ich keinen Job mehr». Weder bei einem grossen Studio noch beim Fernsehen. Weil ihr Geschlecht und ihre Herkunft aus dem B-Movie-Trash doppelt falsch waren. Ihre Biografie ist die Kürzestfassung von Hollywoodsexismus: Denn Stephanie Rothman kam nicht aus dem Nichts, sie war direkt von der Filmschule weg von Roger Corman als seine persönliche Assistentin angeheuert worden, später stellte er sich als Produzent hinter ihre eigenen Regiearbeiten.
Corman war der B-Movie-Horror-King schlechthin, und obwohl Rothman auf der Filmschule andere Ambitionen gehabt hatte (Fellini! Pasolini! Die Franzosen!), fand sie bei Corman erstens überhaupt Arbeit und zweitens etwas, das ihr von Herzen zusagte: «Viel Fun! Die reine Freude am Filmemachen. Selbst die Probleme machten Spass.» Man hatte kein Geld und keine Zeit und konnte sich deshalb auch nicht allzu lange Gedanken machen.
Der Ausdruck «to shoot a movie» hatte da schon beinahe was mit Schnellschussanlage zu tun. Arbeiten in einer Filmfabrik, die Streifen ausspie mit Titeln wie «Humanoids from the Deep», «Attack oft the Crab Monsters», «Naked Paradise», «Teenage Doll», Monster, nackte Frauen, Extraterrestrisches in den wildesten Kombinationen. Es war eine schnelle, billige, kreischende Welt, welche die Absenz grosser Stars durch unzimperliche Grenzüberschreitungen wettmachen musste. Die Welt des Exploitation-Cinemas. Die irgendwann verschwand.
Für Roger Corman gab es dafür diesen einen, schicksalshaften, filmhistorischen Moment, der ihm das Ende der B-Movies anzeigte: Als Spielberg 1975 «Der weisse Hai» in die Kinos brachte. «Als ich ‹Jaws› gesehen hatte, wusste ich, okay, jetzt sind Billig-Horror-Filmer wie ich in Schwierigkeiten. Der Film hatte nicht nur ein viel grösseres Budget als wir, der Film war auch viel besser. Als dann wenig später ‹Star Wars› herauskam, wusste ich: Jetzt sind wir am Ende», sagte er gegenüber watson 2016 am Filmfestival Locarno. Auch andere Jungtalente hinter der Kamera gingen durch die Schule von Corman: Martin Scorsese, James Cameron und Francis F. Coppola. Keiner von ihnen ging vergessen. Weil sie Männer waren.
Rothmans Filme widmen sich bei aller erotischen Effekthascherei vielem, was damals, um 1970, Amerika bewegte: Migration, Drogen, das Recht auf Abtreibung, der Vietnamkrieg, Armut, Kriminalität, die Nonkonformität und der Protest junger Leute. Oft geht es in ihren Filmen auch um Freundschaften, um Solidarität, um junge Erwachsene, die sich gegenseitig dabei helfen, einander erfolgreich ins Leben hinauszukatapultieren.
Sehr oft enden ihre Filme nach gröberen Komplikationen enorm optimistisch – ausser in «The Velvet Vampire», «da musste ich mich einfach an die Genre-Regeln des Vampirfilms halten. Aber ich möchte an dieser Stelle Sartre zitieren, er sagte: Auch wenn die Welt schrecklich scheinen mag, ich habe Hoffnung». Hatte sie mehr Hoffnung, als sie jung war? «Nein, ich denke, es ist härter, Hoffnung zu haben, wenn man jung ist. Man sieht dann so viele unüberwindbar hohe Hindernisse vor sich. Wenn man älter ist, weiss man: Die Dinge ändern sich. Einige zum Schlechteren, einige zum Besseren, aber sie ändern sich tatsächlich.»
Rothmans Filme sind durchdrungen vom Hippie-Spirit jener Zeit, hinreissend sorglos. Sex, Drugs – und nicht so viel Rock’n’Roll, aber Autos, lange Fahrten irgendwohin, vermutlich in Richtung Freiheit. «Ich liebe Autos», sagt Rothman, «erstens, weil ich die längste Zeit meines Lebens in Südkalifornien verbracht habe und Autos ein wichtiger Teil unseres Lebens sind, zweitens liebe ich Autos als mobile Skulpturen, ihr Design, wie sie sich über die Jahrzehnte entwickelt haben. Mein Lieblingsauto ist mein eigenes kleines Auto, es ist heute eher selten, ein zweitüriger Cadillac. Ich besitze ihn seit fünf Jahren und er bleibt wahrscheinlich mein letztes Auto.»
