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Schweiz: Gerhard Pfister prägt Debatten – aber macht es sich zu einfach

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Gerhard Pfister prägt die Debatte um Waffen und Sanktionen – aber macht es sich zu einfach

Der Präsident der Mitte-Partei findet klare Worte zum Ukraine-Krieg und den Konsequenzen für die Schweiz. Gerhard Pfister kritisiert den Bundesrat scharf – aber im Parlament schafft er es nicht, mit seiner Partei eigene Antworten auf die Herausforderungen zu finden.
09.06.2022, 06:1109.06.2022, 06:56
Christoph Bernet / ch media
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Er ist derzeit auf allen Kanälen: Gerhard Pfister, 59, Nationalrat aus dem Kanton Zug. Gefühlt im Wochentakt erscheinen grössere Interviews mit dem Chef der Mitte-Partei. Es sind Interviews, die nachwirken: Pfister gelingt es, mit klaren Worten die Herausforderungen zu beschreiben, welche der Ukraine-Krieg und seine Folgen für die Schweiz bedeuten.

Mitte Parteipraesident Gerhard Pfister, Mitte-ZG, schreitet in den Saal, an der Sondersession des Nationalrats, am Montag, 9. Mai 2022 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Mag grosse Fragen lieber als gesetzgeberische Details: Mitte-Präsident Gerhard Pfister.Bild: keystone

Er wirft dabei Fragen auf, deren Beantwortung für unser Land dringend notwendig sind, angesichts der historischen Zäsur, welche dieser Krieg bedeutet. «Ab wann ist Neutralität unanständig?», so lautete einer dieser prägnanten Pfister-Sätze. «Der Westen kann nicht einfach eine neutrale Businessplattform sein für alle», lautete ein anderer.

>> aktuelle Entwicklungen in der Ukraine im Liveticker

Es sind beim ersten Hinhören erstaunliche Töne für einen Vertreter aus dem Finanz- und Rohstoffhandelsplatz Zug, der 2016 bei seinem Amtsantritt als Parteipräsident (damals noch der CVP) am rechten, wirtschaftsliberalen Flügel seiner Fraktion politisierte. Doch bei näherer Betrachtung ist Pfisters Verhalten weniger überraschend. Er, der Philosophie und Literatur studiert hat, sprach schon immer gerne über die grossen Fragen, die zentralen Werte einer Gesellschaft.

Der Krieg in der Ukraine ermöglicht – oder erzwingt – nun eine solche Wertedebatte. Was ist der Platz der Schweiz in der Welt? Was sind wir bereit in Kauf zu nehmen für unseren Wohlstand? Damit trifft Pfister einen Nerv. Anders als bei seinem Amtsantritt als CVP-Präsident. Damals versuchte er erfolglos, eine christlich angehauchte Wertedebatte lancieren, die im Kern auf Kritik am Islam abzielte.

Mit dem kritischen Hinterfragen der wirtschaftlichen Abhängigkeiten der stark globalisierten Schweiz von autoritären Staaten wie China hingegen schafft Pfister Distanz zwischen seiner Partei und der FDP. Beim Freisinn ist die Zurückhaltung diesbezüglich stärker, die Nähe zur exportorientierten Wirtschaft, zum Offshore-Finanzplatz und seinen Treuhändern und Anwälten grösser. Und auch zur SVP und ihrer führenden Wirtschaftspolitikerin, der China-Bewunderin Magdalena Martullo-Blocher, schafft Pfister ein Distinktionsmerkmal.

Pfister übt auch scharfe Kritik am Bundesrat. Es sind ganz andere Töne als während der Coronakrise, als er sich zurückhielt und von der Krise als «Stunde der Exekutive» sprach. Jetzt meint er, der Bundesrat «funktioniert schlecht». Als dieser die Weitergabe von Waffen und Munition aus Schweizer Produktion in die Ukraine verhinderte, warf Pfister der Landesregierung «unterlassene Hilfe» vor.

Auch die bundesrätliche Sanktionspolitik kritisiert er. Am Donnerstag debattiert der Nationalrat über eine Verschärfung des Embargogesetzes. Es soll nach dem Willen der Aussenpolitischen Kommission neu eine eigenständige Sanktionspolitik der Schweiz ermöglichen. Auch das ist eine Forderung Pfisters, der als Berichterstatter der vorberatenden Kommission auftreten wird.

Im Parlament könnte die Mitte-Partei viel bewirken – aber sie tut es nicht

Mit seiner Kritik am zögerlichen Bundesrat macht es sich Pfister zu einfach. Der Bundesrat will sich bei Waffenlieferungen und Sanktionen nicht einfach mithilfe von Notrecht, wie es Pfister fordert, über geltendes Recht hinwegsetzen. Das ist nach der parteiübergreifenden Kritik an der Machtfülle des Bundesrats in der Pandemie nachvollziehbar.

Hört man Pfister zu, könnte man den Eindruck bekommen, er sei Chef einer vernachlässigbaren Partei. Dabei ist seine Mitte in beiden Parlamentskammern die Mehrheitsmacherin. Und wäre also durchaus in der Lage, für mutige und weitreichende Entscheide zu sorgen. Denn auch das Parlament kann schnell handeln – wenn es denn will.

Doch Pfister, dem Mann der grossen Worte und Gedanken, und seiner Mitte-Partei fehlt es aktuell oft am Willen oder an der Fähigkeit, in der zähen Detailarbeit der Gesetzgebung für mehrheitsfähige Vorlagen zu sorgen. Das zeigt sich nicht zuletzt an der Revision der beruflichen Vorsorge, die nächste Woche in den Ständerat kommt. Die Selbstvermarktung der Partei als konstruktive Kraft in der Mitte harrt dem Tatsachenbeweis unter der Bundeshauskuppel.

Nach der Zäsur des Ukraine-Kriegs stellt sich die Frage: Was ist der Platz der Schweiz in der Welt? Pfisters prägnante Worte machen klar, dass dieser in der westlichen Wertegemeinschaft liegt, die in der Ukraine gegen Putins Autoritarismus verteidigt wird. Doch die Frage nach dem Platz der Schweiz auf der Welt kann man nicht beantworten, ohne die Frage nach ihrem Platz in Europa zu klären. Und was das Verhältnis der Schweiz zur EU angeht, so sucht man vergebens nach klärenden Worten Pfisters. Hier bleibt der Mann der grossen Worte erstaunlich still. (aargauerzeitung.ch)

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