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Oscars: «Parasite» von Bong Jon-Hoo holt vier Preise – die Review

Parasite
Im Toilettenwinkel ist das WLAN am besten ...Bild: Filmcoopi
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«Parasite»! Denn irgendwas kommt immer hoch

Bong Joon-ho, der Regisseur von «Snowpiercer» und «Okja», begeistert mit einer perfekten Mischung aus Drama, Komödie und Thriller. Grossartig. Okay, noch einmal: sehr, sehr grossartig. Und jetzt mit vier Oscars ausgezeichnet.
10.02.2020, 09:0405.03.2025, 13:33
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Paris. Ein früher Junitag. Die Metrostationen sind vollgepflastert mit Filmplakaten. Mit genau zwei Filmplakaten: «X-Men: Dark Phoenix» und «Parasite». Phoenix gegen Parasit also. Heldisch erhabener Vogel gegen etwas Lästiges, das sich einer anderen Existenz ungefragt aufdrängt und sich an dieser nährt.

Hinweis
Dieser Artikel wurde im Juli 2019 publiziert. Aus aktuellem Anlass präsentieren wir ihn erneut.

«Si tu me spoiles la fin, je te tue!», wenn du mir das Ende verrätst, töte ich dich, steht auf den «Parasite»-Plakaten, wer dran vorbei geht, lächelt. Regisseur Bong Joon-ho hat die Weltpresse darum gebeten, nicht allzu viel zu verraten. Daran hält man sich nun vergnügt.

Seit einer Woche ist «Parasite» in seiner Heimat Südkorea im Kino und die Nummer eins beim Publikum. Beinah siebzig Prozent der Kinogänger schauen sich dort gerade keinen anderen Film an. Eine irre Zahl. Und in Paris? Läuft der Film, der in Cannes am 25. Mai die Goldene Palme gewonnen hat, gerade an. Und nicht bloss in einem oder zwei Kinos, nein, in mindestens vierzehn.

Die Spoiler-Warnung des Jahres.
Die Spoiler-Warnung des Jahres. bild: the jokers

Der Himmel über Paris hat beschlossen, «Parasite» mit Starkregen zu beglücken und die Leute ins Kino zu treiben. Uns treibt es ins «Louxor», einen Kinopalast im 10. Arrondissement, einen Ort, in dem die Welt in all ihren Schattierungen schon seit gut hundert Jahren zuhause ist. Entworfen hat es ein junger algerischer Architekt, der Stil ist irgendwie neo-altägyptisch, zuerst war es einfach ein Kino, dann die Pariser Heimat von Bollywood, eine Filiale des Billigkaufhauses Tati, ein Schwulenclub und seit wenigen Jahren wieder ein denkmalgeschütztes Kino.

Trailer «Parasite»

Der Regen ist rabiat, alle Schirme in den Shops am Boulevard de la Chapelle sind ausverkauft, vor dem Kino warten schwer begossen aber unverdrossen gut hundert Leute. Für die 16-Uhr-Vorstellung. Wie lange wird es in der Schweiz wohl brauchen, bis die ersten hundert «Parasite» gesehen haben werden? Ein Wochenende?

Doch das ist Paris. Hier bedeutet ein Festivalgewinn noch, dass die Leute ins Kino rennen. Bei uns? Dass der Film an ein weiteres Festival eingeladen wird. Mehr oft nicht.
Das Kino Louxor wird 2021 hundert Jahre alt.
Das Kino Louxor wird 2021 hundert Jahre alt.bild: sme

Gut, Bong Joon-ho ist natürlich alles andere als unbekannt, der Regisseur von «The Host», «Snowpiercer», «Okja», der Mann, der die Erzählgenres verquickt, wie es ihm gerade gefällt, auch «Parasite» ist wieder Drama, Komödie, Thriller in einem. Und wie «The Host» und «Snowpiercer» eine irre Studie über Arm und Reich. In «The Host» freundeten sich die Armen von Seoul mit einem wassergeborenen Monster an. In «Snowpiercer» versuchten die Armen aus den Viehwagen ganz hinten in einem Zug, der durch die Klimapokalypse fräste, nach vorn in die Luxusgemächer der Superklasse zu gelangen, wo es Platz, Sauberkeit und gutes Essen gab.

2006 betörte Bong Joon-ho mit diesem sympathischen Flussmonster.
2006 betörte Bong Joon-ho mit diesem sympathischen Flussmonster.bild: magnolia

Und jetzt? Haben wir die Familien von Mr. Park und Ki-taek (Bong Joon-hos männliche Muse Song Kang ho). Mr. Park lebt in einer Villa, hat eine ätherische Frau und zwei gewiss überbegabte Kinder. Ki-taek lebt in einer winzigen Souterrain-Wohnung, hat eine robuste Frau und zwei streetsmarte Kinder, die perfekt lügen und Dinge fälschen können, alle sind arbeitslos, und die wichtigste Frage ist immer: Wo in dem Loch, in dem wir leben, finden wir irgendein WLAN, in dem wir uns einnisten können.

