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Früher in die Pension trotz AHV-Reform? Das musst du jetzt wissen

Früher in die Pension trotz AHV-Reform? Das musst du jetzt zur Altersvorsorge wissen

Die beiden Räte haben sich nach langem Hin und Her auf eine Reform der 1. Säule der Altersvorsorge geeinigt. Zwei Hürden muss die Reform allerdings noch nehmen. Wer profitiert? Und warum gehen die Frauen ab Jahrgang 1970 leer aus? Die wichtigsten Antworten zur Reform.
16.12.2021, 06:46
Anna Wanner / ch media
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Frau arbeitet im Garten
Ruhestand wird verschoben: Frauen werden künftig regulär bis 65 arbeiten müssen.Bild: Christof Schürpf/Keystone

Bereits am Montag einigten sich die Räte auf die wichtigsten Punkte der AHV-Reform. Aber nicht auf alle. Am Mittwoch bereinigten die Parlamentarierinnen und Parlamentarier die letzte Differenz. Zuerst stimmte der Ständerat, dann der Nationalrat der letzten Änderung zu. Jetzt ist das Paket zur Umsetzung bereit.

Wen betrifft die Reform?

Die Reform betrifft alle, weil sie nebst anderen Massnahmen zur Finanzierung der AHV auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0.4 Prozentpunkte vorsieht. Doch abgesehen davon, trifft die Reform die Menschen in der Schweiz abhängig von Geschlecht und Alter sehr unterschiedlich.

Wie soll die Reform genau aussehen?

Kern der Reform ist die Angleichung des Rentenalters 65/65. Frauen, die ab 2025 in den Ruhestand treten, werden länger als bis 64 arbeiten müssen. Die Erhöhung des Rentenalters folgt erst ein Jahr nach Inkrafttreten der Reform und dann gestaffelt: Das Pensionsalter wird jährlich um drei Monate erhöht. Aktuell geht man davon aus, dass die Reform 2024 in Kraft tritt. Das bedeutet: Frauen mit Jahrgang 1961 müssen zunächst drei Monate länger arbeiten. Für Frauen mit Jahrgang 1962 sind es sechs und Frauen mit Jahrgang 1963 arbeiten neun Monate länger. Frauen, die 1964 und später geboren sind, gehen dann alle regulär mit 65 in Pension. So wie Männer schon heute.

Kann man sich nun nicht mehr früher pensionieren lassen?

Doch. Früher geht. Für die Frauen der sogenannten «Übergangsgeneration» ändert sich nicht einmal die Rentenhöhe, wenn sie wie bis anhin mit 64 in Rente gehen wollen. Das Parlament hat für die Übergangsgeneration (Jahrgänge 1961-1969) grosszügige Entschädigungen beschlossen. Bis weit ins bürgerliche Lager halten es Parlamentarierinnen und Parlamentarier für eine Zumutung, dass Frauen, die heute (relativ) kurz vor der Pension stehen, ihre Pläne nun ändern müssen, um drei bis zwölf Monate länger zu arbeiten.

Wie werden diese Frauen der Übergangsgeneration entschädigt?

Das revidierte Gesetz sieht zwei Komponenten vor. Einerseits entstehen den Frauen der Übergangsgeneration, die sich ab 62 frühpensionieren lassen wollen, keine massiven Kürzungen. Bei einem Rentenrücktritt ab 64 ist die bisherige Rente gar garantiert. Länger arbeiten soll sich trotzdem lohnen: Frauen, die bis zum neuen regulären Rentenalter arbeiten, erhalten einen Zuschlag von bis zu 160 Franken pro Monat - bis ans Lebensende. Der Zuschlag ist abhängig vom Lohn und vom Jahrgang.

Womit können Frauen der Übergangsgeneration konkret rechnen?

Je tiefer das durchschnittliche Jahreseinkommen, desto höher fällt der Zuschlag aus. Für die tiefste Lohnklasse (Einkommen bis 57’360 Franken) sind es 160 Franken, für die zweite Stufe (Einkommen bis 71'700 Franken) sind es 100 Franken und für alle anderen Frauen, die mehr verdienen, sind es 50 Franken - jeden Monat. Allerdings erhalten nur Frauen mit Jahrgang 1964 und 1965 den vollen Zuschlag (100 Prozent). Sie sind die ersten, für die das reguläre Rentenalter 65 gilt. Für die vorangehenden Jahrgänge 1961 bis 1963 steigt der Zuschlag sukzessive in drei Schritten: von 25 Prozent (1961), auf 50 (1962), auf 75 Prozent des Zuschlags (1963). Umgekehrt nimmt die Höhe des Rentenzuschlags für die vier Jahrgänge 1966 bis 1969 wieder ab: von 81 Prozent (1966), auf 63 (1967), auf 44 (1968) und schliesslich auf 25 Prozent des Zuschlags (1969).

