Wir werden immer älter. Ein Mädchen, das letztes Jahr in der Schweiz geboren wurde, hatte bei Geburt eine durchschnittliche Lebenserwartung von 85,4 Jahren. Das ist viel im Vergleich zu 1876: Damals waren es lediglich 47 Jahre. Doch wie die Lebenserwartung auch steigen mag, es gibt offenbar eine anscheinend unüberwindliche Grenze: Obwohl die Zahl der Menschen auf der Erde in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat, wird niemand älter als etwa 120 Jahre.
Ungefähr hier liegt offenbar die «Schallmauer» der maximalen menschlichen Lebensspanne. Wir sind damit relativ langlebig; von den höher entwickelten Organismen leben nur einige Walarten (der Grönlandwal bringt es auf über 200 Jahre), Riesenschildkröten und Störe länger.
Den Altersrekord bei Menschen hält nach wie vor die 1997 mit 122 Jahren gestorbene Französin Jeanne Calment. Derzeit ist die Japanerin Tanaka Kane der älteste lebende Mensch, sie ist 116 Jahre alt. Doch die Chancen stehen gut, dass dieser Rekord noch im gegenwärtigen Jahrhundert pulverisiert wird – zumindest wenn man einigen zukunftsfrohen Visionären glauben mag. Sie arbeiten daran, einen alten Menschheitstraum zu verwirklichen: den Tod zu besiegen.
Da ist zum Beispiel der Internetinvestor Peter Thiel, der zusammen mit Elon Musk und Max Levchin den Bezahldienst Paypal gründete. «Meiner Ansicht nach kann man sich zum Tod auf dreierlei Weise verhalten», sagte er einmal. «Man kann ihn akzeptieren, man kann ihn leugnen, oder man kann ihn bekämpfen. Ich glaube, unsere Gesellschaft besteht vor allem aus Leuten, die ihn hinnehmen oder leugnen. Ich bekämpfe ihn lieber.» Thiel ist allerdings kein Wissenschaftler; er führt seinen Kampf gegen den Tod mit Geld. Der Milliardär hat grosse Summen in über ein Dutzend Unternehmen gesteckt, die an Lebensverlängerung und regenerativer Medizin arbeiten.
So hat Thiel – zusammen mit Amazon-Chef Jeff Bezos – in das 2009 gegründete Start-up Unity Biotechnology investiert, das sich dem Kampf gegen den Alterungsprozess verschrieben hat. Dessen CEO Nathaniel David ist 50 Jahre alt, wird jedoch – wie er dem «New Yorker» sagte – meistens auf 30 geschätzt. Davids scherzhafter Kommentar dazu: «Manche Investoren finden mein jugendliches Aussehen alarmierend. Andere wie Peter Thiel finden es alarmierend, wenn jemand älter aussieht als 40.»
Unity Biotechnology entwickelt Medikamente, die seneszente Zellen im Körper angreifen. Diese Zellen, die sich nicht mehr teilen und irreparable DNA-Schäden aufweisen, werden mit dem Alterungsprozess in Zusammenhang gebracht. Tierversuche des Molekularbiologen und Firmen-Mitgründers Jan van Deursen konnten 2016 zeigen, dass Mäuse, deren seneszente Zellen abgetötet wurden, ein Drittel länger lebten als exakt gleichaltrige, unbehandelte Mäuse.
Thiel hat auch den britischen Biogerontologen Aubrey de Grey mit mehreren Millionen Dollar unterstützt. Für de Grey, der mit seiner hageren Erscheinung und dem langen Bart wie ein Hippie wirkt, ist klar: «Altern ist auf jeden Fall ungesund.» Sein Projekt ist die SENS-Stiftung (Strategies for Engineered Negligible Senescence), deren Ziel darin besteht, den Alterungsprozess zu verstehen und zu beeinflussen.
Wenn es gelinge, diesen Alterungsprozess auszuschalten, würden die Menschen im Schnitt mindestens 1000 Jahre alt – und dies in einem gesunden Körper, glaubt de Grey. Damit dies gelingt, müssen sieben Ursachen des Sterbens beseitigt werden, die de Grey in Anspielung auf die sieben Todsünden («seven deadly sins») – «seven deadly things» nennt. Dazu zählen beispielsweise Mutationen im Zellkern und in den Mitochondrien, Zellverlust und -schwund sowie Ansammlung von Abfallstoffen in den Zellen. Für einige dieser «deadly things» werden bereits Therapien oder Reparaturmöglichkeiten erforscht.
