Es gibt auch einen Mob der Gutmenschen. Die Feministin Caroline Fourest entlarvt die identitäre Linke in Paris in einer Streitschrift.
22.03.2021, 22:1623.03.2021, 09:19
Stefan Brändle, Paris / ch media
Essays haben oft ein rasches Verfalldatum. «Generation Beleidigt» von Caroline Fourest, vor einem Jahr auf Französisch und nun auch auf Deutsch erschienen und erfolgreich, wird im Gegenteil immer aktueller. Ein paar aktuelle Fälle aus dem französischen Alltag hat die 45-jährige Autorin noch selber berücksichtigen können, darunter die Absage mehrerer Hochschuldebatten auf Druck «identitärer» Gender- oder Antirassismus-Aktivisten.
Im Gespräch erwähnt die linke Ex-Journalistin des Satiremagazins «Charlie Hebdo» einen Fall in Grenoble. Zwei Lehrkräfte wurden dort der «Islamophobie» bezichtigt und in Wandsprüchen namentlich angeprangert. «Ein solcher Vorwurf kann Sie das Leben kosten, wie seit der Ermordung des Lehrers Samuel Paty Ende 2020 bekannt ist», gibt Fourest zu bedenken. Extremisten würden aus dem Wort «Islamophobie» das Recht zu töten ableiten. «Das ist eine toxische Falle.»
Jamaikanischer Reis und Indisches Yoga in Kanada
Die nebenberufliche Filmregisseurin führt Beispiele an, die man auf die USA beschränkt glaubte: Als die französische Künstlerin Camélia Jordana bei der Preisverleihung der Film-Césars in Dreadlocks erschien, lief die «Brigade anti-négrophobie» dagegen Sturm. Sie will verhindern, dass sich weisse Französinnen Afrolocken «aneignen». Fourest freut sich, dass sich die Angegriffene nicht entschuldigt habe – anders als der Modemacher Marc Jacobs, dessen Models ähnlich frisiert aufgetreten waren. «Und das ist wohl erst der Anfang», warnt Fourest.
«Ich bin perplex, wie rasant die ‹Cancel Culture› aus den USA nach Europa importiert wird.»
Die ehemalige Charlie-Mitarbeiterin spricht von «Inquisition» und «Hexenjagd» durch «kleine Stalinisten». Diese «identitären Linksextremen» seien meist Millennials, die nichts mehr mit der Freiheit von Mai 68 am Hut hätten: «Sie denken nur daran, zu zensieren, was sie kränkt oder ‹beleidigt›.»
Ein Generationenkonflikt? Fourest sieht eher einen grundlegenden Disput zwischen Universalisten wie ihr – die von der Gleichheit aller Erdenbürger ausgehen – und «rassialisierten» Multikulturalisten oder Identitären. Letztere wollten nicht, dass ein (weisser) Koch wie Jamie Oliver jamaikanisches Reis serviere, oder dass eine (weisse) Lehrerin in Kanada indisches Yoga anbiete.
Die Universalistin warnt vor völkischem Sektierertum
Über Kreuz liegt Fourest auch mit der in Frankreich bekannten Afrozentristin Rokhaya Diallo: «Sie empört sich als schwarze Frau, um sich sodann zu beklagen, sie werde auf ihre Hautfarbe reduziert.» Warum sich Diallo die «kulturelle Aneignung» schwarzer Attribute – wie etwa Dreadlocks – durch Weisse verbietet, erklärt Fourest im Buch so: «Ihr Zweck ist, zu existieren, und das bedeutet heutzutage, sich für ‹beleidigt› zu erklären.»
Erklärt sich der Widerstand schwarzer Aktivisten gegen jede Form von «Aneignung» aber nicht eher damit, dass Sklaven einmal das «Eigentum» anderer gewesen waren? Fourest lehnt diese Rechtfertigung ab. «In dem Fall müsste man auch schwarz sein, um Bluesmusik spielen zu dürfen. Da landet man bald einmal bei der Rehabilitierung des Begriffs ‹Rasse›, dem Traum aller Nazis.»
Fourest klingt sehr französisch, wenn sie sich selber als «unverbesserliche Universalistin» bezeichnet. Hautfarbe ist für sie kein Thema. Deshalb verbietet die Französische Republik auch ethnische Statistiken und negiert die Existenz unterschiedlicher Herkunft. Frankreich beruht schliesslich, wie Charles de Gaulle sagte, auf der Idee von Gleichheit, Freiheit und Säkularismus. Dieser französische Esprit kennt keine körperbetonten Insignien wie Dreadlocks oder Kopftücher.
Mit ihrem «völkisch-sektiererischen» Ansatz verhelfe die identitäre Linke letztlich nur der identitären Rechten zum Erfolg, warnt sie. (bzbasel.ch)
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Der Regisseur erzählt im Gespräch, warum er in seinem neuen Film ausgerechnet den netten Tom Hanks als Grantler besetzt hat. Und er sagt, was es bräuchte, um einen Blockbuster wie «The Lord of the Rings» in den Schweizer Bergen zu drehen.
Sie sind in Deutschland geboren, als Kind in die Schweiz gezogen, dort im Internat gewesen und mit Anfang 20 in die USA ausgewandert. Was bedeutet Heimat für Sie? Wo fühlen Sie sich zu Hause?
Marc Forster: Meine ursprüngliche Heimat war Davos. Dort bin ich zur Grundschule gegangen, dort habe ich mich in die Berge und die Natur verliebt, dort aufzuwachsen, war ein Traum. Nach der Matura bin ich in die USA ausgewandert, war zuerst in New York, dann in Los Angeles. Ich habe Kalifornien wahnsinnig gerne, aber ich würde nicht sagen, dass das meine Heimat ist. Während ich Filme drehe, bin ich schliesslich meist woanders auf der Welt und nur zwei, drei Monate hier. Insofern sehe ich in meinem Herzen immer noch die Schweiz als Heimat an.