«Ein Prosit der Gemütlichkeit», singen die fünf Herren, und man hört ihren Stimmen an, dass sie geübt sind. Kameraden aus der Musikkapelle hat Herr Ochs zum Schoppen in seinen Keller geladen, und daran wäre eigentlich nichts Besonderes, wäre dieser Keller nicht über und über mit Erinnerungen an die Nazizeit geschmückt, mit Orden und Uniformen, Hakenkreuzfahnen und Stahlhelmen, mittendrin ein grosses gerahmtes Hitler-Porträt.
«Die menschlichen Abgründe, die sich im Abgrund eines Kellers spiegeln», die suchte der österreichische Regisseur Ulrich Seidl für sein Filmprojekt «Im Keller», wie er schon 2010 in einem Interview der Süddeutschen Zeitung erzählte. Damals bekannte er, dass die Fälle Kampusch und Fritzl ihm den Anstoss gaben, sich «auf die Recherche in den Untergrund meines Landes zu begeben». Der Film feiert beim Zurich Film Festival am 4. Oktober seine Schweizer Premiere.
Von diesen krassen Verbrechen ist natürlich weit entfernt, was der Filmemacher in seinem Dokumentarfilm «Im Keller» zeigt, aber dennoch begann die Staatsanwaltschaft schon vor dem Filmstart in den österreichischen Kinos am 26. September mit Ermittlungen – wegen des Verdachts auf Verletzung des Verbotsgesetzes, dessen Paragraf 3G «jede Betätigung im nationalsozialistischen Sinne zum Inhalt» habe, so eine Sprecherin zum ORF.
Es geht, natürlich, um den oben geschilderten Keller mit dem Nazitand, in dem Ulrich Seidl die Sangesbrüder gefilmt hat. Aufsehen hatte die Szene aus dem offiziellen Trailer vor allem deshalb erregt, weil ein genau hinschauender Reporter des Privatfernsehsenders Puls 4 unter den Sängern im Nazikeller zwei Gemeinderäte des burgenländischen Ortes Marz erkannt hatte.
Nach einigem Rumoren in der Kommunal- und Landespolitik erklärten die beiden am Freitag ihren Verzicht auf das politische Amt, das die Männer zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 2009 allerdings noch nicht innehatten. Zudem erklärten sie auch ihren Austritt aus der ÖVP. «Es war ein Fehler, an so einem Dreh teilzunehmen», erklärten die Kommunalpolitiker, die sich zudem «aus tiefster Überzeugung» von «jeglichem NS-Gedankengut und Gräueltaten» distanzierten.
Ulrich Seidl äusserte sich «überrascht» über die Folgen dieser Szene. Der Besitzer des Kellers sei nach Ansicht des Filmemachers kein Nazi, «sondern ein Nostalgiker, der die Hitlerzeit verharmlost», sagte er der Agentur APA. Da seien Ochs und seine Freunde «nicht die Einzigen in Österreich», auch wenn andere keinen Nazikeller hätten, hatte er bereits dem ORF gesagt.
Am Montag dann eine überraschende Wendung: Die zurückgetretenen Kommunalpolitiker präsentierten der burgenländischen Lokalzeitung BVZ einen Werkvertrag, aus dem hervorgehe, dass die Marzer Musikanten als Statisten für den Film engagiert worden seien: «Wir wussten zu diesem Zeitpunkt wirklich nicht, was auf uns zukommt. Vier Komparsen wurden an diesem Tag ausgewählt, unterzeichneten einen Werkvertrag, wofür sie auch bezahlt wurden.»
Bezahlte Statisten also, denen Unrecht getan wurde? Ulrich Seidl will sich dieser Darstellung nicht anschliessen. «Ich verstehe menschlich, dass sie versuchen, ihre Haut zu retten», sagte Seidl der APA. Es sei nicht versteckt gefilmt worden und auch nicht in einer Überrumpelung: «Es wird das gezeigt, was man sieht.» Die Leute seien ja nicht dazu gezwungen worden, «als Mitglieder der örtlichen Musikkapelle sich da hinzusetzen neben den Ochs und zu trinken», als erwachsene Menschen wüssten sie, was sie tun.
Die Debatte rührt allerdings tatsächlich an die Methoden Seidls, der ursprünglich mit Dokumentarfilmen wie «Tierische Liebe» bekannt wurde, zuletzt aber vor allem Spielfilme drehte, die allerdings in ihrem Stil ans Dokumentarische erinnern. Bei den Filmfestspielen von Venedig 2012 erregte ein Film aus Seidls «Paradies»-Spielfilmtrilogie Aufsehen: Eine Masturbationsszene mit einem Kreuz wurde als blasphemisch kritisiert.
«Im Keller» ist für Seidl ausdrücklich eine Rückkehr zur dokumentarischen Form. Dennoch sagte er im Interview, er schöpfe aus der Wirklichkeit, «aber es ist nicht so, dass ich einfach eins zu eins die Dinge aufnehme». An der Szene im Nazikeller sei allerdings «nichts erfunden». Dass die Mitwirkenden eine Aufwandsentschädigung bekommen hätten, sei «bei Dreharbeiten allerorts normal und üblich», auch bei Dokumentarfilmen.
(feb/dpa/Reuters)