Dabei hätte dieses Konzert beinahe gar nicht stattgefunden: Der Pianist Guy Moskovich kugelte sich am selben Tag die Schulter aus. Nur dank einer schnellen medizinischen Behandlung konnte sie wieder eingerenkt werden. Die Band stand kurz davor, den Auftritt abzusagen, doch sie entschieden sich, dennoch aufzutreten. Dass der Pianist trotz dieser Verletzung auf die Bühne ging, verlieh dem Abend eine zusätzliche Dimension von Mut und Hingabe.
Bereits der Einstieg in das Konzert zeigte, dass hier nicht einfach ein Standardprogramm zu erwarten war. Die Musik begann sanft. Zuerst tastete sich das Klavier mit ruhigen, leisen Tönen an die Atmosphäre heran. Nach und nach kamen zarte Schläge vom Schlagzeug hinzu, bevor auch der Kontrabassist mit schwebenden Akkorden einstieg. Alles wirkte improvisiert und zugleich sorgfältig abgestimmt. Es war ein Einstieg, der das Publikum sofort in eine konzentrierte, gespannte Stille versetzte.
Besonders auffällig war die kreative Spielweise des Schlagzeugers. Mit der rechten Hand benutzte er Brushes für sanfte Jazzrhythmen, während er mit der linken Hand mit einem Stick vorsichtig über das Schlagzeug strich. Dieser eigenwillige Einsatz von Materialien und Bewegungen verlieh dem Klangbild etwas Flirrendes, beinahe Elektrisches. Im Laufe des Konzerts wechselte der Schlagzeuger mehrmals die Schläger und Spieltechniken, was für viel klangliche Abwechslung sorgte. Auch der Bass, der aus dem Hauseigenem des Pflegidachs stammte, verlangte ein sensibles Fingergefühl. Doch Alon Near stellt sich ganz auf ihn ein und integrierte ihn mühelos in das Gesamtklangbild.
Die drei Musiker agierten wie ein lebendiger Organismus. Oft spielten sie mit geschlossenen Augen, die Köpfe bewegten sich im Rhythmus der Musik, als würden sie die Töne körperlich mitfühlen. Besonders beeindruckend war die Art und Weise, wie sich Stücke musikalisch entwickelten. Viele Kompositionen begannen sehr leise, beinahe tastend, und steigerten sich dann zu intensiven Höhepunkten. Diese Steigerungen sorgten für Gänsehaut und fesselten die Zuhörer über weite Strecken hinweg.
Alon Near ist nicht nur ein technisch brillanter Musiker, sondern auch ein Künstler mit Haltung. In einem Moment des Konzerts nutzte er die Bühne, um über die politische Situation in seiner Heimat Israel zu sprechen. Besonders eindrücklich war der Song "Tunnels", in dem er seine persönliche Betroffenheit ausdrückte. Ein israelischer Geiselnehmer mit demselben Vornamen wie er selbst, der ebenfalls Pianist war, habe ihn tief bewegt. "Es könnte auch ich sein", sagte Near und liess diese Worte in der Luft stehen, begleitet von sanften Pianoklängen.
Ein weiterer emotionaler Höhepunkt war das Stück "Breathe", der erste Song, den Near je komponiert hat. Er präsentierte es lebendig, beinahe ausgelassen, und zeigte damit, wie sehr Musik für ihn auch eine Beruhigung ist. Neben politischen Themen ging es auch um persönliche Geschichten. Der Song "Tokyo" war seinem Hund gewidmet und brachte mit seiner liebevollen Note ein Lächeln auf viele Gesichter im Raum.
Doch nicht alles war tiefgründig und ernst. Mit dem Stück "Shiguim", was im Hebräischen so viel wie "Albereien" oder "Shenanigans" bedeutet, zeigte Near eine verspielte, fast ausgetobte Seite. Hier durften sich die Musiker ausleben. Der Kontrabassist hatte in einem längeren Abschnitt die Bühne ganz für sich allein, ohne Begleitung durch Klavier oder Schlagzeug. Seine Solopassage füllte den Raum mit feinen, fast zerbrechlichen Klängen und zeigte, wie viel musikalische Kraft in der Stille liegen kann.
Als das Konzert sich dem Ende zuneigte, war die Begeisterung im Saal deutlich spürbar. Alon Near bedankte sich mehrfach für die Aufmerksamkeit und den Enthusiasmus der Zuhörerinnen und Zuhörer. Sein Wunsch nach Frieden, seine Hingabe zur Musik und seine Bereitschaft, Emotionen offen zu teilen, machten diesen Abend zu etwas Besonderem.
Das Konzert war kein Spektakel im klassischen Sinne, sondern eine fein komponierte Mischung aus Tiefe, Spontanität, Leichtigkeit und künstlerischem Mut. Dass es trotz gesundheitlicher Zwischenfälle stattfand, zeugt von echter Leidenschaft. Wer an diesem Abend im Pflegidach Muri war, hat nicht nur Musik gehört, sondern eine Geschichte erlebt.