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«Ich sah, wie sie auf Ambulanzen schossen» 

Galina Jakowenko (30) ist am Samstag aus Lugansk geflüchtet.
Galina Jakowenko (30) ist am Samstag aus Lugansk geflüchtet.Bild: ZVG.
Flucht aus der Ostukraine

«Ich sah, wie sie auf Ambulanzen schossen» 

Die heftigen Kämpfe zwischen Separatisten und der Armee gehen weiter – darunter leiden Menschen wie Galina, die aus Lugansk geflüchtet ist.
21.07.2014, 05:4121.07.2014, 14:47
Fabian Hägler / Aargauer Zeitung
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Aargauer Zeitung

Galina Jakowenko ist eine lebenslustige, fröhliche Frau. Die 30-jährige Ukrainerin aus Lugansk lacht viel, fährt gerne Motorrad und mag Ferien am Meer. Sie arbeitete als Beraterin beim Kosmetikunternehmen Mary Kay und betreute als Dozentin ausländische Studenten an der Universität Lugansk. 

Schon im April, als Separatisten die ersten Strassensperren errichteten und Gebäude besetzten, empfahl Galina ihren Studenten, das Stadtzentrum zu meiden. Seither hat sich die Lage in der Stadt zusehends verschlechtert. «Von meiner Wohnung aus konnte ich immer wieder Schiessereien hören, dazu die Helikopter und Flugzeuge, die tief über die Stadt flogen, das war beängstigend», sagt Galina. Sie unterstützt die prorussischen Separatisten nicht, sondern wünscht sich eine vereinte Ukraine. 

Am Freitag behauptete der ukrainische Verteidigungsminister, Regierungstruppen hätten einen Teil von Lugansk von den Rebellen zurückerobert. Eine gute Nachricht für Galina? «Eigentlich schon, aber ich kann nicht sagen, ob das stimmt», erklärt die Ukrainerin. Für die Bevölkerung der Stadt mit ihren 500'000 Einwohnern sei die Situation so gefährlich, dass sie sich kaum ein Bild von der Lage machen könne. 

«In meinem Quartier sind Menschen gestorben, auch mein Nachbar. Es gab Beschuss mit Granaten, aber ich kann nicht beurteilen, ob das die ukrainische Armee oder die Rebellen waren», sagt Galina. Über das soziale Netzwerk Vkontakte, das russische Pendant zu Facebook, schickt sie selbst aufgenommene Bilder von Leichen, die mit Teppichen und Tüchern bedeckt in den Strassen liegen. Die bittere Ironie des Krieges: Ein paar Meter weiter an derselben Strasse steht der Kinokomplex «Mir» – das russische Wort für Frieden. 

Jetzt auf

Selber unter Beschuss geraten 

Als Galina am Samstag im Auto unterwegs war, geriet sie selber unter Mörserfeuer. «Das waren die Separatisten, ich blieb zum Glück unverletzt, habe aber kurz danach gesehen, wie sie auf Ambulanzfahrzeuge schossen», erzählt Galina. Seither hat sie nur noch Angst – und sie flüchtete. «Ich habe mit meinem Mann am Samstag die Stadt verlassen, weil es zu gefährlich ist in Lugansk», sagt Galina. Mit dem Auto ist das Ehepaar geflüchtet, die Nacht auf Sonntag haben sie im Dorf Irmino bei Verwandten verbracht. Auf dem Weg aus der Stadt passierten sie Panzerkolonnen und Checkpoints der Separatisten. «Wir wurden aber nicht kontrolliert, vielleicht hat die Angst in meinen Augen den Rebellen gezeigt, dass wir harmlose Flüchtlinge sind», berichtet sie. 

«Momentan ist in Irmino alles ruhig», sagt Galina, als sie sich am Sonntag wieder meldet. In Lugansk herrsche aber Panik. «Ich habe mit Freunden telefoniert, die aus der Stadt weg möchten. Aber die Züge nach Charkow fahren nicht, die Verbindungen wurden gestrichen, es gibt keine Tickets», erzählt sie. Wie lange sie in Irmino bleiben wird, weiss Galina nicht. «Die Situation kann sich jede Stunde ändern, aber ich weiss nicht, wohin ich im Notfall gehen soll. Die Armee hat die Strassen blockiert, damit die Rebellen ihre Einheiten nicht verschieben können.» Auf ihrer Bankkarte hat sie gerade noch 200 Griwna (etwa 16 Franken), und die Verzweiflung ist spürbar, als Galina sagt: «Lassen Sie uns beten, dass alles gut wird.» 

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