Schweiz

Darum steht die Gewerkschaft Syna heute ohne Führung

Eine Reform und eine Frau: Darum steht die Gewerkschaft Syna heute ohne Führung da

Die Syna kommt noch lang nicht zur Ruhe. Nun schaut auch das Seco genau hin, denn es geht auch um Millionen an öffentlichen Geldern.
06.08.2022, 22:06
Florence Vuichard / ch media
Mehr «Schweiz»

Zusammen stark! Das ist das Motto von Syna, der mit rund 60'000 Mitgliedern zweitgrössten Gewerkschaft im Lande. «Zusammen stark» ist auch der Name der gewerkschaftsinternen Reorganisation, die 2019 vom Vorstand verabschiedet wurde und letztlich dafür gesorgt hat, dass das Gegenteil eingetroffen ist: «Stark» ist die Syna derzeit definitiv nicht – und «zusammen» schon gar nicht.

Die Reorganisation hat einen monatelang andauernden Machtkampf ausgelöst zwischen der operativen Geschäftsleitung und den sogenannten Basismitgliedern im Vorstand – und endete damit, dass der Vorstand am 8. Juli die gesamte Geschäftsleitung per sofort freigestellt hat. Mittlerweile hat er die Stellen mit internem Personal ad interim wieder besetzt.

Mehrere hundert Menschen demonstrieren am Donnerstag, 7. August 2003, in Kreuzlingen (TG) an einer Kundgebung gegen den geplanten Abbau von 170 Arbeitsplaetzen beim kanadischen Aluminium- und Verpacku ...
2003 kämpfte die Syna noch für ihre Mitglieder, heute kämpft sie gegen sich selbst.Bild: keystone

Aus 18 Kleinregionen werden 9 Grossregionen

Die Reorganisation sollte Syna professioneller und effizienter machen, letztlich hat sie die Organisation gelähmt. Aufgebaut hat sich der Widerstand in den regionalen Büros, wo aus 18 Kleinregionen 9 Grossregionen werden sollten. So wurden etwa die Einheiten Basel und Aargau zusammengelegt, sowie Luzern mit Nid- und Obwalden, Uri mit der Sektion Zug/Innerschwyz oder die Ostschweiz mit Graubünden. Es ist ein Vorgehen, das zwangsläufig auf der Führungsetage Verlierer generiert, gibt es doch nach Abschluss statt mehrerer Kleinregionenchefs nur noch einen Grossregionenlenker.

Jene Kräfte, die zurückgestuft wurden, seien es gewesen, die den Widerstand «angezettelt» hätten, heisst es aus dem Syna-Umfeld. Was mit «persönlichen Enttäuschungen» anfing und «persönlichen Animositäten» angereichert wurde, hat sich zu einem Konflikt ausgeweitet, der lange unter dem Deckel gehalten werden konnte, bevor er im Frühling offen ausbrach, als der Vorstand die Geschäftsleitung zum ersten Mal vor die Tür gestellt hatte – zu Unrecht, wie im Nachgang mit Hilfe von Juristen geurteilt wurde. Beim zweiten Mal hat es dann doch noch geklappt.

Aderlass ohne Ende

Zuvor hatten schon viele Angestellte die Syna freiwillig verlassen. Und zwar in Scharen. Der schwelende Konflikt war vielleicht nicht immer, aber doch oft der Grund für die Kündigung. «Es war schon sehr ermüdend», erzählt eine Person. «So kann man nicht arbeiten», sagt eine andere.

Gewonnen hätten jene Kräfte, die keine Reformen wollten, hält eine Person aus dem Syna-Umfeld fest. Eine andere bedauert, dass sich die konservativen Kräfte im Kampf gegen ihre progressiven Opponenten durchgesetzt hätten. Auf Seiten des obsiegenden Vorstands sieht man das freilich ganz anders: Anja Pfeiffer, Basismitglied im Vorstand, spricht von «unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten zwischen der ehemaligen Geschäftsleitung und dem Vorstand bezüglich der zukünftigen Ausrichtung von Syna».

Auch hinsichtlich der Verteilung von Kompetenzen und Verantwortlichkeiten hätten «grundlegende Differenzen» bestanden, ergänzt Pfeiffer. «Dies führte zu einem fundamentalen gegenseitigen Vertrauensverlust, was eine konstruktive Zusammenarbeit verunmöglichte und zum Entscheid der Basismitglieder für die Beendigung der Zusammenarbeit mit der ehemaligen Geschäftsleitung führte.»

Mitglieder der Gewerkschaft Unia demonstrieren am Zuerich Hauptbahnhof neben der Bahnhofsuhr am Dienstag, 10. November 2015, bezueglich der erneuerung des Landesmantelvertrags. Ueber hundert Baustelle ...
2015 demonstrieren Mitglieder der Gewerkschaften Unia und Syna am Zürcher Hauptbahnhof. Über 100 Baustellen in Zürich standen damals still.Bild: KEYSTONE

Das Problem mit dem vakanten Präsidium

Bei der Gewerkschaft will man eigentlich nicht mehr über den Konflikt reden. Die Devise heisst: Vorwärtsschauen. Mit dem Votum an der ausserordentlichen Delegiertenversammlung vom 2. Juli hätten die Delegierten einen «Schlussstrich unter einen seit Monaten schwelenden Konflikt» gezogen. Es seien turbulente Zeiten gewesen, sagt Johann Tscherrig, der zur am 16. Juli ad interim eingesetzten Geschäftsleitung gehört. «Nun hoffen wir, dass Ruhe einkehrt.»

