Eine sogenannte Sicherungssteuer. Das heisst, dem Staat geht es nicht um den Ertrag, sondern darum, sicherzustellen, dass die Steuerpflichtigen ihren Obolus an den Fiskus leisten. Die Verrechnungssteuer beträgt in der Schweiz 35 Prozent. Die Steuerehrlichen bekommen sie zurück, wenn sie ihre Zins- oder Dividendenerträge deklarieren. Die Steuerbetrüger hingegen nicht.
Unternehmen brauchen regelmässig neues Geld, wenn sie etwa in neue Produkte oder Maschinen investieren wollen. Wegen der Verrechnungssteuer emittieren sie Obligationen aber oft im Ausland. Die Verrechnungssteuer hat für ausländische Anleger zwei Nachteile: Erstens ist die Rückforderung der Verrechnungssteuer aufwendig und nicht in jedem Fall können sie den ganzen Betrag zurückfordern. Zweitens fehlen liquide Mittel, wenn sie auf die Rückerstattung der Verrechnungssteuer warten müssen. Mit der Reform soll die Verrechnungssteuer auf Zinsen von neu ausgegebenen inländischen Obligationen sowie auf Zinserträgen von Anlagefonds abgeschafft werden. Auch die Umsatzabgabe auf inländischen Obligationen soll aufgehoben werden. Von der Reform nicht betroffen ist das typische Bankkonto wie auch die Dividenden. Die Verrechnungssteuer auf Dividenden macht rund 90 Prozent der Verrechnungssteuereinnahmen aus. Diese lagen 2021 bei 4.9 Milliarden Franken.
Dass die Konzerne ihre Finanzierungsaktivitäten in die Schweiz zurückholen, Arbeitsplätze schaffen und hier mehr Steuern bezahlen statt im Ausland. Schliesslich soll auch der Finanzplatz profitieren: Der Fremdkapitalmarkt gilt als unterentwickelt.
Die Schweiz schöpft ihr Potenzial nicht aus. In der Schweiz werden immer weniger Anleihen herausgegeben. Zwischen 2009 und 2021 ging das Ausgabenvolumen um 57 zurück. Und in Luxemburg, dem europäischen Mekka für Konzernfinanzierungen, werden im Vergleich zum Bruttoinlandprodukt 190 Mal mehr Anleihen herausgegeben als in der Schweiz. Deshalb ringt die Schweizer Politik seit rund zehn Jahren um eine Reform der Verrechnungssteuer.
Sie steht in einem Spannungsfeld zwischen Verhinderung von Steuerhinterziehung, der Attraktivierung des Finanzplatzes und der Sicherung von Steuereinnahmen. Die Linke hat das Referendum gegen die Vorlage ergriffen, weil bewusst eine Steuerlücke in Kauf genommen wird. Wenn auf Zinsen von inländischen Obligationen keine Verrechnungssteuer mehr bezahlt werden muss, steigt der Anreiz zur Steuerhinterziehung. Die Befürworter wiederum wenden ein, dass nur ein Prozent der Schweizer Vermögen in inländischen Anleihen gehalten wird. SP und Grüne kritisieren zudem, dass von der Reform vor allem ausländische Anleger profitieren, sprich Geld ins Ausland abfliessen würde. In der Theorie gibt es Alternativen zur aktuellen Ausgestaltung der Reform. In den letzten Jahren hat die Politik etwa die Einführung des Zahlstellenprinzips oder einer Meldepflicht anstelle der Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Zinsen geprüft. Doch keine dieser Varianten war mehrheitsfähig. Erstere weil zu kompliziert in der Umsetzung, zweitere weil dies das (Teil-)Ende des steuerlichen Bankgeheimnisses in der Schweiz bedeuten würde.
