«Juso will Erben bluten sehen»: Das Streitgespräch zur Erbschaftssteuer
Frau Hostetmann, im Unterschied zu den meisten Ländern gibt es in der Schweiz eine Vermögenssteuer, dank derer Kantone und Gemeinden viel Geld einnehmen. Warum braucht es zusätzlich eine Erbschaftssteuer?
Mirjam Hostetmann: Es ist erwiesen, dass ein Mix aus Vermögens- und Erbschaftssteuer geeignet ist, um die Vermögensungleichheit in der Gesellschaft zu bekämpfen. Dazu braucht es gemäss Ökonominnen und Ökonomen einen Steuersatz für Erbschaften von 50 bis 60 Prozent. Wir wollen die Vermögensungleichheit reduzieren und gleichzeitig Milliarden für den Klimaschutz beschaffen. Die Superreichen verursachen am meisten CO-Emissionen und sollen auch mehr bezahlen für Massnahmen gegen die Klimakrise.
Matthias Müller: Die Jungsozialisten sind Kommunisten. Sie wollen die Erben in der Schweiz bluten sehen. Es geht der Juso weder um Gerechtigkeit noch um den Klimaschutz. Der Staat und die Privatwirtschaft geben bereits zig Milliarden im Kampf gegen die Klimaerwärmung aus. Das ist gut so. Es braucht keine Neidsteuer, die Unternehmen zerstört und Arbeitsplätze vernichtet.
Hostetmann: Erbschaftssteuern sind eine urliberale Idee. Mit Kommunismus hat das nichts zu tun. Erbschaften sind leistungsbefreites Vermögen, das über Generationen weitergegeben wird. Allein in diesem Jahr werden in der Schweiz 100 Milliarden Franken vererbt. In den Kantonen sind die Erbschaftssteuern massiv gesunken. Gerade die FDP sollte sich freuen, wenn sich Leistung lohnt. Die Freisinnigen scheinen neuerdings aber den Feudalismus zu bevorzugen.
Müller: Das Gegenteil ist wahr. Schauen wir hin bei der Vermögenssteuer: Wer 10 Millionen Franken Vermögen hat, bezahlt im Kanton Zürich rund 60 000 Franken Vermögenssteuer pro Jahr. Auf eine Generation hochgerechnet, sind es – ohne Zinsen – 1,8 Millionen Franken. Das entspricht einer Erbschaftssteuer von 18 Prozent. Ist das wenig? Man kann über eine Erbschaftssteuer diskutieren, sofern die Vermögenssteuer aufgehoben wird. Die Jungsozialisten wollen hingegen alles besteuern: Einkommen, Vermögen, und dann soll der Staat am Ende auch noch das Erbe steuerlich halbieren. Das ist starker Tobak.
Frau Hostetmann, die Erbschaftssteuer setzt an einem Punkt an, an dem das Geld schon mehrfach besteuert worden ist, mit der Einkommens- und der Vermögenssteuer.
Hostetmann: Alles Geld wird mehrfach besteuert – auch bei mittleren und tiefen Einkommensklassen. Die Frage ist doch: Was ist der richtige Steuermix? In Durchschnittskantonen bezahlt eine Mittelstandsfamilie mittlerweile so viel an Steuern wie ein Multimillionär im Kanton Zug. In den letzten Jahrzehnten verteilte die bürgerliche Mehrheit ständig Steuergeschenke. Zugleich gehen uns wegen Steuerhinterziehung und Steueroptimierung jedes Jahr Milliarden durch die Lappen.
Was meinen Sie mit Steuerhinterziehung?
Hostetmann: Eine Studie zeigt, dass zwischen 2010 und 2020 in der Schweiz von 156'000 Personen insgesamt 66 Milliarden Franken an Steuern hinterzogen worden sind.
Müller: In der Schweiz bezahlen 2 Prozent der Privatpersonen 52 Prozent der direkten Bundessteuer, also rund 7 Milliarden Franken. 3 Prozent der Unternehmen bestreiten 88 Prozent des Steueraufkommens bei juristischen Personen. Die vermögendsten 10 Prozent in diesem Land bezahlen 86 Prozent der Vermögenssteuer. Unsere Gesellschaft hat viel von den Reichen. Ohne sie gäbe es viel weniger Wohlstand, weniger Bildung, weniger soziale Sicherheit. Frau Hostetmann bezeichnet Reiche aber als Steuerkriminelle und wirft ihnen Steuerhinterziehung vor. Das ist eine verleumderische Behauptung.
