Der Film war schon eine Legende, bevor ihn überhaupt jemand gesehen hatte. Eine Million Menschen waren zur Premiere nach Atlanta gekommen und der Gouverneur von Georgia hatte den Tag zum Feiertag erklärt. Immerhin wurde ein Kultfilm geboren: Vor 75 Jahren, genauer: am 15. Dezember 1939 lief der Film «Gone With the Wind» an. Bis heute ist es der erfolgreichste Streifen der Kinogeschichte – und ein Touristenmagnet für Atlanta.
Die grösste Stadt Georgias feiert auch den 75. Jahrestag. Viele Ausstellungen, einige davon kostenlos, informieren über Buch und Film und ein «Gone With the Wind Trail» verbindet die einzelnen Attraktionen. Zum Beispiel das Margaret Mitchell House, in dem die Autorin der Romanvorlage und Pulitzer-Preisträgerin wohnte, auch als sie sich einen Palast hätte leisten können.
«Wir haben hier Touristen aus der ganzen Welt. Es sind besonders viele Europäer dabei, aber die meisten sind natürlich Amerikaner», sagt Führerin Joanna Arrieta über die Mitchell-Pilger. Alles ist noch so eingerichtet, als wäre Mitchell gerade fortgegangen. Der altertümliche Toaster steht noch ebenso da wie die Stehlampe, in deren Schein sie den Weltbestseller schrieb.
«Sie hatte einen Reitunfall und die Zeit nutzte sie, ein Buch zu schreiben», erklärt Arrieta . «Dabei ging sie ungewöhnlich vor: Sie schrieb immer ein Kapitel, fing aber am Ende an.» Die Seiten habe sie dann in der Wohnung versteckt, bis das Buch komplett war.
«Sie gehen auf den Originalfliesen von 1919», sagt Arrieta. «Im ersten Entwurf hiess Scarlett noch Pansey. Ich glaube, wir sind alle froh, dass sie das noch einmal überarbeitet hat.» Das Manuskript des Films wird im Haus aufbewahrt. «Immer wieder stehen hier Touristen und spielen den Film nach, manche mit Tränen in den Augen.»
Das beliebteste Fotomotiv ist das überlebensgrosse Porträt von Vivien Leigh, pardon Scarlett O'Hara. «Das hing im Film im Gutshaus Tara», erklärt die Führerin. Nachdem der Film abgedreht war, schenkte man es einer Schule und da hing es im Essenssaal. Wenn man genau hinschaut, sieht man noch Spuren von Essensschlachten. Einige Filmfans scheinen Kopfschmerzen zu bekommen bei der Vorstellung, wie diese Filmreliquie entweiht wurde. «Gone with the Wind» ist in Atlanta fast Religion.
Nur ein paar Blocks weiter in der Peachtree Avenue stand das Loew's Grand Theatre, in dem mehrere grosse Filme Premiere hatten – keiner reichte aber an «Vom Winde verweht» heran. Drei Tage lang feierte Atlanta den Film, die Parade der Autos mit den Stars sollen 300.000 Menschen verfolgt haben. An der Ecke steht heute ein Bürohochhaus. Denn 1978 brannte das geschichtsträchtige Theater ab. Bis heute hält sich das Gerücht, das denkmalgeschützte Haus sei einem «warmen Abriss», sprich Brandstiftung, zum Opfer gefallen.
In derselben Strasse ereignete sich 1949 ein Unfall, als ein Betrunkener eine Frau anfuhr. Die 48-Jährige starb fünf Tage später im Krankenhaus – es war Margaret Mitchell. Ihr Grab ist auf dem nahen Oakland Cemetery. Man könnte Probleme haben, es zu finden, schliesslich steht auf dem Stein ihr Ehename Margaret Marsh. Doch noch wichtiger als die kleinen Schildchen, die zu der Stelle weisen, ist etwas anderes: Auch nach 65 Jahren liegen jeden Tag frische Blumen auf dem Grab.
(Chris Melzer, dpa)