Affen lausen sich gegenseitig, Vögel putzen das Gefieder von Artgenossen – und Orcas? Auch die Schwertwale betreiben nach Forscherannahmen gegenseitige Körperpflege.
Und nicht nur das: Die Tiere basteln aus dem schlauchartigen, meterlangen Stiel der Braunalge Bull Kelp ein entsprechendes Werkzeug, wie ein Team im Fachmagazin «Current Biology» berichtet.
«Es ist das erste Mal, dass Werkzeuggebrauch in dieser Form bei Meeressäugern beobachtet wurde», schreibt die Gruppe um Michael Weiss vom Center for Whale Research in Friday Harbor (US-Staat Washington). «Bull-Kelp-Stiele sind fest, aber flexibel, wie ein gefüllter Gartenschlauch mit einer glatten Aussenfläche. Ich vermute, diese Eigenschaften machen sie zu einem idealen Pflegewerkzeug.»
Bislang war lediglich bekannt, dass Orcas und andere Walarten Seetang – zu dem Braunalgen zählen – für sich selbst nutzen, etwa zum Spielen, zur Hautpflege oder um Parasiten loszuwerden.
Für den Bau des Werkzeugs trennten die Orcas den oft viele Meter langen Stiel der Braunalge zunächst recht weit unten ab und teilten ihn dann. «Wir beobachteten Wale dabei, wie sie kurze Abschnitte von Bull-Kelp-Stielen aus vollständigen Stielen formten», schreibt das Team. Dann positionierten sie einen Stielabschnitt zwischen sich und einen Partner. Die beiden Wale bewegten sich anschliessend so, dass der Stielabschnitt zwischen ihnen blieb, während sie ihn über ihre Körper rollen. Das Forschungsteam beobachtete in 30 Fällen das Verhalten und nannte es Allokelping.
Der längste beobachtete Körperkontakt dauert rund drei Minuten. Wurde der Kontakt unterbrochen, nahm der hintere Wal das Werkzeug in einigen Fällen wieder auf und startete die Aktion neu.
Im Gegensatz zum Spielverhalten fand das Team keine Hinweise darauf, dass die Häufigkeit von Allokelping mit dem Alter abnimmt. Es vermutet, dass Allokelping vergleichbar ist mit Hautpflegeverhalten, wie es bei anderen Walen an Steinen oder Sand beobachtet wird.
«Bemerkenswert an diesem Verhalten ist seine Verbreitung innerhalb der Population», erklärt Studienleiter Weiss. «Männchen und Weibchen aller Altersklassen nutzen das Allokelping. Das lässt vermuten, dass es ein wichtiger Bestandteil ihres Soziallebens ist.» Besonders oft kam es zwischen nahen Verwandten und Walen gleichen Alters dazu.
Allokelping unterscheide sich deutlich vom Spielverhalten, das zuvor bei Delfinen beschrieben wurde. Die stark stereotypisierte Natur dieses Verhaltens in Kombination mit seinem Vorkommen über alle Alters- und Geschlechtsklassen hinweg deute ebenfalls darauf hin, dass es sich nicht um rein spielerisches Verhalten handelt, schreibt das Team.
Für den Einsatz von Seetang vermuten die Wissenschaftler neben dem sozialen Aspekt weitere Gründe: «Er könnte wichtig für die Hautgesundheit sein. Wale und Delfine haben verschiedene Strategien entwickelt, um abgestorbene Haut abzustossen», sagte Mitautor Darren Croft vom Center for Whale Research.
«Wir wissen auch, dass Schwertwale oft Kontakt mit anderen Mitgliedern ihrer Gruppe aufnehmen – durch Berührung ihrer Körper oder Flossen – aber die Verwendung von Tang könnte diese Erfahrung verbessern», sagte Croft. Und: Braunalgen wie Bull Kelp (Nereocystis luetkeana) hätten antibakterielle und entzündungshemmende Eigenschaften, die wahrscheinlich gut für die Walhaut seien.
Möglich wurden die neuen Beobachtungen erst durch moderne Aufnahmetechnik, erzählt Mitautorin Rachel John von der britischen University of Exeter: «Diese Orcapopulation gehört zu den am besten erforschten Gruppen überhaupt. Wir haben das Allokelping nur jetzt erst bemerkt, da die Videoqualität der bisherigen Luftaufnahmen zu schlecht war.» Das Team hatte eine Gruppe von Schwertwalen nahe der Küste des US-Staates Washington beobachtet.
Es hofft, mit den neuen Erkenntnissen nicht nur zum Schutz der Orcas, sondern auch zum Erhalt der Tangwälder beizutragen, die durch steigende Meerestemperaturen schrumpfen. «Sie könnten entscheidend sein, um die besondere Werkzeugkultur der Wale zu bewahren.» Wie verbreitet Allokelping in anderen Orcapopulationen ist, soll nun weiter untersucht werden. (sda/dpa)