Leben
Schweiz

Stereo Luchs beliefert die Szenis mit Dancehall-Hymnen

Seine Songs beschreiben das Lebensgefühl der Mittdreissiger-Szenis. Stereo Luchs mit seinem neuen Album, das so heisst wie er.
Seine Songs beschreiben das Lebensgefühl der Mittdreissiger-Szenis. Stereo Luchs mit seinem neuen Album, das so heisst wie er.bild: goran basic
Interview

«Ich köcherle mein Musiker-Dasein auf kleiner, aber steter Flamme»

Er taucht Zürich in Dancehall-Klänge und beliefert die Städter mit nostalgischen Mundart-Hymnen. Am Freitag hat Stereo Luchs sein neues Album released. Ein Gespräch über die Pandemie, Erfolg und Autotuning.
05.12.2021, 16:58
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Es ist einer der ersten richtig kalten Wintertage. Silvio Brunner erscheint in Trainerhosen, schwarzer Daunenjacke, über die Hände schwarze Lederhandschuhe gezogen. Hier am Lochergut, im Kreis 3, sieht er aus wie einer unter vielen in Zürich: So ein bisschen Fussballfan, so ein bisschen links, so ein bisschen szenig, aber doch zu cool, um sich irgendwo anzubiedern. Während Brunner meistens noch unbemerkt durch die Stadt tingeln kann, gilt dies für sein Alter Ego Stereo Luchs schon lange nicht mehr.

Nachdem er 2017 sein Album «Lince» herausbrachte, katapultierte es den Luchs aus dem waldigen Unterholz auf grosse Bühnen in der ganzen Schweiz. Zumindest in Zürich wurden Songs wie «Ziitreis» oder «Sie seit» Mundart-Hymnen, die das Lebensgefühl einer Generation wiedergaben. Jetzt steht sein neues Album in den Regalen.

Wie war das für dich damals mit «Lince», als deine Musik plötzlich im Radio lief, auf Partys gespielt, von Leuten mitgesungen wurde?
Silvio Brunner: Es war schön. Ich habe mich sehr gefreut. Weil gerade alles gestimmt hat. Ich ritt gerade auf einer Welle voll mit positiven Vibes. Und dass die Leute dann dieses Album so umarmt haben, war eine wunderschöne Bestätigung und hat mir nochmals Antrieb gegeben, mich voll auf meine Musik zu konzentrieren.

Eigentlich machst du ja schon seit Längerem Musik. Dein erstes Album hast du 2007 mit Phenomden herausgegeben. Durchgestartet bist du aber erst mit «Lince». Wie erklärst du dir den plötzlichen Erfolg?
Es stimmt, ich mache schon lange Musik, aber mein Output war ziemlich klein. Ich hab das immer Part-Time gemacht, nebenbei studiert und gearbeitet. Lange war meine Musik noch undergroundiger, nischiger. Ich hatte weder mehr Zeit noch daran geglaubt, dass es mehr sein könnte.

Musstest du also deinen Stil wechseln, um durchstarten zu können?
Durchstarten war nie per se das Ziel. Ich würde eher sagen, dass es eine Entwicklung war. Das Album «Style-Generator» 2007 war mein allererster musikalischer Gehversuch, ein Spassprojekt mit Phenomden, aufgenommen in unserem Kellerstudio. Und dabei blieb es erst mal auch. Sechs Jahre später brachte ich mein Debüt-Album raus. Das war immer noch ziemlich szenig. Es dauerte nochmals ein paar Jahre bis zu «Lince». Dazwischen habe ich mich weiterentwickelt, habe versucht, andere Sounds reinzubringen.

Bild
bild: goran basic
Zur Person
Stereo Luchs heisst mit bürgerlichem Namen Silvio Brunner und ist 1981 in Wiedikon geboren und aufgewachsen. Als Jugendlicher freundete er sich mit Dennis Furrer aka Phenomden an und gründete mit ihm seine erste WG. In ihrem Keller-Studio entstand 2007 das Album «Style-Generator». Brunner studierte Architektur und arbeitete später bei der Zürcher Baudirektion. Sein erstes eigenes Album «Stepp usem Reservat» brachte er 2013 heraus. Doch grosse Erfolge feierte er erst ab 2017 mit seinem Album «Lince». Zwei Jahre später legte er mit «Off Season» nach. Am 3. Dezember erscheint sein self-titled Album «Stereo Luchs» in seinem eigenen Label «Pegelpegel».

