Es ist der 24. Mai 2022, wir befinden uns in Folge Nummer 3278 der «Ellen DeGeneres Show». Doch es ist nicht Ellen, sondern Oprah Winfrey, die eine alle umarmende Dankesrede an Ellens Team hält und betont, dass die Gastgeberin bloss das Gesicht der «Ellen DeGeneres Show» sei. Oprah ist eben in allem grösser als Ellen, nicht nur als Schaustellerin der Emotionen. «The Oprah Winfrey Show» lief 4561 Folgen lang und Oprahs Vermögen beträgt aktuell geschätzte 2,7 Milliarden Dollar, Ellens vergleichsweise bescheidene 370 Millionen.
Am Ende sind es die Zahlen, die zählen. Und die Quoten der «Ellen DeGeneres Show» waren um 42 Prozent gesunken. Innerhalb von acht Monaten. Zwischen September 2020 und Mai 2021 hatte sie von 2,6 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern 1,1 Millionen verloren. Im Mai 2021 verkündete sie ihren Rücktritt auf das Ende der 19. Staffel ihrer Talkshow hin.
Sie begründete es mit einem ganz normal auslaufenden Vertrag und damit, dass die Show «keine Herausforderungen» mehr an sie stellen würde. Beides stimmt, und DeGeneres hatte sich tatsächlich schon darüber beklagt, sowas wie die immerfreundliche Teflonpfanne der amerikanischen Unterhaltungsindustrie zu sein.
Allerdings hatte ihr gerade dies jeden denkbaren Star der Welt und einige amerikanische Präsidenten und ihre Gattinnen in die Show gebracht: Ellen DeGeneres garantierte eine Wohlfühlzone ohne eklige Fragen, dafür mit viel Witz, absurden Spielen, Tanzeinlagen und Überraschungsgeschenken. Da wurde nichts enthüllt und niemand entblösst, da durften sich einfach alle von ihrer besten Seite zeigen. Alle mochten Ellen. Und sie bot Arbeit für 250 Leute.
Das war nicht immer so. Als ihre Show 2003 startete, sagte der damalige Boss von Warner, sie zu lancieren, sei der härteste Job seiner Karriere gewesen. Denn Ellen DeGeneres war damals so gut wie gecancelt. Ihr Handicap? Sie war Amerikas berühmteste Lesbe.
Seit 1994 spielte sie in der Sitcom «Ellen» die neurotische Buchhändlerin Ellen Morgan. Am 14. April 1997 hat DeGeneres ihr Coming-out im «Time Magazine». Proteste wie Jubel sind heftig. Am 30. April hat Ellen Morgan ihr Coming-out in «Ellen». Das TV-Ereignis ist so breit angekündigt worden – auch bei Oprah –, dass 42 Millionen zuschauen. Danach rauschen die Quoten in den Keller, im Sommer 1998 ist Schluss, und auch die Nachfolge-Sitcom «The Ellen Show» wird nach 13 Folgen abgebrochen.
Ellen DeGeneres ist prominent – als nice, fröhliche, föhnblonde und angenehm apolitische Botschafterin der LGBTQ-Community, nicht als Schauspielerin. Auch ihre Ex-Freundin, die Schauspielerin Anne Heche, und Laura Dern, die ihre Coming-out-Partnerin in «Ellen» war, erhalten jahrelang keine Rollen mehr.
2003 ist das Jahr ihrer professionellen Wiedergeburt. Sie spricht die vergessliche Fischlady Dorie in «Finding Nemo», und «The Ellen Degeneres Show» startet. Und alles wird gut und immer besser. Die Stars strömen. Die Werbeverträge ebenfalls. Ellen gibt alles und moderiert sogar aus dem Spitalbett. 2004 verliebt sie sich in die Schauspielerin Portia de Rossi, die beiden sind bis heute glücklich.
Ihre Show dagegen hat das Glück verlassen. Zu viele Sargnägelchen haben sich in den letzten zwei Jahren in ihre Substanz gefressen und den Firnis einer Frau beschädigt, deren Motto «be kind to one another» ist – seid nett zueinander.
Da waren die Vorwürfe eines toxischen Arbeitsklimas, die sich zuerst nicht gegen Ellen DeGeneres, sondern gegen einige Mitglieder ihres Führungspersonals richteten. Krankheitskosten waren nicht gedeckt, Gehaltseinbussen von bis zu 60 Prozent wurden den Angestellten wegen Covid in Aussicht gestellt, rassistische Beleidigungen und sexistische Übergriffe waren an der Tagesordnung. Die Chefin schaute weg. Dann entschuldigte sie sich und entliess drei Personen aus ihrer Führungsetage.
Danach wird immer mehr bekannt: Dutzende ehemaliger und aktueller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichteten über die Chefin selbst. Dass man nie zuerst das Wort an sie richten dürfe, dass man ihr nie direkt in die Augen schauen dürfe, dass es verboten sei, auf dem Gelände ihrer Show Fleisch oder Fisch zu essen, dass sie gerne gegen unten trete, dass viele Stars einzig vor laufender Kamera mit ihr kommunizieren dürfen und so weiter.
Einiges klingt an den Haaren herbeigezogen oder neidisch oder voller Ressentiments. Aber es bleibt hängen. Selbst an Teflon. Und es passt allzu gut zu einigen königinnenhaften Szenen, die in der Öffentlichkeit, die über keine Millionen verfügt, schlecht ankommen. Etwa Ellens Bemerkung, dass sie sich im Lockdown in ihrer Villa wie im «Gefängnis» fühle. Oder dass sie von einem Flugzeug nichts als die ersten zehn Reihen (der Business-Klasse) kenne.
Am 26. Mai 2022 geht «The Ellen Degeneres Show» nun zu Ende. Erwartet werden unter anderen Michelle Obama, Channing Tatum, Serena Williams, Gwen Stefani, David Letterman, Diane Keaton, Kim Kardashian und natürlich Portia de Rossi. Der Chefin wird danach wieder was Neues einfallen, sie ist die jugendlichste 64-Jährige, die man sich vorstellen kann. Bereits 2018 verlängerte sie ihren Vertrag nur widerwillig, dieser getrübte Abschied ist für sie keine Katastrophe.
Wahrscheinlich wird ihre gute Freundin Oprah sie bald einmal in einen heilenden Talk einladen. Vor der Kamera natürlich. Es wird gewiss sehr unterhaltsam. Abermillionen werden einschalten.