Unser Leben ist ein einziger, oft vergeblicher Kampf gegen Ähs oder Ähms, die uns alles verderben können: die mündliche Prüfung, den Speech, der uns alle Türen öffnen soll, das Date oder sogar eine Rede bei einer Abdankung. Kein Wort kommt uns leichter über die Lippen. Meist sagen wir, sobald wir den Mund aufmachen, zuerst einmal Äh.
Lange galt die Regel: Wer häufig ähm sagt, hat nicht viel zu sagen. Die gute Absicht, etwas auszudrücken, ist da, aber entweder fehlen die Gedanken oder die passenden Wörter. Oder man hat den Faden verloren und versucht die Sendepause im Kopf mit Füllwörtern zu kaschieren.
Ein hoher Ähm-Ausstoss, so das alte Vorurteil, verrät Inkompetenz oder unprofessionelles Verhalten. Kommunikationscoachs sehen darin gar einen Glaubwürdigkeitskiller und leben gut davon, dass sie vor allem Vertretern aus Politik und Wirtschaft die Füllwörter austreiben.
Mit zweischneidigem Erfolg: Vordergründig mögen die Politiker und Manager danach mediengewandter und smarter wirken, aber beim genauen Hinhören zeigt sich, dass sie die Ähs einfach durch unerträgliche Floskeln ersetzen wie «ganz klar», «Wer mich kennt …» oder «Wir müssen sehen».
Ich erinnere mich, wie ich in meinen ersten Jahren als Radiojournalist jedes Äh vermeiden oder herausschneiden wollte, weil ich glaubte, niemand zahle gern Gebühren für ein derart überflüssiges Wörtchen, das ja jedem einfällt, wenn ihm sonst nichts einfällt. Also besuchte ich Sprechtrainings.
Dort wurden mir die Füllwörter aber nicht ausgetrieben. Ich erfuhr im Gegenteil, man solle Mut zum Äh haben. Es verleiht unserem Sprechen eine besondere Note, sofern das Ä nicht unerträglich zu einem Äääh gedehnt wird. Füllwörter wirken bodenständig, authentisch und spontan. Die Leute hätten dann das Gefühl, man sei einer von ihnen.
Wie immer ist es aber eine Frage der Dosis: Längst gibt es Auswertungen von Prominentenreden. Mark Zuckerberg meidet Uhs oder Ums (die englische Entsprechung für Äs und Ähms). Er klingt nicht unbedingt sympathischer, sondern eher wie ein KI-Roboter. Als charismatisch wird eingeschätzt, wer Füllwörter moderat einsetzt, etwa zwei pro Minute, wie es bei Steve Jobs der Fall war oder mindestens eines in 90 Sekunden wie Oprah Winfrey.
Früher gingen Sprachwissenschafter wie der berühmte Noam Chomsky davon aus, es handle sich bei den Füllwörtern um einen Systemfehler. Bei der Umsetzung des Sprachwissens in tatsächliches Sprechen finde eine Panne oder ein Störmanöver statt. Inzwischen hat die Linguistik aber die Ä-Wörter rehabilitiert, die im Fachjargon «Diskurspartikel» oder «Häsitationsmarker» genannt werden.
Damit verschaffen wir uns kognitiv Luft, gerade wenn wir hohe Denkleistungen erbringen. Statt etwas Falsches zu sagen, sagen wir eben Äh. Wie die Forschung herausgefunden hat, können Füllwörter diverse praktische Funktionen erfüllen: Sie dienen als Anstandspause oder als Reparatursignal, wenn man sich versprochen hat. Sie können mein Gegenüber ermuntern, mir beizuspringen oder mich zu unterbrechen, ohne dass es unhöflich wirkt. Sie kommen auch als Dämpfer zum Einsatz, wenn wir unserm Gegenüber möglichst schonend eine schlechte Nachricht beibringen müssen.
Die Sprachwissenschaft ist längst nicht die einzige Disziplin, die Ähms erforscht. Psychologie und Kriminalistik widmen den Füllwörtern ebenfalls aufwendige Studien. So fördern diese Partikel das menschliche Sprachverständnis, wie psychologische Experimente an der University of California zeigten. Mit anderen Worten: Ohne Ähms wären wir inkompetenter und doofer.
Noch mehr Aufsehen erregen neueste Erkenntnisse bei der Ermittlung von Verbrechern. Forschungen an der Universität Trier belegen, dass die Art, wie wir Füllwörter benutzen, uns entlarven, ähnlich wie Fingerabdrücke. So lassen sich künftig Kriminelle durch die Analyse von Stimmproben überführen. Die sprachkundigen Ermittlerinnen müssen lediglich auf die Ähs achten, wie und wann sie ausgedrückt werden, und schon können sie den Täter überführen.
Jeder Mensch habe individuelle sprachliche Merkmale und Muster, anhand derer er sich identifizieren lasse, sagte die Trierer Professorin Angelika Braun kürzlich gegenüber dem «Spiegel». Sie hat Tausende von Ähs und Ähms studiert und die Versuchspersonen über einen längeren Zeitraum abgehört. Die Verwendung der Füllpartikel blieb konstant. Was belegt, dass wir alle, selbst wenn wir sonst kaum Einzigartiges zu sagen haben, wenigstens Ähm auf unnachahmliche Weise ausdrücken.