Egal, ob Netflix oder Paramount Warner kauft – es wird eine Katastrophe
2019 übernahm Disney für 71,3 Milliarden US-Dollar 20th Century Fox. 2022 verleibte sich Amazon Metro-Goldwyn-Mayer für den Schnäppchenpreis von 8,45 Milliarden US-Dollar ein. 2026 oder 2027 will Netflix, so die Absichtserklärung vom vergangenen Freitag, alle Unter-Unternehmen von Warner Bros. Discovery, die Fiktionen produzieren, für 83 Milliarden US-Dollar geschluckt haben. Also das Studio Warner Bros., den Sender HBO, den Streamer HBO Max, DC Comics und sämtliche damit verbundenen Lizenzen. Weitere Warner-Discovery-Marken wie etwa der Nachrichtensender CNN wären von dem Deal nicht betroffen.
Oder, das ist seit gestern Montag die zweite Absichtserklärung, Paramount wird für 108,4 Milliarden US-Dollar alles übernehmen. Also auch CNN.
Welches Szenario ist schlimmer? Beide. Aus unterschiedlichen Gründen.
Was würde sich bei einem Deal mit Netflix genau ändern? Wieso reden Hollywood-Grössen wie Jane Fonda und Sean Baker, der wesentlich jüngere Regisseur des letztjährigen Oscar-Hits «Anora», von einer «Katastrophe»?
Hollywood schmilzt. Die Streamer blähen sich auf. Netflix plus HBO wäre ein Gigant. Allerdings nicht im Ausmass von 1 plus 1 gleich 2. Würde Netflix gewinnen, so würde das neue Unternehmen kein Abonnentenvolumen von weltweit 300 Millionen (Netflix) plus 130 Millionen (HBO) umfassen: Es gibt bei den Abonnentinnen und Abonnenten doch relativ viele Überschneidungen und viele werden froh sein, in einem immer unüberschaubareren Streamer-Markt ein Abo im Monat weniger bezahlen zu müssen. Eine Preiserhöhung von Netflix dürfte da nur unwesentlich ins Gewicht fallen. Hauptsache, Konkurrent HBO wäre ausgeschaltet.
Netflix würde der mit Abstand grösste Player. Grösse bedeutet immer Macht. Und Macht ist nichts Gutes. Denn Macht setzt ungehindert neue Massstäbe, das ist in der Ära Trump besonders gut zu beobachten. Hollywoods Gewerkschaften befürchten sinkende Gehälter für alle Filmschaffenden. Was für überbezahlte Stars kein existenzielles Problem darstellen dürfte, wäre für den bescheiden bezahlten Kabelträger und die Kostümbildnerin, für die Schreinerin, den Maler und die Stuntleute tatsächlich eine Katastrophe.
Kinos würden sterben. Auch bei uns. Das tun sie schon seit der Pandemie, jetzt würde es noch schneller gehen. Denn Netflix ist an kurzen Präsenzzeiten seiner Filme im Kino nur dann interessiert, wenn es gilt, die Formalitäten fürs Oscar-Rennen zu erfüllen. Also zwei, drei Male im Jahr. Aktuell verspricht Netflix zwar noch, die künftigen Warner-Produktionen wie bisher im Kino laufen zu lassen, doch diesem Versprechen ist nicht zu trauen, wenn einmal Sparmassnahmen nötig sind, ist es am einfachsten zu brechen. Logisch auch, dass sich das Publikum beim bald bevorstehenden Heimstart eines Films nicht auch noch ein Kinoticket kauft.
Betrachtet man das Schweizer Kinojahr 2025, so finden sich unter den Top 50 14 Warner-Filme mit insgesamt 1,5 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern. 2024 wurden in der Schweiz 10,26 Millionen Kinotickets verkauft, 2025 dürfte mit ähnlich vielen zu rechnen sein. 1,5 Millionen Tickets weniger (oder zumindest ein Grossteil davon) sind da kaum zu verkraften.
