Für Karin Keller-Sutter war es ein schwieriger Auftritt. Erst musste sie lange warten bis zur bundesrätlichen Medienkonferenz, denn die Kantone Waadt und Zürich hatten sich beim Auszählen viel Zeit gelassen. Und dann musste sie erklären, warum das Stimmvolk ihr beim Verhüllungsverbot und beim E-ID-Gesetz die Gefolgschaft verweigert hatte.
Es war der bislang grösste Misserfolg für Keller-Sutter, die ihr Amt als Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) vor etwas mehr als zwei Jahren mit viel Vorschusslorbeeren angetreten hatte. Zumindest im ersten Jahr wurde die 57-Jährige ihnen vollauf gerecht. Die St. Galler Freisinnige wurde als neue starke Frau im Bundesrat gefeiert.
Dann stellte Corona den Politikbetrieb auf den Kopf. KKS, wie sie von Freund und Feind genannt wird, stand weitgehend im Schatten. Auch bei den Volksabstimmungen geriet ihr Motor nach anfänglichen Erfolgen ins Stottern. Im letzten November konnte sie die Konzernverantwortungsinitiative nur dank dem Ständemehr bodigen.
Die jetzige Doppel-Niederlage ist ein beispielloser Vorgang in der Geschichte des Bundesstaats. Er beendet eine relativ lange «Ruhephase», in der das Stimmvolk im Sinne des Bundesrats abgestimmt hatte. Mit einem Corona-bedingten Misstrauen hat dies wenig zu tun. Es gibt plausible Gründe, warum Keller-Sutter zweimal gescheitert ist.
Die Volksinitiative des Egerkinger Komitees hatte stets eine grosse Erfolgschance. Nicht nur aus diesem Grund war das Engagement der Bundesrätin für ein Nein überschaubar. Als Regierungsrätin in ihrem Heimatkanton war Keller-Sutter eine Hardlinerin in der Ausländer- und Sicherheitspolitik, und St. Gallen hatte als zweiter Kanton nach dem Tessin ein solches Verbot eingeführt. Keller-Sutters Bedauern über das Ja des Stimmvolks dürfte sich deshalb in Grenzen halten.
Schmerzhaft ist für die Justizministerin hingegen die Niederlage beim E-ID-Gesetz, vor allem ihre Deutlichkeit. Diese Vorlage war ihr ein echtes Anliegen. Allerdings wirkte sie meistens ziemlich allein. Die Kampagne der Befürworter war blutleer und vor allem fast unsichtbar, während die Gegner mit grossem Engagement für das Nein kämpften.
Für die Wirtschaftsverbände, die sich offiziell für die digitale Identität aussprachen, hatte die Vorlage offensichtlich keine Priorität. Nun muss Keller-Sutters Departement eine neue Gesetzesvorlage ausarbeiten. Einfacher wird es nicht, aber die EJPD-Chefin hat erkannt, dass der Bundesrat bei der Digitalisierung aus dem «stillen Kämmerlein» herauskommen und die Thematik breit diskutieren muss.
Ein Ende von Karin Keller-Sutters Abstimmungsmarathon ist vorläufig nicht in Sicht. Am 13. Juni folgt die nächste hoch umstrittene Vorlage: das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus, kurz PMT. Die Opposition macht schon heute mobil, und sie kommt aus den unterschiedlichsten Richtungen.
Dabei ist die Ausgangslage für die Justizministerin gut. Das Stimmvolk hat bei Vorlagen, in denen es um Sicherheit und Überwachung ging, in den letzten Jahren stets bundestreu abgestimmt. Das Nachrichtendienstgesetz (NDG) wurde 2016 ebenso mit einer Zweidrittelmehrheit angenommen wie das Gesetz über die Sozialdetektive zwei Jahre später.
Dennoch wird die Abstimmung kein Spaziergang. Das PMT wird nicht nur durch die «üblichen Verdächtigen» aus dem linksgrünen Lager und von Netzaktivisten bekämpft, sondern auch von Libertären und vom corona- und staatskritischen Verein Freunde der Verfassung. Er hatte das Referendum vor dem Scheitern gerettet.
Es ist eine spezielle Melange, vor allem weil am 13. Juni auch über das Covid-19-Gesetz abgestimmt wird, ebenfalls aufgrund eines Referendums der Freunde der Verfassung. Ein Nein wäre für den Bundesrat eine böse Überraschung, und für das Anti-Terror-Gesetz gilt dies erst recht. Aber nach diesem Sonntag muss Karin Keller-Sutter gewarnt sein.
Sie hat diese Abstimmung nicht verloren, da sie ihr egal war.