Hostetmann: Das reichste Prozent der Bevölkerung ist im Besitz von 45 Prozent des gesamten Vermögens in der Schweiz. In Tiefsteuerkantonen wie Nidwalden sind es sogar 80 Prozent. Zugleich verursachen die zehn reichsten Familien in der Schweiz 90 Prozent des CO-Austosses der ganzen anderen Bevölkerung. Da ist es nur gerecht, wenn sie für Massnahmen zum Klimaschutz bezahlen.
Müller: Wir reden jetzt über die Erbschaftssteuer. Ich finde es skandalös, dass jemand wie Frau Hostetmann, die noch nie einen Arbeitsplatz geschaffen oder nennenswerte Steuern bezahlt hat, erfolgreiche Familienunternehmen niederreissen will. Es gibt Perlen unter den KMU, die gerade bei der Ökologie innovativ sind. Sie sind gefährdet wegen der Erbschaftssteuer der Juso.
Hostetmann: Was erzählen Sie da? Mit dem vorgesehenen Freibetrag von 50 Millionen ist kein KMU in Gefahr. Noch einmal: Wer mehr Emissionen verursacht, soll mehr für den Klimaschutz bezahlen. Die Erbschaftssteuer fällt nach dem Tod einer Person an. Die Millionenerbinnen und -erben erhalten einfach weniger – das ist alles.
Müller: Der vorgesehene Steuersatz von 50 Prozent ist untragbar hoch. Das kommt einer Enteignung gleich. In vielen Fällen bleibt den Erben nichts anderes, als das Unternehmen zu zerschlagen, um die Enteignungssteuer zu begleichen. Oder sie verlassen vorher die Schweiz. Die Zeche bezahlt dann der Mittelstand. Er muss die gewaltigen Löcher stopfen, die aufgerissen werden.
Hostetmann: Bei einer Enteignung wird jemandem etwas weggenommen, und diese Person wird dafür entschädigt. Wir reden hier aber über eine Erbschaftssteuer.
Müller: 50 Prozent, das ist eine Enteignung. Das Eigentum ist in der Schweiz garantiert. Aber die Jungsozialisten verachten Eigentum. Selbst Sozialdemokraten wie Jacqueline Badran sagen, dass diese Initiative «handwerkliche Fehler» habe. SP-Ständerätin Franziska Roth warnt vor den verheerenden Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Solothurn.
Frau Hostetmann, wollen Sie, dass Unternehmen verkauft werden müssen, damit jemand die Erbschaftssteuer bezahlen kann?
Hostetmann: Das ist eine Drohkulisse. Der Freibetrag liegt bei 50 Millionen. Wir reden also von Grosskonzernen. Dazu kommt: Die Reichsten investieren ihr Geld in verschiedene Geschäfte, zum Beispiel in Immobilien. Die können sie verkaufen, wenn sie Geld brauchen. Es steht dem Bundesparlament zudem frei, im Gesetz festschreiben, dass die Steuer über zehn Jahre abbezahlt werden kann. Wie war es in Südkorea? Die Erbinnen und Erben von Samsung hatten eine Steuer von 50 Prozent zu bezahlen. Samsung floriert weiter.
Müller: Das sind absurde Behauptungen. Um die gigantische Erbschaftssteuer zu bezahlen, müssten viele Familien ihre Unternehmen unter Zeitdruck verkaufen. Investoren im Ausland würden sich die Hände reiben.
Hostetmann: Sie wollen nicht über das eigentliche Thema reden: den Klimaschutz. Selbst die Bankiervereinigung meint, dass es künftig jährlich 13 Milliarden Franken brauche in diesem Bereich. Der Staat investiert aber nur 2 Milliarden pro Jahr in den Klimaschutz. Wenn die verantwortlichen Superreichen jetzt keinen Beitrag leisten, wird das vor allem den Mittelstand künftig viel kosten.
Müller: Es nützt doch dem Klima nichts, wenn erfolgreiche Familienunternehmen ins Ausland verkauft werden.