De Grey, der als Informatiker begann und als Quereinsteiger zur Biogerontologie kam, wird von der Fachwelt eher ignoriert. Für seine These spricht immerhin, dass nicht jeder Organismus dem Schicksal des Alterns unterworfen ist. So scheint es, dass einige Seegurkenarten oder Süsswasserpolypen – aber auch Pilze – potenziell unbegrenzt leben können. Das gilt auch für Bakterien, die sich unter idealen Bedingungen beliebig weiter teilen können.
In Mountain View, wo die SENS-Stiftung ihren Sitz hat, befindet sich auch das Google-Hauptquartier. Der Internet-Gigant hat auf Betreiben von Google-Mitgründer Larry Page bereits 2013 eine eigene Firma namens «Calico» («California Life Company») ins Leben gerufen, die nach «dem Algorithmus der Unsterblichkeit» suchen soll, wie der «Spiegel» schreibt. Das Motto der Firma, die von Google als sogenannter «Moon Shot» – das sind Projekte, die sich nicht unbedingt kurzfristig rechnen müssen – gegründet wurde, lautet: «Wir gehen das Altern an, eines der grössten Rätsel des Lebens.»
Laut Page, dessen Imperativ «Hege eine gesunde Geringschätzung des Unmöglichen!» lautet, soll Calico die Lebenserwartung der Menschen um mehrere Jahrzehnte erhöhen. Wie ambitioniert dieses Ziel ist, lässt sich daran ermessen, dass die Heilung von Krebs – wie Page in einem Interview mit dem US-Magazin «Time» vorgerechnet hat – die Lebenserwartung nur gerade um drei Jahre verlängern würde.
Calico-Boss Art Levinson, Ex-Chef des Biotechnologiekonzerns Genentech, stehen für dieses ambitionierte Ziel 1.5 Milliarden Dollar aus der Schatztruhe des Suchmaschinen-Konzerns zur Verfügung. Und dessen Daten – denn Calico verfolgt den Ansatz, riesige unstrukturierte Datenmengen auszuwerten, um bisher verborgene Zusammenhänge und Muster zu entdecken. So glauben die Calico-Forscher, mit dem Nacktmull (Heterocephalus glaber) ein «nicht alterndes Säugetier» identifiziert zu haben. Sie hatten dazu die Daten von mehr als 3000 Tieren über einen Zeitraum von 30 Jahren analysiert.
Ebenfalls auf der Google-Lohnliste steht einer der eifrigsten Propagandisten des ewigen Lebens: Ray Kurzweil. Der Futurologe ist seit Dezember 2012 «Director of Engineering» beim IT-Konzern. Kurzweil, dessen Vater früh gestorben ist und der sich vielleicht deshalb so unablässig mit dem Thema Unsterblichkeit befasst, ist davon überzeugt, dass der Durchbruch kurz bevorsteht. Etwa im Jahr 2024 soll die Biotechnologie so weit sein, dass wir menschliche Gene reparieren und optimieren können.
Für Kurzweil ist der Tod «eine grosse Tragödie, ein schwerwiegender Verlust», den er nicht akzeptieren will. Er glaubt, neue Errungenschaften in der Medizin würden innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre dafür sorgen, dass sich die Lebenserwartung pro Jahr um mehr als ein Jahr erhöht. 2045 soll das Altern dann endgültig sterben: Dann werden Nanobots, winzige Roboter, alte oder defekte Zellen in unserem Körper austauschen und als Teil der Immunabwehr Krankheitserreger bekämpfen.
Falls diese medizinisch-biologischen Ansätze scheitern sollten, sieht Kurzweil den Ausweg in der Digitalisierung. Zum einen soll der Mensch zum Cyborg mutieren: Mehr und mehr Teile unseres Körpers werden wir durch künstliche Bausteine ersetzen können, so dass wir uns Schritt für Schritt in eine – nahezu unsterbliche – Maschine verwandeln. Dies würde freilich den Menschen radikal verändern, was Kurzweil jedoch nicht beunruhigt – er ist einer der Verfechter des Transhumanismus. Diese vor allem im Silicon Valley verwurzelte Bewegung strebt danach, die biologischen Grenzen des Menschen zu überwinden, so dass er am Ende dank der Technik eine neue Evolutionsstufe erreicht.
Der womöglich radikalste Traum des Transhumanismus, den auch Kurzweil träumt, besteht darin, das gesamte Bewusstsein eines Individuums in die Cloud hochzuladen. Dank dieses «Mind uploading» könnten wir dann ein rein digitales und unsterbliches Leben führen.
