Das Virus ist kein Spass, auch nicht für die Spassgesellschaft am Wochenende: Mit diesen Worten machte die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli am Wochenende klar, dass über den Vorfall im Flamingo Club verärgert ist. Von den knapp 300 Clubgästen hätten etwa ein Drittel falsche Angaben gemacht. Das erschwerte das Contact-Tracing, nachdem ein Corona-Infizierter fünf weitere Personen im Club ansteckte.
Die Gefahr, dass die Rückverfolgung von infizierten Personen wegen falschen Angaben erschwert werden könnte, war dem Bund und den Kantonen bekannt. Dies zeigt das Dokument, das bei der Anhörung der Kantone für die bundesrätliche Ausrufung der «besonderen Lage» angefertigt wurde. Diese gilt zwar erst seit dem 22. Juni – der «Superspreading»-Event passierte jedoch am Vorabend.
watson verlangte die Rückmeldungen der Kantone erneut gestützt auf das Öffentlichkeitsprinzip. Rückschlüsse darauf, welcher Kanton sich wie geäussert hatte, waren diesmal nicht möglich.
Das fünfseitige Dokument, das am 16. Juni von der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) erstellt wurde, zeigt die Meinungsunterschiede zwischen den Kantonen und dem Bundesrat auf. Die Positionen der Kantone wurden zu einem Zeitpunkt formuliert, als die Zahlen besonders tief waren.
Die Stellungnahmen bei zwei Punkten stehen aber nach dem jüngsten Anstieg der Corona-Fälle in einem anderen Licht – und werfen die Frage auf, ob Bund und Kantone richtig reagiert haben.
Der Vorfall im Flamingo Club passierte am Abend des 21. Junis, als noch die alte Corona-Verordnung galt. Clubbetreiberinnen mussten damals lediglich Vorname, Nachname und Telefonnummer der Gäste erfassen.
Dass dies nicht ausreicht, war den Kantonen bei der Anhörung für die «besondere Lage» klar. Sie forderten nicht nur weitere Gästeangaben, sondern warnten auch, dass es regelmässig zu falschen Angaben kommen dürfte. Der Bund solle dazu im «erläuternden Bericht» eine Aussage machen, ob Türsteherinnen und Türsteher etwa die Identitätskarte der Gäste kontrollieren dürfen.
Diese Forderung wurde nicht oder höchstens schwammig erfüllt. Das Bundesamt für Gesundheit verlangt in den «Erläuterungen» von Clubbetreibern lediglich, dass die «Vertraulichkeit der Kontaktdaten bei der Erhebung» und «Aufbewahrung der Daten» gewährleistet werde. So dürfe beispielsweise ein Restaurant die Kontaktliste nicht am Eingang für alle Gäste einsehbar lassen. Daraus lässt sich aber eine Pflicht für Clubbetreiberinnen, die Richtigkeit der Gästedaten zu gewährleisten, nicht herauslesen.
Für Medienschaffende relevant:
— Hernâni Marques 🦖 @hernani@chaos.social (@vecirex) June 27, 2020
Ich habe eine Tabelle mit einer Risikobeurteilung einzelner Lockerungsmassnahmen per Öffentlichkeitsgesuch erhalten.
Beachtlich: bei Restaurants & Bars wird festgehalten, dass Schutzmassnahmem kaum ergreifbar seien.
PDF: https://t.co/dSyKyO20An pic.twitter.com/MJMheJK8jo
Diese Untätigkeit überrascht: Expertinnen und Experten des Bundes stellten im April bereits fest, dass die Risiko-Prognose bei Lockerungen für Discos und Bars «tief rot» war. Ein entsprechendes Dokument veröffentlichte der Netzaktivist Hernâni Marques am Wochenende auf Twitter.
Obwohl das Risiko bekannt war, berücksichtigte der Bundesrat warnende Stimmen aus den Kantonen nicht. So ist es verständlich, dass die zuständige Regierungsrätin Natalie Rickli über falsche Kontaktdaten «total verärgert» ist. Und es überrascht auch niemanden, dass die Zürcher Staatsanwaltschaft in «dem von Ihnen geschilderten Kontext keine Untersuchung eröffnet» (in der watson-Anfrage ging es um den Vorfall im Flamingo Club).
Die Kontaktdaten-Erhebung ist gemäss Corona-Verordnung Teil eines Schutzkonzepts, das Clubs, Pubs und Restaurants festlegen müssen. Bei der Anhörung der Kantone stellte sich die Frage, ob diese Schutzkonzepte und deren Umsetzung von den kantonalen Behörden geprüft werden müssen.
Der Bundesrat schlug eine «aktivere Kontrolle» durch die Kantone vor, die jedoch abgelehnt wurde. «Eine solche [aktive Kontrolle] ist bei tausenden von Schutzkonzepten nicht umsetzbar», schreibt die Gesundheitsdirektorenkonferenz. Sie schlug stattdessen vor, dass Schutzkonzepte lediglich «auf Verlangen» den Behörden vorgelegt werden müssen.
Auf Verlangen bedeutet nicht nur weniger Bürokratie – sondern auch, dass die Behörden nicht einmal wissen, wer die Ansprechperson eines Clubs ist. Es stellt sich deshalb rückblickend die Frage, warum Kantone und Bundesrat nicht wenigstens verlangten, dass alle Schutzkonzepte bei den Behörden zumindest eingereicht werden müssen.
Denn so irritiert es niemanden, dass Contact-Tracer Mühe hatten, den Clubbetreiber ausfindig zu machen und ihn zu kontaktieren.