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Papa Ki-taek und Familie bei einer widerwillig ausgeführten Gelegenheitsarbeit.Bild: EPA/CANNES FILM FESTIVAL

Ein märchenhafter Zufall macht Ki-taeks Sohn zum Hauslehrer von Mr. Parks Tochter. Und wenig später seine Schwester zur Kunstpädagogin des Söhnchens. Und Ki-taek selbst zum Driver und seine Frau zur Haushälterin. Die Home-Invasion ist komplett. Die alte Haushälterin wurde mittels Intrige aus dem Haus spediert. Die Verwandtschaftverhältnisse der neuen Angestellten werden nicht offen gelegt. Einzig der angeblich kunstbegabte Park-Erbe fragt sich: Wieso riechen die alle gleich?

Das Haus ist wie die Stadt, in der die beiden Familien residieren beziehungsweise hausen, selbst ein Organismus mit einem unheimlich behausten Untergrund.

Immer kommt was hoch. Und es hat nichts Gutes im Sinn. Das heisst, es hat das Überleben im Sinn. Und das geht nur, wenn da schon was anderes lebt, das eine Existenz- oder Nahrungsgrundlage bildet. So wie es einen Mr. Park ganz oben nur geben kann, weil unten ein Ki-taek ist. Ein Gleichgewicht der Ungleichheit, das in «Parasite» zunehmend aus den Fugen gerät. Und immer blutiger wird.

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Bei den Parks ist das Gras tatsächlich grüner als anderswo. Bild: EPA/CANNES FILM FESTIVAL

Der «Guardian» schrieb, «Parasite» sei ein wenig wie «Downton Abbey», die britische Serie über Herrschende und Dienende in einem illustren Landhaus. Ist es natürlich nicht. «Parasite» ist weit raffinierter, frecher, böser, listig und lustig. Ist blendende Unterhaltung mit einem ernsten Kern. Ist die Revolte gegen jenes Klassensystems, wie es in «Downton Abbey» mit unbeirrbarem Standesbewusstsein und Schicksalsergebenheit konserviert wird.

In «Parasite» hat die Unterschicht Bedürfnisse, die sie sich nicht verbietet. Und der Clash zwischen den Welten gebiert, was Bong Joon-ho in «The Host» ganz direkt zum Leben erweckte: Monster.

Der Regen über dem Kino Louxor wird am Tag der Pariser Premiere übrigens nur noch vom Regen über Korea auf der Leinwand übertroffen. Schliesslich liebt Bong Joon-ho das Wasser. Als Fluss in «The Host». Als Schnee in «Snowpiercer». Und jetzt als Sintflut.

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22 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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TanookiStormtrooper
28.07.2019 19:42registriert August 2015
Bei meinem Kinobetreiber ist der Film leider nicht gelistet. Die zeigen wie üblich lieber den ganzen Disney/Marvel Scheiss in je 3 Sälen... 🙄

Und die Leute wundern sich, warum ich nur noch 1-2 mal im Jahr ins Kino gehe. 🖕
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international orange
28.07.2019 16:37registriert Februar 2018
Absolut! Ein Film, den man nicht verpassen sollte -> alle ab ins Kino ;)
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LeserNrX
29.07.2019 13:51registriert April 2015
Das SRF zeigte vor kurzem die Filme "Mother" und "Memeories of Murder" von Bong Joon-Ho und zwar bevor dieser mit "Parasite" die goldene Palme gewann. Diese Filme sind um einiges sehenswerter als seine Filme "Okja" und "Snowpiercer", welche auf Netflix zu finden sind und die wahrscheinlich eher dem amerikanischen Mainstreamgeschmack entsprechen.
Hier zeigt sich wieder mal der Vorteil des SRFs gegenüber privaten, ausländischen Streamingplattformen, die ständig dem amerikanischen Mainstream nachrennen müssen.
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    Wusstet ihr, dass viele in ihren Zwanzigern keinen Sex haben?
    Bei einem Ausflug mit Mia erfahre ich einiges über Kunst, wenig über Sex und Suff. Ich bin dennoch guter Dinge, dass die nächste Generation alles flickt, das wir zerstört haben. Allen voran eben Mia, meine Gotti-Kartoffel.

    Mia hat vergangenen Herbst ihren 20. Geburtstag gefeiert. Sie hat das mit sehr wenig Alkohol, sehr wenig Kuchen und null bewusstseinsverändernden Substanzen gemacht. Ernsthaft, ich finde das grossartig. Vorbildlich. Super.

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