Es gibt diese Serien, da beginnt es beim Zuschauen sofort zu knistern. Da liegt diese Elektrizität in der Luft, die flüstert: Hier passiert was Besonderes. Es ist spürbar. Es ist körperlich. Die einen witterten es bei «The Sopranos», andere bei «The Wire», «Breaking Bad» oder «Succession». Exzellenz hat eine Aura.
Doch noch nie artete es in einen derartigen Stress aus wie bei «The Bear». Auf und vor dem Bildschirm. Nach der ersten Folge fühlte sich mein Gehirn an wie einmal durch den Fleischwolf gedreht, vakuumiert und schliesslich frittiert. Es war derart hektisch. Schnell geschnitten. Noch schneller gesprochen. Im hochtourig gebellten Stakkato der Küchen-Kommunikation.
Denn da spielt «The Bear»: am Herd. In einer gar nicht mal so kleinen Küche einer Sandwich-Beiz in Chicago. Die Gegend ist nicht besonders gemütlich und in der Küche selbst herrscht ein doppelter Kampf der Kulturen: Die Belegschaft setzt sich einerseits aus Italo- und Afroamerikanern zusammen, andererseits aus Köchinnen und Köchen mit Erfahrung in der Sterne-Gastronomie und anderen, die nichts als den Sandwich-Laden kennen.
Der Chef heisst Carmen «Carmy» Berzatto (Jeremy Allen White), hat den Laden von seinem toten Bruder übernommen und kommt aus der klinisch perfekten Welt der Supergastronomie, wo die Vorgesetzten noch böser sind als anderswo. An seiner Seite ist die junge neue Souschefin Sidney (Ayo Edebiri), die Schulden abarbeiten muss, weil sie zuvor die Selbständigkeit wählte und scheiterte.
Sie treffen auf das alte Küchenteam, das nach eigenen Chaosregeln arbeitet, und jetzt soll also ein neues, besseres System etabliert werden, um das Restaurant zu retten. Es gibt nur einen einzigen Weg, wie man auf diesem Schlachtfeld siegen und Respekt gewinnen kann: durch verdammt gutes Essen. Da erwacht dann plötzlich der Meisterpatissier im Mauerblümchen.
Die grösste Strafe ist es, an einem Kindergeburtstag das Buffet zu betreuen, so viel Banalität hält kein Profi aus. Die grössten zu lösenden Probleme sind eine allzu begeisterte Gastrokritik und – sehet und lernet daraus für den kommenden Winter! – ein Stromfall.
Wer Profiköche kennt, wer selbst Köchin ist oder schon jemals in einer Restaurantküche gearbeitet hat, weiss: Härter gehts kaum. Der Druck: ultra. Das Tempo: irr. Die Luft: schlecht. Der Ton: militärisch. Die Verletzungsgefahr: hoch. Der Substanzenkonsum: der grösste aller Berufsgruppen. Romantik: unter Null. Dazu eine Tonne sexistischer und rassistischer Witze.
Man muss sich da keine Illusionen machen. «The Bear» macht uns ganz sicher keine. Und die professionelle Community von Amerika bis Australien ist begeistert. Endlich fühlt sie sich ernst genommen und realistisch repräsentiert. Nix da mit adretten jungen Frauen, die dekorativ Cupcakes verzieren, oder jungen Männern, die unter Applaus einen Teller Pasta trüffeln. «The Bear», heisst es, sei ganz im Sinne von Anthony Bourdain selig, so dreckig, so ehrlich, so anstrengend. Und doch so, so, so gut.
Natürlich hat Showrunner Christopher Storer dafür gesorgt, dass technisch alles stimmt. Seine Schwester Courtney ist Profiköchin und hat die «kulinarische Beratung» übernommen, unterstützt wird sie vom Koch und Schauspieler Matty Matheson, und White und Edebiri mussten ins mehrwöchige Sterneküchen-Bootcamp. Es hat sich gelohnt.
Wir sitzen da und sind gebannt, wie viel Drama, Schweiss und Spannung in der Nahrung und den Umständen ihrer Zubereitung stecken. In diesem für uns alle so existenzsicherndem Akt. Wahrscheinlich dem wichtigsten gleich nach der Geburt, das macht unsere Anteilnahme daran so heftig.
«The Bear» ist ein Riesendrama auf kleinstem Raum. Und ist derart intensiv gespielt, dass wir die Saucen, die saftige Rindfleischfüllung, die Buttercreme in der Schokotorte zu schmecken glauben, dass wir mitfiebern bei den Experimenten, Erfolgen und Unfällen, und in Folge sieben, wenn eine Szene in einem einzigen, ungeschnittenen, 17 Minuten dauernden Take gedreht ist, eben 17 Minuten lang den Atem anhalten.
Die Eltern des 31-jährigen White zogen übrigens einst aus, um mit ihren Schauspielkünsten Hollywood zu erobern. Sie brachten es zu nichts. Ihr Sohn tanzte als Kind und Jugendlicher Ballett (was in Carmys agiler Drahtigkeit unschwer zu erkennen ist), wurde dann Schauspieler und war zunächst so schlecht, dass er 2014 mit «Room 42» für eine Goldene Himbeere nominiert wurde. Doch er tat, was Carmy und seine Crew Folge für Folge tun, er gelangte durch Scheitern zum Erfolg.
Zu sehr viel Erfolg. «The Bear» dürfte bei den kommenden Golden Globes und Emmys unschwer den Pokal für die beste (komische) Serie abräumen. Nein, nicht «dürfte», «wird». Exzellenz hat eben einfach diese gewisse Aura.
«The Bear» läuft jetzt auf Disney+. Acht Folgen à 20 bis 47 Minuten.