Die Musik von Brunner bewegt sich irgendwo zwischen Dancehall, R&B, Hip-Hop, Trap, Afrobeat und sphärischem Pop. Der Name «Stereo Luchs» stammt aus seinen musikalischen Anfängen und bezieht sich auf Musikkünstler der 1980er-Jahre wie den Jamaikaner Super Cat oder Mad Cobra. Brunner wollte eine schweizerdeutsche Variante davon machen und entschied sich für den Luchs, weil es das einzige grosse Raubtier in der Schweiz ist. (sar)

Schon in deinen frühen Songs hast du viel auf Dancehall und Autotuning gesetzt. Hast du davon profitiert, dass diese Elemente in den letzten Jahren im breiten Kommerz angekommen sind?
Es war eher so, dass Dancehall quasi genau zur richtigen Zeit im Deutschrap angekommen ist. Mit «Palmen aus Plastik» von Bonez MC und RAF Camora. Das war riesig und die Kids haben das total abgefeiert. Plötzlich begannen Rapper auch solche Musik zu machen. Für den Release von «Lince» war es einfach der perfekte Zeitpunkt, ohne dass das so geplant gewesen wäre.

Du machst nicht nur Rap, Reggae, Dancehall. In deiner Musik steckt auch Hip-Hop, Afrobeat und Pop. Eine ziemlich breite Aufstellung ...
Warum nicht? Es ist schön, sich nicht nur auf etwas zu beschränken. Ich könnte die Liste meiner Einflüsse auch noch lange weiterführen. Mein Fundament bleiben bei mir wohl immer Reggae und Dancehall. Doch es ist spannender, wenn es sich nicht nur darauf beschränkt. Am besten ist es sowieso, wenn man irgendwann etwas Eigenes findet. Dass man die Einflüsse klar benennt, von wo man sich inspirieren lässt, aber dann sein eigenes Ding daraus macht. Gerade wenn ich schweizerdeutschen Dancehall mache, muss ich das sowieso.

«Weil äussere Inputs fehlten, begann ich nach vorne und nach hinten zu schauen. In ‹Neon› erzähle ich Geschichten aus meiner Jugend.»

Wie meinst du?
Ich kann und will ja nicht denselben Song machen, wie ein Jamaikaner ihn macht. Es wäre anmassend, als weisser Mittelstand-Schweizer diese Welt zu übernehmen. Für mich führt der Weg eher über Inspiration, um dann aber meine eigene Welt darzustellen. Das führt schliesslich auch zu einem eigenen Sound.

Nach «Lince» hast du 2019 mit «Off Season» nachgelegt. Das Lied «Balkon» erlebte dann im Pandemiesommer 2020 ein Revival. Wie hast eigentlich du die letzten zwei Jahre Ausnahmesituation erlebt?
Ich war tatsächlich auch oft auf dem Balkon. Es war eine strube Zeit. Auf musikalischer Ebene war ich froh, dass ich schon vorher begann, an meinem neuen Album zu arbeiten. Ich hatte schon etwas Material zusammen. Weil es nicht gerade eine fruchtbare Zeit war.

Wie der Luchs mag Brunner die Einsamkeit. Er braucht sie, um seine Gedanken zu ordnen.
Wie der Luchs mag Brunner die Einsamkeit. Er braucht sie, um seine Gedanken zu ordnen. bild: goran basic

Hast du als Künstler den Druck verspürt, die Pandemiezeit kreativ zu verarbeiten?
Das geisterte schon rum, ja. Dass man sich vorstellte, wie man jetzt jeden Tag im Studio sitzt, weil man eh nichts anderes machen kann und dann jeden Tag einen Song raushaut. Ich musste mich vor solchen Vorstellungen aber ziemlich bald loslösen und hab einfach in meinem Tempo mein Ding gemacht.

