Die Verzweiflung war ganz real: Als Leonard Cohen in den späten Dezembertagen des Jahres 1967 sein erstes Album veröffentlichte, galt er im Sinne der damaligen Jugendkultur als wenig vertrauenswürdig. 33 Jahre zählte er bereits, als «The Songs Of Leonard Cohen» Erstaunen erregte: Melancholische Düsternis und gediegene Trauer in den Liedern passten kaum zu Flower Power, Antikriegsgesängen und elektrifizierten Gitarrensoli. Und das alles aus dem Munde eines Greises!
In der bewegten Vor-Woodstock-Zeit galt durchaus das eitle Dogma der Youngsters, besser keinem über 30 zu trauen. Die Rock-Revolution jedenfalls bewegte sich wild in alle Richtungen – und da kam ein jüdischer Intellektueller aus Westmount bei Montreal, um dieses Spektakel eloquent zu entschleunigen.
Heute, mit 80 Jahren, wird Cohen darüber bestenfalls leise lächeln, denn ihm geht es längst wieder gut. Die Sorge um die materielle Welt hat er dank seines weltweiten Konzert-Comebacks in den Jahren seit 2008 und dem Beginn seiner buddhistischen Studien Mitte der Neunzigerjahre weit hinter sich gelassen.
Dafür fand er einen Spiritus rector, der ihm in allen irdischen Fährnissen beistand. In das spartanische Mount Baldy Zen-Zentrum, 80 Kilometer östlich von Los Angeles in ruhigen 2000 Metern Höhe gelegen, zog er sich immer wieder zurück und pflegte eine innige Beziehung zu seinem Guru Roshi, für den er kochte und als Chauffeur arbeitete: Grösstmöglicher Abstand vom Musikerleben. Ganz abgesehen davon, dass er in hohem Alter dank der Machenschaften seiner ehemaligen Managerin Kelly Lynch praktisch pleite und zum neuerlichen Konzertieren verdammt war.
Popmusik interessierte Leonard Cohen in jungen Jahren wenig, zur musikalischen Karriere musste er gedrängt werden. In Kanada hatte er Anfang der Sechzigerjahre als Autor von Gedichten und Prosa bereits leidlichen Erfolg. Im Zuge aufblühender Singer/Songwriter-Genres rieten ihm Freunde dazu, seine oft düsteren Texte zu vertonen. Ein begnadeter Sänger und Gitarrist war Cohen nie, dazu auf der Bühne schüchtern, doch gerade diese Dezenz begründete seine ureigene Aura. Geschäftliches Geschick ging ihm anfangs ab: Die Rechte an seinem Song «Suzanne» (den die Kollegin Judy Collins als erste in die Charts brachte) gab er für ein paar hundert Dollar weg.
Bis 1988 allerdings musste Cohen auf seinen ersten Hit in den Billboard Charts warten. Das Album «I'm Your Man» mit seinen stromlinienförmigen Synthie-Arrangements liess seinen Ruhm explodieren, enthielt das Album doch einige seiner stärksten Songs. Und in Europa wurde er eh gefeiert, auch für seine bemerkenswerten Konzerte, in denen er sich inzwischen sogar als talentierter Humorist erwies. Sein Lampenfieber hatte Cohen in Charisma gewandelt, und er trat mit immensem Erfolg sogar auf Open Air Festivals auf.
Cohen blieb unberechenbar. Nach frühen Beinahe-Evergreens wie «Sisters Of Mercy», «Bird On The Wire» oder «Dress Rehearsal Rag» zu «Lover, Lover, Lover» schrieb er Wunderbares wie «Waiting for the Miracle», dazu fand er mit der Musikerin und Autorin Sharon Robinson eine ideale künstlerische Ergänzung. Seinen vielleicht wirkungsvollsten Song der neuen Ära hatte Cohen bereits 1985 abgeliefert: «Hallelujah» vom Album «Various Positions» wurde zur inoffiziellen Cohen-Hymne weltweit.
Ein rekordverdächtig oft gecovertes Meisterwerk und betörend in seiner schlichten Würde. Sogar zu Frank Elstners Zeiten in «Wetten, dass, ...?» war er damit zu Gast, und er bewahrte mit seiner naiven Heiligkeit die leicht peinliche TV-Inszenierung vor dem Kitsch-Kollaps. Jüngere Nachfahren wie Rufus Wainwright und Jeff Buckley nahmen Versionen davon auf. Es kam vor, dass sich junge Besucher von Cohen-Konzerten sogar fragten, weshalb es dieser Grandseigneur nötig hätte, etwas von Rufus Wainwright vorzutragen.
Darstellungen von Cohens Kunst und Vita gibt es einige. Wenigen gelang das so detailliert und so sachlich wie der englischen Journalistin Sylvie Simmons, die mit «I'm Your Man – Das Leben des Leonard Cohen» (btb) 2012 die ultimative Biographie vorlegte. Wem rund 700 Seiten über Cohen zu viel sind, dem sei die soeben erschienene Bildbiographie «Everybody Knows Leonard Cohen» (Knesebeck) von Harvey Kubernick empfohlen: Bilder zum Blättern von allen Stationen seiner Karriere, dazu Zitate und Reportagen. Seicht, aber süffig.
Von Peter Maffay, Fehlfarben, Reinhard Mey, Nina Hagen, Tim Bendzko, Johannes Oerding und anderen bekommt Leonard Cohen zum Achtzigsten ein Album («Poem»/Sony) mit deutschen Interpretationen seiner Songs. Die deutschen Texte sind dem Vernehmen nach mit dem Maestro abgestimmt, aber die meisten Versionen nähern sich dem Original einen Tick zu schüchtern. Reinhard Mey trifft den Cohen-Ton am besten, Fehlfarben am eigenwilligsten, und Peter Maffay träumt in bewährter Manier von einem fernen Land namens «Manhattan».
Gegen ungezügelte Bewunderung hatte der durchaus eitle Leonard Cohen noch nie etwas einzuwenden. Vielleicht recycelt er zum runden Geburtstag ein klassisches Zitat als Trinkspruch: «They locked up a man for trying to rule the world, the fools, they locked up the wrong man». Alles Gute, Mr. Cohen!