Was bedeutet das für die anderen Frauen?

Frauen mit Jahrgang 1970 haben Pech. Sie stehen gemäss Mehrheitsmeinung des Parlaments relativ nah an der Pension, gehen aber leer aus. Alle folgenden Jahrgänge werden – wie übrigens alle Männer auch – regulär bis 65 arbeiten. Allerdings werden die Anreize angepasst. Die Reform sieht nebst höherem Frauenrentenalter auch eine Flexibilisierung vor.

Wieso dauerte die Debatte um die Reform so lange?

2017 scheiterte die umfassende Altersreform 2020. Die Parteien, welche die Vorlage ablehnten, versprachen im Nachgang: Eine Alternative werde schnell präsentiert. Der Reformbedarf ist nämlich unbestritten (siehe nächste Antwort). Doch zeigte sich, dass alleine die Erhöhung des Frauenrentenalters auf massive Gegenwehr stösst. Bundesrat und Parlament waren sich mehrheitlich einig, dass die Frauen dafür grosszügig entschädigt werden müssen. Nur zeigte sich schnell: Die Frage, wie diese Entschädigungen ausfallen sollen, ist gar nicht so einfach zu beantworten. Das Bundesamt für Sozialversicherungen rechnete zig Modelle, bis sich die Räte auf das heutige einigten. Stets im Fokus war dabei, dass von den zusätzlichen Mitteln, die durch das höhere Frauenrentenalter der AHV zukommen, rund 32 Prozent an die betroffenen Frauen wieder ausbezahlt werden. Konkret heisst das: Frauenrentenalter 65 spült jährlich rund 1.4 Milliarden Franken in die AHV-Kasse, rund 450 Millionen erhalten die Frauen über Rentenzuschläge oder vorteilhafte Renten bei einer Frühpensionierung.

Warum eilt die Reform?

Der Grund, wieso die Reform drängt, ist die zunehmende finanzielle Schieflage des wichtigsten Sozialwerks der Schweiz. Die AHV gibt seit Jahren mehr Geld an Renten aus, als sie über Lohnbeiträge, Mehrwertsteuer und Bundesgelder einnimmt. Das sogenannte Umlageergebnis war bis 2020 negativ. Und die Situation verschlechtert sich, weil in den nächsten 15 Jahren die Babyboomer, die geburtenstarken Jahrgänge, in Pension gehen. Immer mehr Menschen beziehen Renten, die von immer weniger Erwerbstätigen bezahlt werden müssen.

Die AHV schrieb 2020 schwarze Zahlen. Wird von der Politik nicht übertrieben?

Nein. Die kurzfristig guten Zahlen verdankt die AHV einer Finanzspritze, die sie seit 2020 erhält. Über die Steuerreform und AHV-Finanzierung (STAF), die 2019 an der Urne angenommen wurde, fliessen jährlich rund zwei Milliarden Franken zusätzlich in die AHV. Finanziert werden diese über Lohnbeiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber sowie rund 800 Millionen Franken vom Bund. Nachhaltig ist das nicht. Bereits ab 2023 ist das Umlageergebnis wieder negativ. Bis 2030 fehlen der AHV 4.5 Milliarden – jährlich.

Wie lässt sich die Schieflage abwenden?

Einen ersten Schritt wird mit der aktuellen Reform getan. Wobei trotz Verbesserungen bis 2030 immer noch über 2 Milliarden Franken pro Jahr in der AHV-Kasse fehlen. Bald wird also über eine neue Reform diskutiert. Für eine solche gibt es verschiedene Wege. Angesichts der politischen Einigkeit darüber, dass AHV-Renten nicht gekürzt werden sollen, bleiben entweder eine zusätzliche Finanzierung - wobei weder Gewinne aus den Negativzinsen der Nationalbank noch eine höhere Erbschaftssteuer zur Finanzierung der AHV bisher mehrheitsfähig waren. Oder die Alternative: Das Rentenalter wird erhöht. Schub erhält diese Forderung durch die Initiative der Jungfreisinnigen, die das Rentenalter auf 66 Jahre erhöhen wollen. Doch erst gilt es, die aktuelle AHV-Reform in trockene Tücher zu bringen. Denn SP und Grüne haben das Referendum längst angekündigt. Sie werden also in den nächsten Monaten Unterschriften sammeln. Die Abstimmung wird wohl 2022 stattfinden. Deshalb geht man davon aus, dass die Reform frühestens 2024 in Kraft tritt. (aargauerzeitung.ch)

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