Was haltet ihr eigentlich so von synthetischer Bettwäsche? Viel? Keine Meinung? Nichts? Ich bin für nichts. Zugestossen ist sie mir zum Glück nur einmal. In einem sehr netten Hotel in Hamburg. Leider war es ein Motto-Hotel. Das Motto war «Bordell». Und offenbar gehörte synthetische Bettwäsche zum korrekten Bordell-Dekor. Sie bemühte sich eines royal verschnörkelten Animal Prints.
Nach einer Nacht unter der Fantasy-Animal-Decke, die sich nicht an den Körper schmiegte, sondern sich mit winzigen Stromstössen an ihn klebte und dabei auch noch ein unangenehmes Aquaplaning zwischen Haut und Synthetik produzierte, hatte ich einen Verdacht. Er betraf den Designer. Und ich hatte recht. Die Bettwäsche war von Harald Glööckler. Dem Mann, der aus einem Himmel voll tätowierter Puten auf Deutschland niedergefahren war, um der gelangweilten Hausfrau klar zu machen, dass Geschmack erst gut ist, wenn er schlecht ist.
Wir erinnern uns: Als RTL 2004 zum erstenmal aus Australien sendete, ward die Welt von Ekel geschüttelt. Was da geschah, war nicht zu glauben: Menschen wurden in der Wildnis ausgesetzt! Hungerten! Verrotteten vor unseren Augen! Mussten unaussprechliche Dinge, die auf -aken oder -augen endeten, essen und trinken. Durch Kriechtiere kriechen! Immerzu ihre Ängste überwinden! Der tapfere Selbstüberwinder Costa Cordalis gewann und verarbeitete sein Trauma sofort in einem Song.
Damals dachten die Promis noch, ihre Gespräche würden nicht gesendet. Damals waren sie noch echt überrascht von den Prüfungen. Damals glaubten wir noch an die Authentizität des Ganzen. Es war eine naive Zeit.
Die Unschuld, die auch nur eine vordergründige war, ist längst passé. Jetzt ist das Dschungelcamp oder #IBES («Ich bin ein Star – holt mich hier raus!»), wie der Hashtag heisst, in der zweiten Generation. Jetzt werden Kinder eingestellt. Und Witwen. Costa Cordalis' Sohn – schönheitsoperiert wie der Vater – hätte teilnehmen sollen, konnte aber nicht wegen Corona. Die Witwe von Ex-Dschungelcamper Jens Büchner war schon dabei, jetzt ist es die Witwe von Willi Herren. Die erzählt, dass ihr Willi – «Ich hab noch nie einen Mann so geliebt» – von den Ärzten tablettensüchtig gemacht worden wäre und als Benzodiazepin-Junkie gestorben sei.
Und Harald Glööckler macht mit, weil er sich die sagenhafte Gage von 250'000 Euro sichern konnte. So viel wie niemand vor ihm. Hinter ihm wäre Lucas Cordalis gewesen, der mit 150'000 Euro drei Mal mehr als sein Vater verdient hätte. Lohnt sich das? Ja. RTL schwächelt zwar grundsätzlich, trocknet aber während des Dschungelcamps wieder alle anderen Sender quotenmässig ab.
Dabei hat man es doch schon zum Erbrechen gesehen. Also die Stellen, an denen so häufig erbrochen und gekreischt wird. Die mit dem Widerlichkeitsfaktor. Das kann es also nicht sein. Zudem fehlen die üblichen sozialen Entfesselungsmethoden wie Alkohol und Nacktheit, die sonst die Reality-Formate bestimmen. Schön singen kann niemand. Afrika kann es auch nicht sein, denn davon sah man ja nur beim Einzug was, als Harald Glööckler an einer Giraffe vorchauffiert wurde und schwärmte und im Geist gewiss schon eine Synthese aus Giraffe und Bettwäsche vor sich sah.
Wenn du mal wieder besoffen einschläfst #ibes pic.twitter.com/gc0rJzIOaq
— Hauptstadt Memes (@HauptstadtMemes) January 25, 2022
Was also ist der Erfolg des Reality-Uralt-Vehikels? Etwa der Kollaps von Kommunikation und Vernunft ohne Beihilfe von wahrnehmungsverändernden Substanzen? Wo sonst lässt sich so schön beobachten, wie eine Freundschaft (nämlich die der Schauspielerinnen Anouschka Renzi, 57, und Tina Ruland, 55) wegen nichts vor die Hunde geht? Oder wie bei Harald Glööckler, 56, die Esoterik überhand nimmt?