Die Eidg. Steuerverwaltung (ESTV) schätzt die Mindereinnahmen langfristig auf 215 bis 275 Mio. Franken jährlich. Wichtig ist, dass die Verrechnungssteuer nur auf neu ausgegebenen Obligationen abgeschafft wird. Das bedeutet wiederum, dass die Mindereinnahmen für den Bund am Anfang gering sind und im Laufe der Zeit zunehmen – sofern es nicht zu Verhaltensanpassungen kommt. Allerdings, und deshalb macht man die Reform ja, soll es zu Mehreinnahmen kommen. So wird der Fremdkapitalmarkt belebt. Zudem sollen Konzernfinanzierungsaktivitäten in die Schweiz zurückgeholt werden. Die ESTV schreibt, im günstigsten Fall könnte die Reform bereits im ersten Jahr selbstfinanzierend sein. Zu den Profiteuren der Reform gehört auch die öffentliche Hand selbst.
Nicht nur Unternehmen brauchen fremdes Geld, sondern auch Bund, Kantone und Gemeinden sowie öffentliche Einrichtungen wie Spitäler, Energieunternehmen oder Betriebe des öffentlichen Verkehrs. Wegen der Verrechnungssteuer bezahlen sie für Fremdkapital zu hohe Zinsen: Die Anleger verlangen mehr wegen des bürokratischen Aufwands. Wird der Fremdkapitalmarkt belebt, wollen auch mehr Ausländer in Schweizer Obligationen investieren. Eine höhere Nachfrage drückt in der Regel der Zins. Die ESTV hat berechnet, dass Bund, Kantone und Gemeinden jährlich Zinskosten in der Höhe von 60 bis 200 Millionen Franken einsparen könnten.
Die Gegner der Vorlage bestreiten nicht nur die Mehreinnahmen, sondern auch die Höhe der Mindereinnahmen von 275 Millionen Franken jährlich. Sie sagen, die Mindereinnahmen lägen bei bis zu 800 Millionen Franken, weil die Steuerverwaltung mit zu tiefen Zinsen kalkuliere. Tatsächlich steigen die Zinsen derzeit, das hat einen Einfluss auf die Steuerausfälle. Allerdings gilt im Gegenzug auch, dass die Nachteile der Verrechnungssteuer bei steigenden Zinsen stärker ins Gewicht fallen und noch mehr Obligationen im Ausland emittiert werden – sprich die Reform gewinnt an Bedeutung.
Dazu gibt es keine Schätzungen. Fakt ist: Der Anreiz für Steuerhinterziehung steigt. Dies ist vor allem für inländische Steuerpflichtige relevant. Für ausländische Anleger wird das Risiko der Steuerhinterziehung eingedämmt wegen des Automatischen Informationsaustausches (AIA). Die Schweiz hat mit über 100 Ländern den AIA eingeführt.
Selbst bei den Linken gibt es Stimmen, welche die Nachteile der Verrechnungssteuer beseitigen wollen. Sie bemängeln aber, dass die aktuelle Vorlage zu einseitig ist und keine Massnahme vorsieht, um die Steuerehrlichkeit zu erhöhen. Die Linke favorisiert die Einführung eines Meldesystems – analog zum Automatischen Informationsaustausch – und damit die Abschaffung des Bankgeheimnisses auch im Inland. In der Vernehmlassung fiel diese Idee jedoch durch: Nur zwei Kantone und eine Partei sprachen sich dafür aus.
Die Fronten verlaufen nach dem klassischen Links-rechts-Schema: Bundesrat, Parlament, die Wirtschaftsverbände und die Parteien GLP, Mitte, FDP und SVP sind dafür. Widerstand kommt von SP, Grünen und den Gewerkschaften. (aargauerzeitung.ch)
Das jetzt ausgerechnet diese Steuer, die eigentlich nur den Unehrlichen schadet, abgeschafft werden soll, sagt viel über die Moral der Bürgerlichen. Ich bin aber ehrlich und sage NEIN dazu!
Um 57 was?
Prozent? Milliarden? Oder was?