Die Nervosität in Oberwil-Lieli steigt. Man rechnet mit einer Rekord-Stimmbeteiligung am Sonntag und einem engen Resultat zur Frage, ob die Gemeinde wie vom Kanton vorgesehen Asylbewerber aufnehmen oder stattdessen eine Ersatzabgabe zahlen soll.
Und so kämpfen die beiden Lager bis zum letzten Tag mit harten Bandagen.
«Gemeinderat zensuriert ‹Wochenfalter› – was die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger von Oberwil-Lieli nicht lesen dürften!» titelt die IG Solidarität in einem Extrablatt, das am Donnerstag publiziert wurde. Es geht um einen Artikel, in dem die IG Behauptungen des Gemeinderates zur Definition von Asylbewerbern im Zusammenhang mit Sozialhilfe zurechtrücken wollte (siehe Textbox). Die Intervention sei dem Vernehmen nach durch Gemeindeammann Andreas Glarner persönlich erfolgt, so die IG Solidarität.
Der Gemeinderat von Oberwil-Lieli warnt davor, dass Asylbewerber nach fünf, spätestens nach sieben Jahren «voll zu Lasten der Sozialhilfe der Wohngemeinde gehen», falls der Asylbewerber zum Sozialhilfeempfänger werde (was bei 65-70 % der Fall sei). Das koste die Gemeinde 30'000 Franken Grundkosten im Jahr pro Sozialhilfeempfänger.
Diese Aussage sei falsch, sagt die IG Solidarität. Nur bei anerkannten Flüchtlingen und vorläufig aufgenommenen Personen müsse die Gemeinde nach 5 bzw. 7 Jahren die Sozialkosten übernehmen. Bei der Abstimmung vom 1. Mai gehe es jedoch um die Aufnahme von Personen mit Satus F, also solchen, deren Asylgesuche abgewiesen worden seien, die vorläufig aber nicht in ihr Land zurückgeschickt werden könnten, weil dort beispielsweise Krieg herrsche. Die Kosten für diese Personen würden vom Kanton übernommen.
«Wochenfalter»-Redaktor Robert Brendlin bestätigt auf Anfrage: Ja, Andreas Glarner habe ultimativ verlangt, den Beitrag rauszunehmen. Die Zeitungsvorlage sei am Mittwochmorgen bereits in der Druckerei gewesen, als die Gemeindeschreiberin ihn gebeten habe, die Artikel zur Asylabstimmung vorzulegen. Das habe er getan, worauf er ein Telefon von Glarner bekommen habe. «Er hat soviel Druck gemacht, dass ich den Artikel am Schluss halt entfernt habe», sagt Brendlin.
Für die IG Solidarität ist diese Intervention ein «inakzeptabler Akt von obrigkeitlicher Zensur». Sie habe sich ihrerseits verpflichtet, den Abstimmungskampf sachlich und unpolemisch zu führen. «Die Zensurintervention des Gemeinderates zerstört das Vertrauensverhältnis und damit die sachliche Streitkultur und den politischen Anstand in unserem schönen Dorf», heisst es im Extrablatt.
Andreas Glarner steht dazu, bei der «Wochenfalter»-Redaktion interveniert zu haben. «Die IG Solidarität wirft uns in ihrem Artikel vor, Fakten zu verdrehen und fordert uns darin auf, die Behauptungen richtig zu stellen. Dazu hatten wir aber gar keine Gelegenheit mehr, weil die Zeitung schon zum Druck fertig war.» Glarner kritisiert auch «Wochenfalter»-Redaktor Brendlin. «Er hatte nicht mal die Fairness, uns über den Artikel mit den Anschuldigungen zu unterrichten.» Das gehe so kurz vor der Abstimmung nicht, darum habe er den Artikel gestoppt.
Der «Wochenfalter» ist gemäss Redaktor Brendlin abgesehen von amtlichen Publikationen frei in der Gestaltung. Wirtschaftlich ist das Dorfblatt aber von der Gemeinde abhängig. Laut Glarner steuert diese der Zeitung jährlich über 50'000 Franken bei.
Glarner nimmt für sich und den Gemeinderat in Anspruch, im Abstimmungskampf immer fair gespielt zu haben. «Wir haben den Gegnern in den Abstimmungsunterlagen bewusst gleich viel Platz eingeräumt wie den Argumenten des Gemeinderates», sagt Glarner, «obwohl wir das gar nicht müssten.»
Das stimme, sagt Martin Uebelhart von der IG Solidarität. Allerdings hätten sie stets die Halbwahrheiten des Gemeinderates zum Asylthema im Nachhinein korrigieren müssen. Darum hätte man ihren Beitrag im «Wochenfalter» abdrucken sollen, ohne zuerst wieder den Gemeinderat Stellung nehmen zu lassen.
Mittlerweile haben die Asyl-Befürworter ihre Botschaft auch so unter die Bevölkerung gebracht. Bis am Freitagmorgen sind gemäss Uebelhart alle Haushalte in Oberwil-Lieli mit dem Extrablatt beliefert worden. Auch die lokale SVP hat nochmals mobilisiert und ebenfalls Flugblätter zur Asylabstimmung verteilt.
Am Sonntag ist das Hickhack vorläufig vorbei. Sagen die Stimmberechtigten Ja zum Budget, muss die Gemeinde Asylbewerber aufnehmen. Gemäss Verteilschlüssel sind das zehn vorläufig aufgenommene Personen mit Status F.
(aargauerzeitung.ch)
Undemokratisch, unfreiheitlich, volksfeindlich, brandgefährlich. Danke az/watson für's Aufdecken.