Eines darf man dem Bundesrat attestieren: Er ist lernfähig. Letzte Woche bezeichnete er die Corona-Lage als «kritisch», jetzt beurteilt er sie «sehr kritisch». Und er will sich «von der Omikron-Variante nicht überraschen lassen», wie Gesundheitsminister Alain Berset vor den Medien erklärte. Spätestens bei dieser Aussage aber endet jeglicher Sinn für Ironie.
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Der Bundesrat warnt vor Omikron, obwohl völlig unklar ist, welchen Einfluss die neu entdeckte Variante auf das Pandemie-Geschehen haben wird. Und nachdem er wochenlang zugeschaut hat, wie das Delta-Virus die Fallzahlen nach oben trieb. Sie sind auf dem Höchststand der zweiten Welle vor einem Jahr, und ein Ende ist nicht in Sicht.
Gleichzeitig hat der Bund die Booster-Kampagne vertrödelt. Während in den Nachbarländern kräftig geimpft wird, müssen in der Schweiz selbst Betagte und Risikopersonen bis zum nächsten Jahr auf die dritte Dosis warten. Den Preis für dieses Larifari bezahlen die Spitäler. Sie geraten schon jetzt ans Limit, nicht mangels Betten, sondern wegen fehlendem Personal.
Es wird wohl bald Triagen geben. Ärzte müssen entscheiden, wer ein Intensivbett bekommt und wer nicht. Der ungeimpfte Covid-Patient hat womöglich bessere Chancen als ein geimpftes Unfallopfer. Das ist nur möglich, weil die Politik viel zu lange passiv geblieben ist und es bei den ausgelutschten Appellen ans Händewaschen und Maskentragen beliess.
Viel mehr ist auch an der Sitzung vom Freitag nicht herausgekommen. Es gilt neu eine Maskenpflicht in Innenräumen, aber man kann sich via 2G-Regel (Zutritt nur für Geimpfte und Genesene) davon befreien. Der Bundesrat hat damit die Klagen der Bar- und Clubszene erhört, auch in Fitnesscentern oder am Arbeitsplatz könnte sie zur Anwendung kommen.
Für das Zertifikat im privaten Rahmen und Homeoffice hingegen gilt nach Widerstand der Kantone nur eine «dringliche Empfehlung». Aus dem gleichen Grund hat der Bundesrat auf die Testpflicht an den Schulen verzichtet, obwohl gerade dort die Lage explosiv ist. Doch nicht weniger als 17 von 26 Kantonen lehnten eine solche Verpflichtung ab.
Es ist das ewig gleiche, nervige Lied: Sobald eine Massnahme mit finanziellem und/oder personellem Aufwand verbunden ist, schrecken die Kantone zurück. Immerhin zeigte Berset vor den Medien seinen Frust über diese Rappenspalter-Mentalität sehr deutlich. Wäre es nach ihm gegangen, würde die Testpflicht an den Schulen eingeführt.
In der «besonderen Lage» aber muss der Bundesrat auf die Kantone Rücksicht nehmen. Also versucht er weiter, sich durchzuwursteln und ein wenig am längst überhitzten Motor zu schräubeln. Dabei ist eigentlich klar, dass wie in Deutschland die 2G-Regel eingeführt werden müsste, und zwar sofort und überall, auch in Läden oder Skigebieten.
Aus epidemiologischer Sicht ist 2G nicht ideal. Experten warnen, daraus könne ein falsches Gefühl der Sicherheit entstehen, denn auch Geimpfte oder Genesene können ansteckend sein. Aber darum geht es nicht: 2G entspricht einem Lockdown für Ungeimpfte. Und immer mehr Geimpfte sind nicht länger bereit, auf diese Uneinsichtigen Rücksicht zu nehmen.
Um die Ansteckungen effektiv zu reduzieren, bräuchte es mehr Tests. Doch die Kapazitäten sind vielerorts am Limit (einmal mehr, die Kantone!). Vielleicht erzwingt das Parlament in der laufenden Wintersession eine Rückkehr der Gratis-Tests. Zumindest die Selbsttests für den Hausgebrauch sollte der Bundesrat schon jetzt kostenfrei verfügbar machen.
Einfach weiterhin abwarten aber ist schlicht keine Option. Deutschland hat die Schweiz zum Hochrisikogebiet erklärt. «Das ist keine gute Nachricht», meinte Alain Berset. Für den Tourismus ist es eine Hiobsbotschaft. Auch wenn Geimpfte und Genesene davon nicht betroffen sind, werden viele Deutsche ihre Winterferien in der Schweiz annullieren.
«Wir können das schaffen, aber alle müssen mitmachen», sagte Alain Berset fast flehentlich. Kurzfristig wird das nichts mehr bewirken. Österreich hat dank seinem Lockdown eine reelle Chance auf ein halbwegs ruhiges Weihnachtsfest. Wir dagegen sollten uns an den Festtagen auf überlastete Spitäler und zumindest teilweise Schliessungen gefasst machen.
*Korrektur: In einer ersten Version des Artikels stand, dass mit 2G nur Geimpften und Getesteten der Zutritt gewährt wird. Das ist nicht korrekt. Bei der 2G-Regel wird nur Geimpften und Genesenen der Zutritt gewährt.
Meine Prognose: Der Bundesrat lässt laufen bis er, lieber kurz nach Weihnachten) wieder die ‚Ausserordentliche Lage‘ ausrufen muss und selbst entscheiden kann. Am 27. oder 28.12 gehen wir dann wieder in den Shutdown (mit Ausnahme der Skigebiete 😎). Tadaa das Weihnachtsgeschäft ist gerettet. 🥳