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Zürcher Falkenkamera zeigt Raubtier-Alltag

Falkenkamera aussen
Dieser vom Elterntier erlegte Vogel wird rasend schnell in den Mündern und Mägen der drei Mini-Falken verschwinden.Bild: Screenshot Youtube / Grün Stadt Zürich

Frischfleisch um 8.31 Uhr: Die Falkenkamera zeigt Raubtier-Alltag – und einen Giftmord

Fressen, um nicht gefressen zu werden. Dieser Text beschreibt Einblicke in den Zürcher Falkenhorst und ist nichts für sensible Gemüter. It's nature, baby.
26.05.2025, 19:3027.05.2025, 12:25
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Die Sache mit dem Mittagsschlaf nehmen die drei Fresssäcklein sehr ernst: Kurz vor 12 Uhr fallen sie aneinandergekuschelt in einen seligen Tiefschlaf. Es ist mit Abstand die herzigste Szene an diesem zufällig gewählten, aber ereignisreichen Morgen. Denn sonst waren da Hunger, eine Leiche, rohes Fleisch und ein schrecklicher Feindvogel. Der ganz normale Raubtier-Alltag. Fressen, um nicht gefressen zu werden.

Vor gut sechs Wochen sind die drei Wanderfalken geschlüpft, in wenigen Tagen werden sie flügge sein, bis dahin wird ihr kleines Leben noch von den beiden Falkenkameras auf dem Hochkamin der Kehrichtheizkraftwerke an der Zürcher Josefstrasse dokumentiert, es ist eine wochenlange Slow-TV-Orgie, fast eine Familien-Soap, von der Strasse aus sieht man ohne Fernglas nichts, bloss einen hellen Strich (das Falkenbrett) hoch oben am Turm.

Mit den Kameras sieht man alles, es ist IMAX-gestochen scharf. Ohne Triggerwarnung. Ohne Schnitt.

Äussere Falkenkamera

Die Nacht war ruhig. Ein naturschönes Elterntier (so sorry, ich kann Falkenmütter nicht von Falkenvätern unterscheiden, die Mütter seien etwas grösser als die Väter, heisst es, doch wenn ich sie nicht nebeneinander sehe, sehe ich es eben nicht) setzte sich gegen 23.27 Uhr vor dem Falkenbau auf eine Falkenbrett-Stange und schlief ein. Oder hielt schlafend Wache. Im Bau ruhten seine drei Kinder. Eigentlich sollten es vier sein, doch aus dem vierten Ei ist nie ein Vogelbaby geschlüpft, das vierte Ei liegt wie eine fahle, dreckige Reliquie mitten im Bau. Wie das Grabmal des nie geborenen Kindes.

Das vierte Ei wurde nie ausgebrütet, ist aber immer noch unversehrt.
Das vierte Ei wurde nie ausgebrütet, ist aber immer noch unversehrt.Bild: screenshot youtube / grün stadt zürich

Um 5.37 Uhr schlüpft das erste Vögelchen nach draussen und signalisiert Hunger. Der Elternvogel fliegt los. Und kommt um 8.31 Uhr mit einer Frischfleischlieferung zurück. Keine Ahnung womit. Auf jeden Fall nicht mit einer Taube. Also weder mit einer Stadttaube (erlaubte Beute) noch mit einer dieser sauteuren Renntauben.

Renntaubenbesitzer hassen die raren Wanderfalken auf dem Turm. 2011 bestrich vermutlich ein Falkenhasser eine Taube mit einem hochgiftigen Pflanzenschutzmittel (man nennt diese präparierten Tauben «Kamikaze-Tauben»), die Falkenmutter erlegte sie, rupfte sie auf dem Falkenbrett und starb vor den Augen ihrer Kleinen und ganz Zürich: Die Kamera hielt ungerührt fest, wie das Weibchen vornüber kippte und tot zusammensackte. Ein Giftmord wie bei Agatha Christie, die Kleinen konnten gerettet werden. Das traurige Video existiert heute noch.

Innere Falkenkamera

Doch was setzt der überaus lebendige Elternvogel heute seinen Jungen vor? Es ist relativ gross, das Gefieder gleicht dem einer jungen Ente, aber dann hätte es Schwimmhäute an den Füssen, oder – echt? Könnte das überhaupt sein? – einem anderen Falkenjungen oder einem Rebhuhn. Wo kriegt man jetzt in Zürich Rebhühner her? Aus dem Zoo?

Der ungemein elegante Elternvogel zerfetzt sein Opfer und stopft den Fälklein blutige Brocken in die weit offenen Schnäbel. Eine Viertelstunde dauert es, dann ist der erlegte Vogel in den Schlünden der drei Jungvögel verschwunden, es bleiben die Flügel, viele Federn und ein paar Knochen zum Abnagen zurück. Das Elterntier verschwindet.

Falkenkamera aussen
Das ungemein elegante Elterntier füttert seine Brut.Bild: Screenshot Youtube / Grün Stadt Zürich

Und kommt kurz nach 10 Uhr zurück? Oder ist das jetzt sein Partnertier? Auf jeden Fall grösser als das erste und vom Regen zerzaust. Es macht sich über die Reste her. Ohne den Kids im Bau was zu bringen. Schnell auf die Innenkamera umschalten: Normalerweise ist es im Falkenbau völlig uninteressant, die Kleinen sitzen auf einer Unterlage aus Federn und Knöchlein, picken sich die Flaumfedern aus oder schlafen. Das Ei des ungeborenen Geschwisters lassen sie dabei in Ruhe.

