Zusammen stark! Das ist das Motto von Syna, der mit rund 60'000 Mitgliedern zweitgrössten Gewerkschaft im Lande. «Zusammen stark» ist auch der Name der gewerkschaftsinternen Reorganisation, die 2019 vom Vorstand verabschiedet wurde und letztlich dafür gesorgt hat, dass das Gegenteil eingetroffen ist: «Stark» ist die Syna derzeit definitiv nicht – und «zusammen» schon gar nicht.
Die Reorganisation hat einen monatelang andauernden Machtkampf ausgelöst zwischen der operativen Geschäftsleitung und den sogenannten Basismitgliedern im Vorstand – und endete damit, dass der Vorstand am 8. Juli die gesamte Geschäftsleitung per sofort freigestellt hat. Mittlerweile hat er die Stellen mit internem Personal ad interim wieder besetzt.
Die Reorganisation sollte Syna professioneller und effizienter machen, letztlich hat sie die Organisation gelähmt. Aufgebaut hat sich der Widerstand in den regionalen Büros, wo aus 18 Kleinregionen 9 Grossregionen werden sollten. So wurden etwa die Einheiten Basel und Aargau zusammengelegt, sowie Luzern mit Nid- und Obwalden, Uri mit der Sektion Zug/Innerschwyz oder die Ostschweiz mit Graubünden. Es ist ein Vorgehen, das zwangsläufig auf der Führungsetage Verlierer generiert, gibt es doch nach Abschluss statt mehrerer Kleinregionenchefs nur noch einen Grossregionenlenker.
Jene Kräfte, die zurückgestuft wurden, seien es gewesen, die den Widerstand «angezettelt» hätten, heisst es aus dem Syna-Umfeld. Was mit «persönlichen Enttäuschungen» anfing und «persönlichen Animositäten» angereichert wurde, hat sich zu einem Konflikt ausgeweitet, der lange unter dem Deckel gehalten werden konnte, bevor er im Frühling offen ausbrach, als der Vorstand die Geschäftsleitung zum ersten Mal vor die Tür gestellt hatte – zu Unrecht, wie im Nachgang mit Hilfe von Juristen geurteilt wurde. Beim zweiten Mal hat es dann doch noch geklappt.
Zuvor hatten schon viele Angestellte die Syna freiwillig verlassen. Und zwar in Scharen. Der schwelende Konflikt war vielleicht nicht immer, aber doch oft der Grund für die Kündigung. «Es war schon sehr ermüdend», erzählt eine Person. «So kann man nicht arbeiten», sagt eine andere.
Gewonnen hätten jene Kräfte, die keine Reformen wollten, hält eine Person aus dem Syna-Umfeld fest. Eine andere bedauert, dass sich die konservativen Kräfte im Kampf gegen ihre progressiven Opponenten durchgesetzt hätten. Auf Seiten des obsiegenden Vorstands sieht man das freilich ganz anders: Anja Pfeiffer, Basismitglied im Vorstand, spricht von «unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten zwischen der ehemaligen Geschäftsleitung und dem Vorstand bezüglich der zukünftigen Ausrichtung von Syna».
Auch hinsichtlich der Verteilung von Kompetenzen und Verantwortlichkeiten hätten «grundlegende Differenzen» bestanden, ergänzt Pfeiffer. «Dies führte zu einem fundamentalen gegenseitigen Vertrauensverlust, was eine konstruktive Zusammenarbeit verunmöglichte und zum Entscheid der Basismitglieder für die Beendigung der Zusammenarbeit mit der ehemaligen Geschäftsleitung führte.»
Bei der Gewerkschaft will man eigentlich nicht mehr über den Konflikt reden. Die Devise heisst: Vorwärtsschauen. Mit dem Votum an der ausserordentlichen Delegiertenversammlung vom 2. Juli hätten die Delegierten einen «Schlussstrich unter einen seit Monaten schwelenden Konflikt» gezogen. Es seien turbulente Zeiten gewesen, sagt Johann Tscherrig, der zur am 16. Juli ad interim eingesetzten Geschäftsleitung gehört. «Nun hoffen wir, dass Ruhe einkehrt.»
Doch die Ausnahmesituation dürfte noch eine Weile andauern – schliesslich steht die Gewerkschaft heute ohne Präsidium da. Das ist eine Folge der in Bezug auf gute Unternehmensführung nicht wirklich vorbildlichen Organisation der Syna, bei der das Präsidium auch immer in der Geschäftsleitung Einsitz nimmt. Mit dem Rauswurf des langjährigen Syna-Chefs Arno Kerst und seiner Stellvertreterin Mandy Zeckra hat der mehrheitlich aus Basismitgliedern bestehende Vorstand auch sein Präsidium verloren.
Kerst hatte bereits früher seinen Rücktritt angekündigt, die 40-jährige Zeckra wollte ihn beerben. Ein Szenario, das es gemäss mehrerer Basismitglieder im Vorstand zu verhindern galt. Für einige Syna-Kenner ist es nebst der besagten Reorganisation einer der Hauptgründe für diesen Knatsch. Einer sagt es so: Krisensituationen würden offensichtlich genutzt, um alte männliche Seilschaften aufleben zu lassen, «wo sich Frauen vorher mühsam einen Platz erkämpft» hätten.
Kersts Nachfolge im Präsidium hätte ursprünglich am Gewerkschaftskongress vom kommenden 22. Oktober gewählt werden sollen. Doch dazu wird es wohl kaum kommen. Es sieht so aus, dass der Kongress ins Frühjahr 2023 verschoben wird. Er soll im Herbst mit einer weiteren ausserordentlichen Delegiertenversammlung vorbereitet werden.
Der offen ausgetragene Machtkampf bei der Syna hat auch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) auf den Plan gerufen: «Das Seco verfolgt die Situation bei der Gewerkschaft Syna aufmerksam», heisst es dort. Und dies nicht nur, weil für das Amt «eine gut funktionierende Sozialpartnerschaft von grosser Bedeutung» sei. Sondern vor allem auch, weil die Syna im Auftrag des Seco eine Arbeitslosenkasse führt. Diese hat 2021 knapp 240 Millionen Franken an Arbeitslosengeldern und zusätzlich gut 42 Millionen Franken an Kurzarbeitsgeldern ausbezahlt - und kassierte dafür als «Verwaltungskostenentschädigung» vom Staat rund 9.6 Millionen Franken.
Das Tagesgeschäft bei der Syna-Kasse scheint nicht betroffen zu sein von den Querelen in der Gewerkschaft. Jedenfalls vermeldet das Seco, dass es «in seiner Aufsichtsfunktion keine Dysfunktion der Arbeitslosenkasse» habe feststellen können. «Die Auszahlung der Leistungen an Versicherte und Unternehmen sind nicht gefährdet.»