Wie viel von dieser Pandemiezeit steckt im neuen Album?
Schon recht viel. Muss ja auch. Es war ja das Überthema. Es gibt ein paar Songs, die sind unmittelbar von dieser Zeit abgeleitet. Zum Beispiel «Ide Strass» mit Phenomden, «Slow whine» oder «Lieb si glich». Die Lieder thematisieren diesen Stillstand während der Pandemie und dass ich mich freue, die Leute bald wieder zu treffen. Andere Lieder entstanden gerade wegen dieses Stillstands. Weil äussere Inputs fehlten, begann ich nach vorne und nach hinten zu schauen. In «Neon» erzähle ich Geschichten aus meiner Jugend. In «Hageholz West» blicke ich durch die Augen meines Grossvaters, der mich auf der Wiese sitzend beobachtet.

In «Blue Notes» zollst du der schwarzen Musik Tribut, die dich beeinflusst hat. Geschrieben hast du das Lied im Sommer 2020, als das Thema «Black Lives Matter» auch in der Schweiz aufgenommen wurde.
Genau. Es war für mich wichtig, in musikalischer Form Stellung zu beziehen und wieder einmal klar zu benennen, wo die Roots der Musik, die mich und so viele andere geprägt hat, liegen.

«Am Schluss hat sich alles sehr versöhnlich angefühlt. Weil ich eben genau das machen konnte, was ich wollte, und es gut war, so wie es ist.»

Hütest du dich davor, explizit politische Songs zu machen?
Nein, aber ich suche es auch nicht aktiv. Ich finde, als Mensch und Teil der Gesellschaft soll man so oder so politisch aktiv sein und als Künstler vertrete ich eine klare Haltung. Ich glaube, jeder, der Stereo Luchs kennt, weiss, wofür ich stehe. Ich bin nicht eine undefinierbare Figur. Ich bin links, aber es ist nicht mein Job, jeden zweiten Tag auf Instagram ein politisches Statement zu posten. Und ich muss auch nicht unbedingt in jedem Song etwas zum aktuellen Weltgeschehen sagen. Ausser ich habe Lust darauf oder fühle eine Dringlichkeit es zu tun, und dann mach ich es auf meine Art. So gesehen ist «Blue Notes» zum Beispiel klar ein politischer Song.

In «Geng» singst du: «Nie meh Office, mini Songs mached sBrot, aber chline CH-Chueche, vilicht morn wieder broke.» Hast du Angst davor, dass so schnell der Luchs gekommen ist, so schnell alles wieder zu Staub zerfallen kann?
Als Musiker habe ich vor dem keine Angst. Ich mach das jetzt schon lange und es ist mit mir gewachsen. Ich bin auch kein One-Hit-Wunder, das Angst haben muss, dass sich beim nächsten Release niemand mehr für mich interessiert. Ich köcherle mein Musiker-Dasein auf kleiner, aber steter Flamme. Die Zeile ist aber eher quasi als Mantra an mich selber zu verstehen. Übersetzt heisst das in etwa: Ich will nicht zurück, auch wenn es nicht immer einfach ist und die Zukunft im kleinen Schweizer-Kuchen weit entfernt von einer Gewissheit.

Lampenfieber hat Brunner auch jetzt noch vor jeder Show.
Lampenfieber hat Brunner auch jetzt noch vor jeder Show.bild: goran basic

Wie gross ist da der Druck, nach so erfolgreichen Alben den nächsten Brüller rauszuhauen?
Diesen Gedanken darf man nicht an sich heranlassen. Bevor ich mich an mein neues Album gesetzt habe, musste ich mir klar darüber werden, was ich will. Ein Album nochmals replizieren zu wollen, ist zwangsläufig zum Scheitern verurteilt und abgesehen davon auch nicht interessant. Deshalb war eh klar, dass ich nicht ein zweites «Lince» machen will, sondern etwas Neues. So konnte ich mich von dem Druck befreien und mich treiben lassen. Ich hab einfach Musik gemacht und geschaut, wohin sie mich führt.