Der Feindfalke.
Der Feindfalke.Bild: Screenshot Youtube / Grün Stadt Zürich

Doch jetzt rotten sie sich vor dem Eingang zusammen und heben zu einem nervenzerschneidenden Geschrei an, es klingt nach einer dreistimmigen, mit gefährlichem Zischen durchsetzten Sirene, es ist ganz klar ein Abwehrgeschrei gegen den grossen Feindvogel, der sie neugierig, aber auch genervt beäugt. Nach zehn Minuten haben sie ihn zermürbt. Oder er findet ihr Freiluftbuffet Mist. Abflug.

Und Aufatmen. Was für ein Stress! Gestern schon in «Mission Impossible – The Final Reckoning», heute mit der Falkenkamera! «Mission Impossible» haben wir nur wenige Meter neben dem Falkenhorst gesehen, in Zürichs brandneuem IMAX-Kino im Abaton. Der spinnt, der Cruise! Atemberaubend, besonders in der zweiten Hälfte. Krampfatmung pur. Übermenschlich sowieso. Und mit Ikarus-Zitaten. Ikarus, der Mensch, der Vogel sein wollte. Blöde Idee. Ein Vogel will ja auch nicht Mensch sein.

This image shows Tom Cruise in a still from the film "Mission: Impossible - The Final Reckoning." (Paramount Pictures via AP)
"Mission: Impossible - The Final Reckoning" Review
Der Cruise-Vogel. Nicht nur selten, sondern einmalig.Bild: keystone

Der IMAX-Effekt war dagegen, na ja, etwas underwhelming, die Leinwand ist nicht wirklich VIEL grösser als vorher und die Technik war eh schon gut. Zudem waren die Eröffnungswochenend-Gutscheine, die wir mit dem Ticket geschenkt erhalten hatten, an der Bar dann doch nicht gültig, weil sie falsch programmiert worden und schon vor dem Wochenende abgelaufen waren. Was dem Bar-Personal, das nichts dafür konnte, sehr peinlich war.

Die Teppichböden im Kino glichen zum Verwechseln dem Bodenbelag im Falkenhorst, nur dass es da keine Knöchelchen und Federn gab, sondern zu feinem Schnee zertretenes Popcorn. Auch Staubsauger haben am Wochenende frei.

Doch zurück zu den Vögeln! Um 15.06 Uhr landet das treusorgende Elterntier mit neuem Food-Gut, jetzt ist es eindeutig eine Taube. Bei den drei Fresssäcklein herrscht unbändige Freude. Bald werden sie selbst fliegen und jagen und Tom-Cruise-Kunststücke machen. Macht's gut, kleine Freunde!

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42 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Macrönli
26.05.2025 19:42registriert April 2018
Was für ein fantastischer Text! Da hätte ich grad noch ziemlich lange weiterlesen können. Vielen Dank 👌

Den kleinen Falken wünsche ich natürlich nur das Beste im weiteren Falkenleben.

Falken sind einfach wunderschöne Tiere 💜
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Maverich
26.05.2025 20:38registriert August 2021
Meine Familie beobachtet diese wunderbaren Tiere schon seit einigen Jahren (nach dem Giftmord). Als wir damit starteten, war eine Wanderfalkendame alleinige Bewohnerin des Falkenhorst bei der Josefstrasse. Turmfalken wollten da den Horst in Beschlag nehmen. Es gab Kämpfe, die vermutlich schlecht für die Turmfalken ausgingen. Später ist die Wanderfalkendame weggezogen, vielleicht auf der Suche nach einem Gatten, und hat so den Horst frei gelassen. Darauf ist ein Turmfalkenpaar eingezogen und hat gebrütet und ihre Jungen grossgezogen. Jetzt ist wieder eine Wanderfalkenfamilie an der Reihe.
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Dante&Lupus
26.05.2025 19:58registriert August 2024
Konnte man eigentlich den Frevler ausfindig machen? Weit um Zürich muss man nicht suchen.Ich seh die Falken oft und wir haben viele Tauben in Zürich.
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    Welche Kopfbedeckung eignet sich am besten für die Gartenarbeit?
    Bei der Gartenarbeit vergeht die Zeit meist wie im Fluge, und die Folgen zeigen sich oft erst am Abend. Ein Sonnenstich oder Sonnenbrand kann schneller auftreten als gedacht. Schütze deshalb deinen Kopf vor der Sonne.

    Materialien wie Polyester, Jeans und Wolle bieten einen höheren UV-Schutz als dünne Baumwollstoffe und Leinen. Dunkle, fest gewebte, dichte und ungebleichte Materialien schützen dich am besten. Beachte beim Kauf von Kopfbedeckungen den «Ultraviolet Protection Factor» (UPF) nach «UV-Standard 801». Dieser gibt an, wie viel länger du in der Sonne bleiben kannst, ohne einen Sonnenbrand zu bekommen. Zum Beispiel bietet dichte Baumwollkleidung einen UPF von etwa 20, während dir spezielle Kopfbedeckungen einen bis zu 80-mal längeren Aufenthalt in der Sonne erlauben.

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