Geschlossene Kinos bedeuten wegfallende Arbeitsplätze. Aber auch geschlossene Orte eines gemeinschaftlichen (Er-)Lebens. Der Rückzug ins Häusliche, in die Vereinzelung und Vereinsamung im grossen virtuellen Theater erhält noch ein kleines bisschen mehr Antrieb. Und: Filme, an denen viele Menschen jahrelang hart gearbeitet haben, würden viel schneller wieder in Vergessenheit geraten. Oder könnt ihr euch daran erinnern, was ihr letzte Woche auf Netflix genau gesehen habt?
Und Netflix? Es könnte sich über 100 Jahre Film- und ein Vierteljahrhundert Qualitäts-Serien-Geschichte einverleiben. Es erhielte dank der neuen Tochtergesellschaft endlich eine Timeline und eine sehr viel grössere Auswahl. Von HBO kommen etwa die Serienklassiker «The Sopranos», «Six Feet Under», «The Wire». Von Warner Ikonen des amerikanischen Films wie «Casablanca», «What Ever Happened to Baby Jane?», «Bonnie and Clyde» bis hin zu «Matrix», «Harry Potter», «Inception» oder «The Dark Knight». Das ist ein Schatz an kulturellem Kapital, für den tatsächlich kein Preis zu hoch ist.
Es ist nicht das erste Mal, dass Warner in ein anderes Unternehmen integriert werden soll, seine Pflegeeltern hiessen schon Time Inc., AOL und AT&T und bis jetzt Discovery, es hat sich für keine Seite gelohnt. Ausgerechnet Trump könnte der «Rettung» durch Netflix noch dazwischengrätschen. Denn ausgerechnet Trump äusserte am Wochenende plötzlich kartellrechtliche Bedenken.
Selbstverständlich sind diese nicht redlich. Denn Trump unterstützt den Netflix-Konkurrenten Paramount, dessen Besitzerfamilie wiederum Trumps Wahlkampf unterstützt hat.
Paramount war letzte Woche gemeinsam mit Netflix und Comcast, dem u.a. die Universal Studios gehören, im Rennen, konnte jedoch die 73 Milliarden von Netflix nicht mehr überbieten und stieg aus. Woher jetzt plötzlich die zusätzlichen 25 Milliarden gekommen sind, ist eine der interessanteren Fragen im Überbietungskrieg der beiden Unternehmen. Wer kann spontan so viel Geld locker machen? Elon Musk?
Paramount wendete sich mit seinem Versuch einer feindlichen Übernahme nicht an Warner selbst, sondern hinterrücks an dessen Hauptaktionäre und warnte sie vor dem «minderwertigen» Angebot von Netflix.
Für Hollywood wäre ein Deal mit Paramount besser als mit Netflix, denn Paramount denkt nicht daran, die globale Kinolandschaft zu gefährden, dafür sind die 1912 gegründeten Paramount Pictures viel zu geschichtsbewusst. Diese Gefahr wäre gebannt.
Dafür wäre die Gefahr für die amerikanische Demokratie umso grösser. Denn der trumpkritische Nachrichtensender CNN könnte, wie schon der im Sommer 2025 von Paramount gekaufte Sender CBS News, auf Trump-Linie gebracht werden. Schlimmer noch: Paramount-CEO David Ellison redete am Montagabend in einem Interview mit CNBC davon, dass er sich vorstellen könne, die «Nachrichtenbeschaffung» von CNN und CBS zu vereinen. Das wäre ein neuer, monströser Angriff auf die amerikanische Medienvielfalt.
Dass Trump aktuell ein CBS-Interview mit der republikanischen Abgeordneten Marjorie Taylor Greene missbilligt und auf die Paramount-Besitzer schimpft, hat nichts zu bedeuten, vielleicht ist es gar eine Verwedelungs-Taktik, eine Nebelpetarde, um das Herz des Deals gegen aussen nicht ganz so dunkel erscheinen zu lassen.
Both are worse, heisst es auf Englisch für den deutschen Ausdruck «Pest und Cholera». Man müsste einen Deal finden, der die Überlebenschancen des Kinos, die Paramount ermöglicht, und die politische Unabhängigkeit von Netflix kombiniert. Doch das ist Wunschdenken.