Wir erleben auch, wie zwei junge Menschen – Tara Tabitha und Filip Pavlovic –, denen eine Romanze zuzutrauen wäre, Gesagtes heillos überinterpretieren, bis sich die junge Frau grundlos in einen Schmerzens-Single verwandelt. Und dann fällt ihr auch noch ein Veneer raus und sie steht da mit nur einem halben Zahn! Übrigens ist genau dies auch Jennifer Lawrence beim Dreh von «Don't Look Up» passiert, und ihr vampirmässig zurecht geschliffener Originalzahn musste in der Postproduktion digital bearbeitet werden. Digital ist besser, um den Titel eines uralten Tocotronic-Albums zu strapazieren. Just saying.
Wie so‘n Dramagespräch um 3 Uhr morgens besoffen vor nem Club. #IBES pic.twitter.com/PnFdNeHcFu
— ♡ TAMARA (@tamarastckr) January 24, 2022
Alle drei Minuten verliebt sich Tara in Filip.#ibes pic.twitter.com/5LtLv1tO1H
— нαппα σ'нαναпα (@MsHannchen) January 24, 2022
Von Glööckler lernen wir den prima Therapietrick, dass es «das Ego» und nicht «die Seele» ist, das uns zu schlechtem Tun verleite, und dass dieses Ego oft einem Mangel an Kindheit entspringe, weshalb er zum Beispiel jeden Monat einen «Kindtag» einrichtet, an dem er die verlorene Kindheit nachholt. Er hat oft Geistererscheinungen – seine tote Mutter erscheint ihm als Pfau –, geht öfter zur Wahrsagerin, und findet sein Leben bereits auf einem 7000 Jahre alten, von Mönchen beschrifteten Palmblatt wieder.
Die Dinge «zwischen Himmel und Erde» findet er so unerklärlich wie Elektrizität. Crazy. Aber irgendwie auch süss. Und: Glööckler bleibt anständig. Kümmert sich. Um fucking ANDERE! Hello Seele!
#IBES
— janflo (@janflo10) January 25, 2022
Ich wünsche mir unsere Lieblingsprüfung mit Anouschka, Tina und Linda. pic.twitter.com/Erds8fS4ss
Anouschka «Ich hab ne Theaterausbildung» Renzi, legt derweil nichts als tobsüchtige Kindtage ein und ist kein Vorbild für niemanden. «Was ist das hier für ein Scheissdreck an Menschen, widerlich! Jedes Gefühl ist gespielt, das ist doch nicht authentisch, was ist denn daran authentisch? Mir ist auch scheissegal, ob die mich nicht leiden können, ich möchte um Gottes Willen nie so werden!» Eigentlich müsste es ihr gefallen, dass Tara Tabitha ihre getragenen Socken und Schuhe samt authentischer Schweisspuren an Fetischjäger verkauft.
Finds so geil, wie dieses Video von der Vorstellung einfach Anoushka tatsächlich komplett beschreibt. #ibes pic.twitter.com/CakqXPDpF2
— Ivdrik. (official) (@Ivdrikofficial) January 26, 2022
Tina «Ich bin ECHT vegetarisch» Ruland quält nicht nur die Renzi mit ihrem Oberlehrerinnen-Gebaren, aber wie jetzt bekannt geworden ist, hat sie erst im Camp vom Tod einer nahen Freundin erfahren und darf etwas Schonung für sich in Anspruch nehmen.
Eric Stehfest, der trotz seines Namens kein Pornodarsteller, sondern ein seriöser Selbstdarsteller ist, weilt im Camp, damit seine Mutter, mit der er gerade keinen Kontakt hat, ihn mal wieder zu sehen kriegt und ihm verzeiht. An der Tür zu klingeln, wäre auch ne Lösung. Aber das sagen wir ihm nicht. Er hat seine Frau bereits 1311 in einem früheren Leben kennengelernt, damals war sie, nein, kein Pfau und auch kein Palmblatt, sondern eine Hexe.
Am Ende werden wie immer zwei letzte Figuren am Lagerfeuer sitzen, möglicherweise regnet es auf sie herab, so, wie ein Affe Filip aufs Gesicht geschissen hat, weshalb er kurz befürchte, Hepatitis zu kriegen. Sie werden letzte Worte vor sich her brabbeln, kümmerliche, halb verhungerte Reste eines zivilisierten Gesprächs, werden noch eine Hand voller Reis oder Bohnen aus ihren Blechnäpfen kratzen. Der Rest ist Vergessenwerden.
Und danke auch für den Hinweis zu Herrn Stehfest, dem seriösen Selbsdarsteller 😂.