Bescheidener, aber möglicherweise konkreter und vielversprechender ist der Ansatz, den Gregory Fahy verfolgt. Der Biogerontologe und medizinische Direktor der biopharmazeutischen Firma Intervene Immune hat nach eigenem Bekunden erstmals die Lebensuhr von Menschen zurückgestellt, wie die «Zeit» berichtete. Durch eine Kombination von bereits bekannten Wirkstoffen gelang es ihm, das biologische Lebensalter von neun Testpersonen – allesamt Männer im Alter von 51 bis 65 Jahren – um zweieinhalb Jahre zurückzudrehen.
Die Probanden erhielten ein Jahr lang unter anderem das menschliche Wachstumshormon hGH, das Diabetes-Medikament Metformin sowie DHEA, eine sexualhormonähnliche Substanz. Der Cocktail zielte auf den Thymus, ein lediglich etwa 50 Gramm schweres Organ im menschlichen Körper. Die im Brustkorb liegende Drüse besitzt zahlreiche Immunzellen; hier trainiert das Immunsystem seine Abwehrzellen. Doch bei Erwachsenen verkümmert das Organ allmählich. Der Vorrat an Immunzellen nimmt – besonders nach dem 60. Lebensjahr – ständig ab, was die Anfälligkeit für Infekte erhöht. Auch Autoimmunerkrankungen sind dann wahrscheinlicher.
Fahys Behandlung vermochte den Thymus der Probanden tatsächlich teilweise zu regenerieren. Es wuchs neues Thymusgewebe, das Profil ihrer Blutzellen veränderte sich – ebenso wie das Verhältnis der Monozyten zu Leukozyten, das nach der Therapie dem von bedeutend jüngeren Menschen entsprach. Zudem sanken die Entzündungswerte im Blut. Nach der einjährigen Behandlung war ihre biologische Uhr nicht um ein Jahr vorgerückt, sondern im Schnitt um anderthalb Jahre zurückgesprungen, so dass ein Gewinn von zweieinhalb Jahren Lebenszeit resultierte.
Die Ergebnisse, die Fahy in der Fachzeitschrift «Nature» publizierte, sind allerdings mit Vorsicht zu geniessen: Die Zahl der Probanden war sehr klein und es befand sich keine einzige Frau darunter. Ausserdem gab es keine Kontrollgruppe – das will Fahy in einer nächsten Studie ändern. Er weist jedoch darauf hin, dass die Verjüngung nicht auf einem Placebo-Effekt beruht: «Die biologische Uhr dreht sich nicht allein durch ein Placebo zurück.» Ob und wie lange der Verjüngungseffekt anhält, ist ebenso unklar wie die Frage, ob die Behandlung später doch noch Nebenwirkungen hat.
Sollte es tatsächlich gelingen, Alter und Tod zu besiegen, so müssten sich unsere Gesellschaft und unser Menschsein grundlegend verändern. Es würden sich Fragen stellen: Wie sähe es beispielsweise mit der Fortpflanzung aus? Möglicherweise dürften dann nur noch wenige Kinder geboren werden – als Ersatz für die wenigen durch Unfälle oder Verbrechen bedingten Verluste an Menschenleben. Aber wer dürfte Kinder haben, wer nicht?
Und wie sähe ein Gesellschaft fast ohne Kinder aus? Müsste sie nicht erstarren? Wie würden wir unsere Beziehungen leben? Würden wir jahrhundertelang mit demselben Partner zusammenbleiben? Und würden wir uns nicht irgendwann tödlich langweilen?
Das ewige Leben dürfte teuer sein. Was würde geschehen, wenn sich Reiche die Behandlung leisten könnten, andere aber nicht? Würden sich die Sterblichen diese Ungerechtigkeit bieten lassen ohne aufzumucken? Noch sind diese Fragen hypothetisch, aber es könnte eine Zeit kommen, da wir die Antworten darauf finden müssen.
Eskimo (Inuit für die Selbstgerechten)
Arzt: Dann müssen sie heiraten.
Patient: Und dann werde ich ewig leben?
Arzt: Nein, aber der Wunsch verschwindet.
D0MD0M
Scaros_2
Auf der einen Seite reden wir ständig von "begrenzten Ressourcen" dieses Planeten und das der Klimawandel kommt und wir was tun müssen um den Fussabdruck jedes einzelnen zu reduzieren.
Aber gleichzeitig will das "Tier" Mensch unsterblich werden und damit unendlich die Ressourcen nutzen was ja auch dazu führt das es unweigerlich immer mehr werden.
Oder TL:DR - Unsere Gier zerstört uns alleweil.