Kluge Kinder leben länger: Das liegt auch an den Genen
Es war der 1. Juni 1932, als in Schottland ein ungewöhnliches Experiment begann. Fast 90’000 elfjährige Schülerinnen und Schüler mussten zu einem Intelligenztest antraben. Ziel war es, die Verbreitung geistiger Behinderungen zu erfassen und zugleich ein Bild der allgemeinen Intelligenzverteilung zu zeichnen. Jahrzehnte später werteten Forschende die Lebensdaten von einem Teil dieser Studiengruppe aus.
Die Ergebnisse waren bemerkenswert: Die einst klugen Kinder lebten länger. Diejenigen hingegen, die damals beim Test 15 IQ-Punkte unter dem Durchschnitt lagen, hatten ein um 21 Prozent höheres Risiko, vor dem 76. Lebensjahr zu sterben. Besonders häufig litten sie an Herz- und Krebserkrankungen, also Krankheiten, die stark mit Lebensstil und Verhalten zusammenhängen. Der Zusammenhang zwischen Intelligenz und Lebensdauer blieb selbst dann bestehen, wenn die soziale Herkunft herausgerechnet wurde. Das wurde in zahlreichen späteren Untersuchungen bestätigt.
Wohl kein Zufallsbefund
Zweifellos hängt der Erwerb von Intelligenz auch von der Umgebung ab, in der ein Kind aufwächst. Kinder, die in sicheren und anregenden Verhältnissen aufwachsen, schneiden in IQ-Tests tendenziell besser ab als Gleichaltrige aus benachteiligten Haushalten. Doch der Einfluss der Gene ist ebenso unbestritten. Zwillingsstudien legen nahe, dass 50 bis 80 Prozent der Unterschiede in der allgemeinen Intelligenz genetisch bedingt sein könnten.
Nun haben die Psychologen David Hill und Ian Deary von der Universität Edinburgh belegt, dass der Zusammenhang zwischen Intelligenz und Lebensdauer tatsächlich nicht nur sozial, sondern auch genetisch erklärbar ist. Dafür analysierten sie zwei grosse Datensätze: Einen mit Informationen zur geistigen Leistungsfähigkeit von Kindern (mehr als 12’000 Personen), einen zweiten mit Angaben zur Lebensdauer der Eltern (rund 390’000 Personen). Die statistische Auswertung ergab eine signifikante genetische Korrelation. Wer als Kind besonders leistungsfähig ist, dessen Eltern leben statistisch signifikant länger. Zufall? Eher nicht, schreiben die Forscher im Fachblatt «Genomic Psychiatry».
Gene wirken doppelt
Sie vermuten, dass bestimmte Gene zwei Merkmale beeinflussen. In diesem Fall sowohl die kognitive Leistungsfähigkeit als auch die körperliche Widerstandskraft. Man spricht dabei von sogenannter Pleiotropie. So ist möglich, dass gewisse Erbanlagen sowohl ein leistungsfähigeres Gehirn als auch einen widerstandsfähigeren Körper fördern. Ebenso denkbar ist, dass klügere Menschen im Schnitt gesündere Entscheidungen treffen – und umgekehrt. So zeigen frühere Studien, dass sich Rauchen, ungesunde Ernährung oder nachlässige Medikamenteinnahme bei Menschen mit niedrigerem IQ häufen.
Welche Gene den Zusammenhang zwischen Intelligenz und Langlebigkeit genau steuern, müssen künftige Studien nun untersuchen, wie die schottischen Psychologen festhalten. Und auch, ob und wie sich aus ihren Ergebnissen konkrete Ansätze für Prävention und Gesundheitsförderung ableiten lassen. (aargauerzeitung.ch)
