Am Montag im Tessin, gestern in Basel, Bern und Zürich und heute in der Westschweiz: Rund 3000 Bauarbeiter aus der Deutschschweiz folgten einem Aufruf der Gewerkschaften Unia und Syna – sie sprechen nicht von Streik, sondern von Protest.
Die Gewerkschafter trafen sich anschliessend zum Mittagessen im Zürcher Hauptbahnhof. Laut den Gewerkschaften fanden sich rund 2000 Bauarbeiter in der Bahnhofshalle ein – gemäss einer Zählung der Nachrichtenagentur SDA waren es rund 1500.
Der Hintergrund der Aktion ist ein Streit um die künftigen Arbeitsbedingungen auf dem Bau. Die Unia fordert sofortige Verhandlungen zur Erneuerung des Landesmantelvertrags (LMV) – wie der Gesamtarbeitsvertrag in dieser Branche genannt wird.
Darin soll die Finanzierung der Überbrückungsrente mit 60 neu geregelt und der Schutz bei Schlechtwetter neu definiert werden. Ausserdem wollen sie eine bessere Kontrolle bei Lohndumping erreichen. «Der Baumeisterverband nimmt einen vertragslosen Zustand in Kauf», sagt Lorenz Keller von der Unia Zürich-Schaffhausen.
Der Baumeisterverband bezeichnet viele Aussagen der Gewerkschaften als nachweislich falsch. So führe der Verband laut Direktor Daniel Lehmann seit einiger Zeit sehr wohl Verhandlungen mit den Gewerkschaften; nämlich über die Sicherung der Finanzierung der Frührente ab 60 und über die Löhne für das Jahr 2016. Ebenso über die Verbesserung der Massnahmen gegen Lohndumping.
Falsch sei auch der Vorwurf, der Baumeisterverband wolle die Frührente ab 60 abschaffen. «Das pure Gegenteil stimmt, wir wollen die Frühpensionierung zwingend erhalten», so Lehmann.
Vor allem aber biete der Baumeisterverband den Gewerkschaften die Verlängerung des bestehenden Landesmantelvertrags an. Diesen zu verlängern, sei ein mehr als grosszügiges Angebot, so Lehmann, und doch nie und nimmer ein Grund, zu streiken und den Arbeitsfrieden zu verletzen: «Wenn die Unia mit uns allerdings sozialpartnerschaftliche Verhandlungen in allen Bereichen führen will, dann darf sie nicht die sozialpartnerschaftlichen Regeln unterlaufen», gibt Lehmann zu bedenken.
Genau dies mache die Unia aber mit ihrer «Fachstelle Risikoanalyse», die nicht nur die Sozialpartnerschaft unterlaufe, sondern auch rechtlich unhaltbar sei.
Tatsächlich befindet sich die Baubranche in einer ungemütlichen Situation. Trotz des Baubooms der letzten Jahre haben es die meisten Betriebe nicht geschafft, gute Zahlen zu schreiben. In einem ruinösen Konkurrenzkampf haben sich viele Baufirmen preislich unterboten.
Bei öffentlichen Grossaufträgen spielt die Konkurrenz aus dem Ausland mit. Nun sind im zweiten Quartal dieses Jahres die Umsätze deutlich zurückgegangen.
Auch die Auftragseingänge und der Arbeitsvorrat lagen per Ende Juni deutlich tiefer als im letzten Jahr. Die Aussichten versprechen nur wenig Besserung. Der Tiefbau zeigt sich stabil.
Gleichzeitig leidet die Baubranche unter Nachwuchssorgen: Geschätzte 300 von rund 2100 Lehrstellen können jeweils gar nicht besetzt werden – und dies, obwohl in kaum einer anderen Branche so gute Löhne gezahlt werden. Der Mindestlohn liegt bei rund 4400 Franken, ein Polier verdient mindestens 6300 Franken.
Die Ausgangslage für Neuverhandlungen kann nicht schlechter sein: Auf der einen Seite eine verunsicherte Branche, welche die Margen im Auge behalten und sich gleichzeitig als attraktiver Arbeitgeber präsentieren möchte. Auf der anderen Seite die Gewerkschaften, welche die Errungenschaften nicht kampflos aufgeben.