Hostetmann: In Norwegen stiegen die Einnahmen, seit die Steuern für Reiche erhöht wurden. Wir machen keine Initiative gegen unsere eigenen Interessen.
Es gibt mehrere Studien über die wahrscheinlichen Folgen einer Annahme der Initiative. Gemäss einem Szenario könnten die Steuereinnahmen sinken.
Hostetmann: Der Ökonom, der für den Bundesrat ein Gutachten geschrieben hat, verweist darauf, dass wesentliche Daten fehlen. Über das Vermögen der Pauschalbesteuerten in der Schweiz wissen wir zum Beispiel nichts. Es wurden auch keine Massnahmen gegen Steuervermeidung einberechnet. Höhere Steuern führen zu höheren Steuereinnahmen, das ist eine simple Gleichung.
Müller: Die unabhängige Studie im Auftrag des Bundesrats zeigt: Bei einer Annahme der Initiative könnte bis zu 93 Prozent des potenziellen Steuersubstrats abwandern. Die Eidgenössische Steuerverwaltung rechnet sogar mit bis zu 98 Prozent. Die Steuerausfälle könnten sich auf 3,7 Milliarden Franken belaufen. Aber nehmen wir einmal die Optik der Juso ein.
Gelingt Ihnen das?
Müller: Ich gebe mein Bestes. Gehen wir davon aus, dass trotz der konfiskatorischen Erbschaftssteuer kein Vermögender die Schweiz verlässt: Der Staat würde alle dreissig Jahre das Gesamtvermögen einer Familie halbieren. Die Erträge aus den Einkommens- und Vermögenssteuern würden in der Folge ebenfalls massiv sinken.
Hostetmann: Die Personen, die besteuert würden, habe ein Durchschnittsvermögen von 200 Millionen Franken. Der Freibetrag läge bei 50 Millionen. Das ergibt einen Steuersatz von 37,5 Prozent. Die Roche-Erbin Gigi Oeri fliegt drei Stunden im Privatjet herum und verursacht damit so viele Emissionen wie ich in einem ganzen Jahr. Also ist es nur gerecht, dass sie mehr für den Klimaschutz bezahlt.
Müller: Die Privatfliegerei macht 0,05 bis 0,1 Prozent am gesamten Ausstoss an CO aus. Darum soll eine Erbschaftssteuer von 50 Prozent erhoben werden? Darum sollen erfolgreiche Unternehmer enteignet werden? Unternehmer, die viel zum Wohl des Landes beitragen.
Hostetmann: Der Luxuskonsum macht anteilsmässig nicht so viel aus, das stimmt. 85 bis 95 Prozent der Emissionen, die von Superreichen verursacht werden, gehen auf klimaschädliche Investitionen zurück. Hier setzen wir an. Eigenverantwortung funktioniert da nicht, darum braucht es andere Massnahmen.
Die Stimmberechtigten des Kantons Zürich haben griffigere Klimamassnahmen gerade abgewiesen.
Hostetmann: Es braucht einen Klimaschutz, der von jenen finanziert wird, welche die grössten Schäden verursachen. Das tun wir mit unserer Initiative. Die Superreichen müssen ihre Verantwortung übernehmen, das findet mittlerweile die Mehrheit der Bevölkerung. Allein in der Schweiz gibt es jeden Sommer wegen der Klimakrise mehrere Hundert Hitzetote. Wir können nicht untätig bleiben.
Müller: Die Bevölkerung will einen vernünftigen Klimaschutz, der auf Marktwirtschaft, Innovation und Technologie setzt. Die verrückten Ideen der Juso tragen aber dazu bei, dass der Klimaschutz aufgeschoben wird, weil die Schweizerinnen und Schweizer extreme Massnahmen ablehnen.
Zurück zur Erbschaftssteuer: Welche Erträge wird sie bringen?
Hostetmann: Wir rechnen mit 6 Milliarden Franken pro Jahr.
Müller: Die Prognosen des Bundesrates und der Steuerverwaltung lassen vielmehr einen Ertrag von maximal 650 Millionen erwarten – und gleichzeitig einen Ausfall von bis 3,7 Milliarden. Ergibt ein Minus von rund 3 Milliarden.
Die Initiative der Jungsozialisten verlangt, dass Bund und Kantone eine Umgehung der Steuer verhindern. Was bedeutet das?