Doch die Ausnahmesituation dürfte noch eine Weile andauern – schliesslich steht die Gewerkschaft heute ohne Präsidium da. Das ist eine Folge der in Bezug auf gute Unternehmensführung nicht wirklich vorbildlichen Organisation der Syna, bei der das Präsidium auch immer in der Geschäftsleitung Einsitz nimmt. Mit dem Rauswurf des langjährigen Syna-Chefs Arno Kerst und seiner Stellvertreterin Mandy Zeckra hat der mehrheitlich aus Basismitgliedern bestehende Vorstand auch sein Präsidium verloren.

Kerst hatte bereits früher seinen Rücktritt angekündigt, die 40-jährige Zeckra wollte ihn beerben. Ein Szenario, das es gemäss mehrerer Basismitglieder im Vorstand zu verhindern galt. Für einige Syna-Kenner ist es nebst der besagten Reorganisation einer der Hauptgründe für diesen Knatsch. Einer sagt es so: Krisensituationen würden offensichtlich genutzt, um alte männliche Seilschaften aufleben zu lassen, «wo sich Frauen vorher mühsam einen Platz erkämpft» hätten.

Kersts Nachfolge im Präsidium hätte ursprünglich am Gewerkschaftskongress vom kommenden 22. Oktober gewählt werden sollen. Doch dazu wird es wohl kaum kommen. Es sieht so aus, dass der Kongress ins Frühjahr 2023 verschoben wird. Er soll im Herbst mit einer weiteren ausserordentlichen Delegiertenversammlung vorbereitet werden.

Seco verfolgt den Fall Syna «aufmerksam»

Der offen ausgetragene Machtkampf bei der Syna hat auch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) auf den Plan gerufen: «Das Seco verfolgt die Situation bei der Gewerkschaft Syna aufmerksam», heisst es dort. Und dies nicht nur, weil für das Amt «eine gut funktionierende Sozialpartnerschaft von grosser Bedeutung» sei. Sondern vor allem auch, weil die Syna im Auftrag des Seco eine Arbeitslosenkasse führt. Diese hat 2021 knapp 240 Millionen Franken an Arbeitslosengeldern und zusätzlich gut 42 Millionen Franken an Kurzarbeitsgeldern ausbezahlt - und kassierte dafür als «Verwaltungskostenentschädigung» vom Staat rund 9.6 Millionen Franken.

Das Tagesgeschäft bei der Syna-Kasse scheint nicht betroffen zu sein von den Querelen in der Gewerkschaft. Jedenfalls vermeldet das Seco, dass es «in seiner Aufsichtsfunktion keine Dysfunktion der Arbeitslosenkasse» habe feststellen können. «Die Auszahlung der Leistungen an Versicherte und Unternehmen sind nicht gefährdet.»

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Themen
Streik, Bahnstreik
1 / 14
Streik, Bahnstreik
Diesem armen Kerl hat wohl niemand mitgeteilt, dass der Bahnstreik in Deutschland begonnen hat.
quelle: epa/dpa / bobo marks
Auf Facebook teilenAuf X teilen
SDA Streik - Plakate malen
Video: undefined
Das könnte dich auch noch interessieren:
1 Kommentar
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Jonaman
06.08.2022 23:11registriert Oktober 2017
Also wenn schon eine Gewerkschaft solche Führungsprobleme hat, sollte sie sich vielleicht lieber grad ganz auflösen. Schliesslich sollte ja genau sie ein Vorbild für andere Firmen sein, wie man eine Firma mitarbeiterfreundlich führt. Wozu sie offensichtlich unfähig ist.
268
Melden
Zum Kommentar
1
Eklat in der SVP: Christian Imark stellt pikante Forderung an Magdalena Martullo-Blocher
Das ist höchst ungewöhnlich. Energiespezialist Imark greift SVP-Vizepräsidentin Martullo-Blocher offen an. Sein Vorwurf: Mit ihrem Nein zum Stromgesetz gefährde sie langfristige Parteiinteressen.

Auf der einen Seite steht Christian Imark. Der SVP-Nationalrat aus Solothurn brachte am 2021 das CO₂-Gesetz praktisch im Alleingang zum Absturz. Im Februar 2024 reichte er als Mitglied des Initiativkomitees die Blackoutinitiative ein, die neue AKW wieder erlauben will. Und 2023 war er als Vertreter der Energiekommission (Urek) verantwortlich dafür, dass die SVP-Fraktion das Stromgesetz von SVP-Bundesrat Albert Rösti mit 36:18 Stimmen absegnete. Die Volksabstimmung findet am 9. Juni statt.

Zur Story