Kamen da nie Zweifel auf?
Doch, oft. Gerade während der Coronazeit, wenn man so weit entfernt ist von allem und jedem und so in seiner eigenen Bubble sitzt. Manchmal fragte ich mich: Was mache ich da eigentlich gerade? Aber ich glaube, das ist auch das normale Musiker-Dasein. Aber es bleibt mir nichts anderes übrig, als einfach zu machen. Und am Schluss hat sich alles sehr versöhnlich angefühlt. Weil ich eben genau das machen konnte, was ich wollte. und es gut war, so wie es ist.

«Ich hab vieles im Kopf und das muss ich zuerst klären, bevor ich überhaupt einen Song schreiben kann.»

Du bist ein feinfühliger Beobachter mit einem guten Auge für Details. Du singst nicht über das Offensichtliche und doch über Dinge, die wir alle kennen. Läufst du mit einem Notizblock rum, wo du dir solche Sachen aufschreibst, wenn sie dir begegnen, oder wie machst du das?
Ich glaube, viele Beobachtungen mache ich, wenn ich allein unterwegs bin. Allein schaue ich die Welt anders an, als wenn ich mit Leuten unterwegs bin. Und ich achte mich sehr darauf, dass ich platte Bilder aus meinen Texten streiche. Ich editiere viel, überdenke es. Ich hab auch so aufnahmefähige Phasen, wo ich alles aufsauge. Und dann wieder solche, wo ich nur rausgebe, zum Beispiel, wenn ich Konzerte spiele. So wechselt es sich schön ab.

Apropos alleine unterwegs sein: Wie einfach ist es, heute unbemerkt als Stereo Luchs durch die Stadt zu ziehen?
In der Schweiz ist das eh immer easy. Selbst Weltstars werden hier nicht gross belästigt. Und davon bin ich ja noch etwas entfernt (lacht). Aber ja, seit «Lince» hab ich gemerkt, dass die Anonymität ein wenig kleiner wurde. Zwar freue ich mich, wenn Leute mich auf der Strasse grüssen und mir Komplimente machen. Aber manchmal ist es schräg, wenn ich in ein Kafi sitze und in den anonymen Beobachterzustand fallen möchte, in dem ich gerne bin, aber dann merke, dass ich gerade selber das Beobachtungsziel von jemandem bin.

Nervt das?
Nein, es ist ok. Ich kann mein Leben immer noch genauso führen wie bisher. Ich stehe in der Migros an der Kasse, ich fahre Bus und Tram. Aber ich habe mich in den letzten Jahren für den Einzelgänger-Modus vielleicht etwas mehr nach Altstetten oder Oerlikon zurückgezogen. Dort komm ich mehr zur Ruhe als im Kreis vier. Wenn ich am Lindenplatz sitze, habe ich ziemlich meinen Frieden.

Was magst du an der Einsamkeit?
Ich schätze das einfach und brauche die Zeit, um meine Gedanken zu ordnen. Ich hab vieles im Kopf und das muss ich zuerst klären, bevor ich überhaupt einen Song schreiben kann.

Deine Art von Therapie?
Ja, das ist vielleicht tatsächlich so. In der Musik setze ich mich sehr intensiv mit meinem Zeug auseinander. In jedem Album steckt auch ein Struggle. Und es ist immer ein ziemlicher Prozess, den ich durchmache. Am Ende kann ich auf diese Weise viele Fragen für mich klären. Um dann beim nächsten Mal wieder mit denselben Fragen aufzulaufen.

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20 Kommentare
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El Dudo
05.12.2021 17:22registriert März 2020
Luchs ❤️
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HARPHYIE
05.12.2021 19:23registriert Mai 2020
War und ist immer noch einer der sympatischsten Schweizer Musiker für mich!!!

Stereo ✌
311
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Irrlycht
05.12.2021 19:39registriert September 2018
Okay jetzt!
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20
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