Die einen haben Eier. Vor der ganzen Welt. Die andern nur gerade dort, wo ihnen das wirtschaftlich nicht in die Quere kommt. Also wo ihnen das Queere nicht in die Quere kommt. Eier hatte zum Beispiel am letzten Mittwoch Leon Goretzka, als er beim Spiel in München dem aggressiven ungarischen Fanblock ein Herz zeigte.
Unternull Eier hat weiterhin die Uefa: Vor dem Spiel Portugal gegen Belgien, das am Sonntag in Budapest stattfand, bekräftigte sie, dass Regenbogen-Symbolik im Stadion nicht verboten, weil «nicht politisch» sei. Was umgekehrt bedeutet, dass politische Symbolik verboten ist.
UEFA today informed the Hungarian Football Federation that rainbow-coloured symbols are not political and in line with UEFA’s #EqualGame campaign, which fights against all discrimination, including against the LGBTQI+ community, such flags will be allowed into the stadium.
— UEFA (@UEFA) June 27, 2021
Genau so hatte die Uefa bekanntlich vor dem Match in München argumentiert, als die Allianz-Arena regenbogenfarbig hätte leuchten sollen. Da war die Euro explizit «nicht politisch», und deshalb duldete die Uefa die Beleuchtung nicht. Schliesslich wäre die deutsche Beleuchtung eine direkte Reaktion auf Ungarns homophoben Regierungskurs und also wirklich politisch gewesen. Doch die Uefa sah, dass sie sich entsetzlich unbeliebt machte, denn natürlich war ein Statement gegen den Münchner Regenbogen eines für Viktor Orbans Politik. Schade, dass in München nicht einfach jemand den Schalter umlegte.
Jetzt hat die Uefa München vorgeschlagen, seine Allianz-Arena doch am 28. Juni, dem Jahrestag des Stonewall-Aufstandes in New York, als sich Schwule und Transsexuelle gegen die anhaltende Polizeigewalt erhoben, regenbogenfarbig zu beleuchten. Oder ab dem 3. Juli während der Pride Week. An all diesen Terminen wird in München selbstverständlich nicht gespielt.
Am Christopher Street Day (heuer der 10. Juli) selbst leuchtet das Stadion schon seit Jahren im Regenbogenlook, das haben wir vom FC Bayern München erfahren, der sich wiederum von Qatar Airways sponsern lässt. Und Qatar ist jenes Land, wo wiederum die Fifa die nächste WM veranstaltet und wo auf Homosexualität mehrjährige Gefängnisstrafen und Peitschenhiebe stehen. Da ist es nur konsequent, dass die Fifa heuer nicht wie letztes Jahr einen «Football Pride»-Tag für queere Fans veranstaltet. Es sollen wohl besser nicht allzu viele von ihnen nach Qatar reisen.
Statement von FC Bayern Präsident Herbert Hainer. pic.twitter.com/NJjKpenNfZ
— FC Bayern München (@FCBayern) June 22, 2021
Mit der erlaubten Regenbogen-Symbolik von Budapest dürfte die Uefa übrigens nicht ein paar bunte Fans gemeint haben, sondern vielmehr die Bandenwerbung von Firmen wie VW, die aktuell auch eingefärbt daherkommen und Diversität und Gleichberechtigung demonstrieren. Wir erinnern uns: Eben erst hatte VW einen Shitstorm am Hals, weil sie via Instagram einen rassistischen Werbespot publizierten, in dem ein Schwarzer von einer weissen Hand aus dem Bild geschnippt wird.
Jetzt versucht es der Autohersteller mal mit Pinkwashing. Mit Queerbaiting. Damit also, sich einen politischen korrekten Anstrich zu geben und ein diesbezüglich sensibles, aber kaufkräftiges Kundensegment anzusprechen. Es ist die Taktik, auf die sich gerade alle einigen können. Jedenfalls im Westen. LGBTIQ gibts überall. Von ganz links bis zur AfD. Bereits in der Türkei hört der Regenbogen für Siemens jedoch auf. Und für alle andern spätestens im Nahen Osten.
Wenn Firmen in der westlichen Welt mit dem Regenbogen #Pinkwashing betreiben, sich einer angeblich "gendergerechten" Sprache als Ausdruck höchster Toleranz und Diversität bedienen, aber ansonsten für ihren Gewinn Menschenrechte beiseite lassen. 5/8 pic.twitter.com/4oxCNBmWKY
— LGB Alliance Deutschland (@LGBAlliance_DE) June 23, 2021
Abseits der EM haben anlässlich des «Pride Monats» Juni 24 Firmen in einem ganzseitigen NZZ-Inserat «Das LGBTIQ-Versprechen» abgelegt. Da heisst es: «Wir bewerten deine Arbeit nach vielen Kriterien ... Doch niemals werden wir deine Arbeit danach bewerten, wer du bist oder wen du liebst.» Klingt gut. Aber «wer du bist»? Also auch arm, reich, schwarz oder weiss? Privilegiert geboren oder geflüchtet? Beeinträchtigt oder nicht? Frau, Mann, trans? Unter den Firmen befinden sich ein paar Banken, ABB, Sunrise, Roche, Swisscom, Syngenta und die immerzu diversitätsfreundliche NZZ.
Der Gipfel des Zynismus ist, dass sich im Juni 2021 auch Frontex unter dem Regenbogen niedergelassen hat. Frontex, die europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache, die dafür gesorgt hat, dass unzählige Menschen dorthin zurückkehren mussten, wo sie verfolgt wurden. Etwa für ihre sexuelle Orientierung. Oder ihre Hautfarbe.
Weder in der Schweiz noch in Deutschland gibt es aktuell einen einzigen geouteten Profifussballer. Wer sich als schwul outet, verliert angeblich 90 Prozent seines Marktwerts. Da können noch so viele Banken und Autohersteller ihre Hände in Pink waschen. Männerfussball ist sowas wie die letzte heteronormative Lagerfeuerfeier. Frauenfussball war da immer schon anders.
Es bleibt spannend, ob sich noch während dieser Euro oder danach der eine oder andere Spieler zu outen wagen wird. Vielleicht hat Goretzkas Herz ja einem ganz bestimmten gegolten.
Darum bitte... Verschont den Sport doch einfach von sexuellen wie politischen Messages. Wir kriegen sie doch auch so völlig unfreiwillig tagtäglich um die Ohren gehauen.