Wer heute eine Sexszene dreht, beschäftigt eine oder einen Intimacy Coordinator. Die vielen Sexszenen in Rothmans Filmen sind intim, sind zärtlich, sind nicht die kürzesten. Wie hat sie sich dem Problem genähert? «Mein Mann Charles S. Swartz, der alle meine Filme mitproduzierte, und ich waren unsere eigenen Intimacy Coordinators. Wir haben den Schauspielerinnen und Schauspielern die entsprechenden Szenen so komisch wie möglich vorgespielt, bis alle lachen mussten. Und der Kameramann zeigte ihnen ein Foto, auf dem er und sein Assistent nackt waren. Alles war sehr lustig, und die Stimmung beim Dreh hätte nicht heiterer sein können.»
Es gibt das Gerücht, dass sie der erste Mensch im amerikanischen Mainstreamkino war, der nicht nur Frauen, sondern auch Männer ganz nackt zeigte. «Ach, ob ich die erste war, weiss ich nicht, aber ich habe darauf bestanden, genauso viel männliche wie weibliche Nacktheit zu zeigen. Ich hasste diese Filme, meist waren sie von Männern, in denen Frauen nackt und Männer immer angezogen oder bedeckt waren. Das war für mich, wenn ich das so sagen kann, ein äusserst nackter Ausdruck von Macht. Deshalb entschied ich mich, das auszugleichen.»
Es gibt viel einvernehmlichen, aber auch nicht einvernehmlichen Sex in Stephanie Rothmans Filmen. Es gibt harte Themen wie Abtreibung oder die Diskriminierung mexikanischer Immigranten. Und dann gibt es enorm viele Pointen, etwa, wenn die Vampirin in «The Velvet Vampire» ihren künftigen Opfern Steak Tatar serviert, oder wenn eine Stripperin in «The Working Girls» während ihres Auftritts überlegt, wie sie ihre Gartenmöbel neu arrangieren könnte. «Ich habe immer gerne Komödien geschrieben», sagt Rothman, «und ich wusste, dass man jede Figur für ein grosses Publikum zugänglicher und sympathischer macht, wenn sie das Publikum zum Lachen bringt.»
Als Rothman Film studierte, gab es in ihrer Klasse zwei Frauen, eine war sie, die andere war Captain bei der Air Force. «Sie studierte, um später irgendwo im Ausland ein Filmstudio zu eröffnen, das die Abenteuer der Air Force dokumentierte.» Rothman selbst wurde kurz nach der Filmschule von Corman engagiert: «Er suchte einen Assistenten, und einer meiner Lehrer schlug mich vor. Rogers Assistentin zu sein, war grossartig, ich machte für ihn Drehbuch-Recherchen, ich schnitt Filme, ich half beim Dreh, er ermöglichte mir alles, was es brauchte, um selbst Regie zu führen. Nach neun oder zehn Monaten sagte er, wie wär's, möchtest du nicht mal selbst einen Film schreiben und drehen?» Daraus wurde dann der Strandfilm «It’s a Bikini World».
Ihr nächster eigener Film war «The Student Nurses» – vier schöne junge angehende Krankenschwestern erleben turbulente Abenteuer zwischen Hure und Beinaheheiliger. «Krankenschwestern galten damals als ungeheuer sexy», sagt Rothman, «als ideale erotische Projektionsfläche, sie kümmerten sich liebevoll um Patienten und durften diese von Berufs wegen auch intim berühren. Das durften sonst nur Prostituierte oder Ehefrauen und Mütter.» Der Film kostete 140'000 Dollar und spielte ein Vielfaches ein, wie viel weiss Rothman nicht mehr, in einem älteren Interview redete sie von «mehreren Millionen».
Nach ihrem Ausscheiden aus der Filmwelt arbeitete die als Lobbyistin für eine Lehrer-Gewerkschaft, dann erbte sie etwas Geld und wurde Immobilienunternehmerin. 1999 wurde sie wiederentdeckt, ausgerechnet am Filmfestival Locarno, Roger Corman hatte den damaligen Festivaldirektor überredet, eine Rothman-Retrospektive zu zeigen. Seither wird sie als Vorreiterin heutiger Hollywood-Regisseurinnen gefeiert. «Ich habe keine Kinder, die Filme sind meine Kinder, und es bringt mir grosse Genugtuung, wenn ich daran denke, dass sie einmal bleiben werden, wenn ich nicht mehr bin. Es macht mich aber auch traurig. Ich hätte gerne noch mehr Filme gemacht.»
Ihr Mann starb 2007, Roger Corman Anfang Mai 2024. Stephanie Rothman, ihre Filme und ihr zweitüriger Cadillac haben beide überlebt.
Die Filme von Stephanie Rothman sind ab dem 16. August im Zürcher Filmpodium zu sehen. Sie selbst wird am 16. August um 20.15 Uhr im Filmpodium zu Gast sein.
„Und der Kameramann zeigte ihnen ein Foto, auf dem er und sein Assistent nackt waren.“
Tönt jetzt nicht unbedingt nach Müssen. Sondern eher nach einer ziemlich coolen Freiwilligen-Aktion.