Hostetmann: Der Bund muss Massnahmen gegen Steuervermeidung ergreifen. In Deutschland hat sich eine Wegzugsteuer als effektiv erwiesen. Das könnte man auch in der Schweiz einführen.
Müller: Die Juso will die Menschen anketten, damit sie sich nicht gegen die Enteignung wehren können. Der Bundesrat erachtet eine Wegzugsteuer für klar unzulässig, weil sie gegen grundlegende Rechte wie die Niederlassungsfreiheit verstösst.
Hostetmann: Die steigende Vermögensungleichheit scheint kein Problem für Herrn Müller zu sein, obwohl sie unsere Gesellschaft destabilisieren wird – das sieht man gerade eindrücklich in den USA. Die 300 Reichsten in der Schweiz haben ihr Vermögen in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt, auf 830 Milliarden. Die Hälfte der Bevölkerung in diesem Land hat derweil ein Vermögen von 7700 Franken im Durchschnitt.
Müller: Sie erzählen Märchen. Das Verhältnis zwischen den Reichen und dem Mittelstand ist seit Jahren stabil in der Schweiz. Die Vermögen wachsen für alle. Die Chancen auf wirtschaftlichen Aufstieg sind gut. Wir haben ein progressives Steuersystem – darum liefern die Reichen hohe Abgaben an den Staat ab. Die besten Steuerzahler zu vertreiben, wie die Juso das will, ist ein Präzisionsschuss ins eigene Knie.
Hostetmann: Ja, das Vermögen der ärmeren Hälfte ist gestiegen: von 2500 auf 7700 Franken. Das ist 26'000mal weniger als die 200 Millionen Franken Durchschnittsvermögen ganz oben.
Herr Müller, es gibt Ökonomen, die Erbschaftssteuern für unproblematisch halten, weil sie dem Leistungsprinzip nicht zuwiderlaufen.
Müller: Wir haben bereits eine sehr hohe Vermögenssteuer. Und ich finde: Erben ist Privatsache. Und Erben ist etwas Gutes. Jemand hat für die nächste Generation gespart und vorgesorgt. Das Erbe soll daher ungeschmälert übertragen werden können.
Hostetmann: Sie sind gegen eine gerechte Gesellschaft. Mit unserer Initiative werden 2500 Personen in der Schweiz nach dem Ableben angemessen besteuert. 50 Millionen kann man auch künftig gratis vererben, und Superreiche geniessen auch sonst Unmengen an Steuerprivilegien.
Müller: Die Juso hat mit der Initiative schon massiven Schaden angerichtet. Die Wirtschaft braucht Planungssicherheit. Vor zehn Jahren hat das Schweizer Stimmvolk eine Erbschaftssteuer klar abgewiesen, nun liegt bereits eine noch extremere Variante vor. Die Unternehmer haben genug von diesem Klamauk und werden irgendwann das Land verlassen. Statt die Familienunternehmen sollte man die Juso enteignen.
Hostetmann: Die FDP will eine ungleiche Gesellschaft und stellt sich gegen effektiven Klimaschutz. Die Partei will jede Gerechtigkeitsdebatte im Keim ersticken, weil sie Politik für die Reichsten macht. (aargauerzeitung.ch)
Die Einnahmen aus der neuen Steuer wären zweckgebunden und müssten für die «sozial gerechte Bekämpfung» des Klimawandels aufgewendet werden.
Auf nationaler Ebene gibt es heute keine Erbschaftssteuer. Diese werden von den Kantonen erhoben, wobei diese die Erbschaftssteuern in den letzten Jahrzehnten reduziert haben. Die Ausgestaltung hängt vom Kanton ab. Ehepartner zahlen nirgends Erbschafts- und Schenkungssteuern. Die direkten Nachkommen wiederum müssen heute nur noch in drei Kantonen Steuern auf Erbschaften bezahlen: Waadt, Neuenburg und Appenzell Innerrhoden. 2022 nahmen Kantone und Gemeinden knapp 1,4 Milliarden Franken an Erbschafts- und Schenkungssteuern ein. Das sind rund 0,6 Prozent des gesamten Steueraufkommens bei Bund, Kantonen und Gemeinden. Die Schweizer Stimmberechtigten befinden am kommenden 30.November über die Initiative der Jungsozialisten. (dk)
