Die Perlen sind von einem leichten Rosa. Für gewöhnlich sind Perlen aus Tigerknochen aber von einem gelblichen Weiss. Wieso also rosa, fragt Tierschützer Karl Ammann die Verkäuferin in einer Boutique in Laos. «Die Tiger werden betäubt, dann aufgeschnitten», meint die Verkäuferin ganz trocken. Die Farbe ist am intensivstes, wenn man die Knochen entnimmt, solange das Herz noch pumpt.
Es ist die letzte von unzähligen Grausamkeiten, die Ammann und Laurin Merz in ihrem Film «The Tiger Mafia» dokumentieren. Dabei hat alles in Afrika begonnen. Der heute 73-jährige Ammann und seine Frau leben in Kenia. Lange war er als Hotelier und Wildtierfotograf tätig, doch eines Tages entdeckte er, wie in einem gerodeten und daher gut überschaubaren Gebiet gefährdete Tiere abgeschossen wurden. Und wie Handelsschiffe auf dem Kongo mit riesigen Mengen an frisch erlegten oder zum Töten vorgesehenen Affen und anderen Tieren beliefert wurden. Illegaler Fleischhandel war Alltag. Ammann engagierte sich dagegen. 2007 wurde er vom «Time Magazine» in die Liste mit «Helden der Umwelt» aufgenommen.
Und dann kamen die Tiger in sein Leben. Ammann hatte schon so gut wie jedes Raubtier auf freier Wildbahn gesehen, bloss eines nicht, den Tiger. Er machte eine Reise nach Laos, wo wilde Tiger als ausgestorben gelten – und wunderte sich, dass überall Tigerteile angeboten wurden. Felle, Zähne, Knochen, Krallen. Tigercake, eine Art festere Sülze aus ausgekochten Knochen. Tigerwein aus in Alkohol eingelegten Knochen oder Penissen. Alles natürlich kräftigend und potenzsteigernd. Es geht um Mythen und Männlichkeit.
Tigercake etwa kann man sich ärztlich verschreiben lassen. Doch er besteht nicht immer aus reinem Tiger. Aus Afrika werden nämlich billigere Löwenskelette importiert. Die Hinterlassenschaften dekadenter Safaris auf dem einen Kontinent werden zum Fake-Potenzmittel auf dem anderen Kontinent.
Ammann reiste weiter. Nach Thailand, in den Tigerzoo von Chiang Mai. 40 süsse Tigerbabies kommen da jedes Jahr zur Welt. Gleichzeitig finden sich kaum erwachsene Tiger im Zoo. Was also geschieht mit den Babies, wenn sie geschlechtsreif werden? In Hanoi sucht er eine Anbieterin von «Tigerbanketten», quasi Nose-to-Tail-Events, wo man für 40'000 Pfund alles vom Tiger, was essbar ist, vorgesetzt bekommt. Eigentlich ist das illegal wie der ganze Handel mit Tigern. Doch die Wirtin ist die Witwe eines hohen Militärs und zelebrierte ihre Tigerbankette früher für die vietnamesische Armeespitze. Sie ist noch immer geschützt.
Langsam kommt alles zusammen. Die – im Akkord gezeugten und ausgetragenen – thailändischen Tigerbabies kommen auf riesige laotische Tigerfarmen, wo hunderte von Tieren unter elenden Umständen gehalten werden, bevor sie tot oder lebendig weiterverwertet und (vor allem nach China und Vietnam) exportiert werden können. Droht einer Farm die Schliessung, erwirbt sie eine Zoolizenz und macht «legal» weiter. Einige Farmen lassen die Tiere einfach verhungern, denn eines natürlichen Todes gestorbene Tiger dürfen legal verwertet werden. Und in China werden die Tigerprodukte direkt in den Tigerzooshops verkauft.
Das Märchen, das erzählt wird, ist überall identisch: Die Tiere würden nur so lange in Gefangenschaft gehalten, bis sie ausgewildert werden können. Aberhunderte von Tigern. Von denen keiner je in der Freiheit gesichtet wurde. Dafür auf den Märkten im gesetzlosen «Goldenen Dreieck», jenem Grenzgebiet zwischen Myanmar, Laos und Thailand unweit von China, wo aus Schlafmohn Heroin gemacht wird, und wo es nicht nur den pandemisch so gefährlichen «wet market», sondern auch noch den «warm market» gibt. Jenen Teil des Marktes also, wo das Blut der geschlachteten Tiere noch warm ist. Und im Internet. Alles ist bestellbar.
Der Tiger liesse sich auch durch andere Tiere ersetzen, aber natürlich haben wir zu der majestätischen Riesenkatze einen emotionaleren Bezug als zu einem Schuppentier oder einer Schlange, die ebenfalls in den Apotheken der traditionellen chinesischen Medizin enden. Wahrscheinlich, so denkt man sich am Ende des Films, gibt es für jeden herzigen Plüschtiger in einem chinesischen Zooshop irgendwo in Asien einen echten Tiger in einer Gefriertruhe.
Karl Ammann sammelte gut sechs Jahre lang und immer wieder unter Lebensgefahr sein Material, filmte mit Kleinstkameras in Gürtelschnallen und Knopflöchern, erschlich sich das Vertrauen von korrupten Beamten und kriminellen Farmern und suchte sich dann in der Schweiz einen Co-Regisseur und Produzenten, der im helfen würde, seinen Berg an Elend zu büscheln.
2018 begegnete er dem fast dreissig Jahre jüngeren Filmemacher und Produzenten Laurin Merz (übrigens der Sohn des Aargauer Schriftstellers Klaus Merz), die beiden reisten für zusätzliches Material nach Afrika und im März 2020 noch einmal in die laotische Stadt Boten an der chinesischen Grenzen. Wo sie als einzige Gäste in einem 1800-Zimmer-Hotel logierten, China war bereits im Lockdown. Es sei magisch gewesen und surreal, sagt Merz, und dann wurde alles noch viel surrealer. Im Juni stellten sie ihr Projekt am grossen Dokfilm-Festival von La Rochelle vor, gewannen zwei Preise und erhielten unzählige Angebote von Filmvertrieben, alles online, versteht sich, feiern mussten sie vor dem Laptop.
Über den französischen Weltvertrieb Mediawan landeten sie schliesslich bei Amazon, wo «The Tiger Mafia» jetzt startet. Die grosse Erkenntnis von Streaming-Anbietern im Lockdown, sagt Merz, sei nämlich, dass Dokfilme ganz hervorragend laufen. «The Tiger Mafia» kommt dies nun zu Gute. Und eine kritische Ergänzung zum Netflix-Doku-Epos «Tiger King» ist er obendrein. An einem nächsten Film arbeiten Merz und Ammann bereits: über den Lebendschmuggel von Elefanten. Auch dieses Stück Aufklärung wird wieder sehr weh tun.
«The Tiger Mafia» läuft ab 14. August auf Amazon Prime.