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Ukraine-Krieg: Angela Merkel «erklärt» ihre Russland-Politik

epa10000942 Former German Chancellor Angela Merkel (L) during 'So what is my country?' conversation with Alexander Osang (R) at the Berliner Ensemble in Berlin, Germany, 07 June 2022. EPA/FI ...
Angela Merkel mit Interviewer Alexander Osang am Dienstagabend in Berlin.Bild: keystone

Fehler gemacht? Ich doch nicht! Angela Merkel «erklärt» ihre Russland-Politik

Die deutsche Ex-Kanzlerin Angela Merkel hat sich erstmals seit Beginn des Ukraine-Kriegs zu ihrer Russland-Politik befragen lassen. Wer Selbstkritik erwartet hatte, wurde enttäuscht.
08.06.2022, 13:5209.06.2022, 11:50
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Seit einem halben Jahr ist Angela Merkel deutsche Bundeskanzlerin a. D. Zuvor hatte sie das Land 16 Jahre regiert, in denen sie viel erlebte. Nach der Übergabe ihres Amtes an Olaf Scholz hatte sie lange geschwiegen, auch nach dem 24. Februar und dem russischen Überfall auf die Ukraine, der laut ihrem Nachfolger eine «Zeitenwende» darstellt.

Merkel liess über eine Sprecherin einzig ausrichten, sie halte den Entscheid von 2008, die Ukraine nicht in die Nato aufzunehmen, nach wie vor für richtig. Am letzten Mittwoch meldete sie sich selbst zu Wort. In ihrer ersten öffentlichen Rede seit dem Rücktritt geisselte sie den «barbarischen Angriffskrieg Russlands». Fragen waren nicht zugelassen.

Dies wurde am Dienstagabend im Berliner Ensemble nachgeholt. Im barocken Saal des von Bertolt Brecht gegründeten Theaters stellte Angela Merkel sich während 90 Minuten den Fragen von «Spiegel»-Autor Alexander Osang. Eine harte Gangart musste sie nicht fürchten: Der aus Ostdeutschland stammende Journalist ist ein Bewunderer der Ex-Kanzlerin.

«Nicht ohne Widersprüche»

Osang stellte die richtigen Fragen, doch er liess es auch zu, dass Merkel sich immer wieder herausreden konnte. Das betraf insbesondere die Fragen zu ihrer Politik nicht zuletzt gegenüber Russland. Merkel sehe «keinen Anlass, Fehler einzuräumen, geschweige denn, sich für Entscheidungen im Amt zu entschuldigen», heisst es in der Analyse des «Spiegel».

Dabei waren ihre Ausführungen «nicht ohne Widersprüche, im Gegenteil», bilanzierte Politikchefin Melanie Amann. So erwähnte Merkel ein Treffen mit Wladimir Putin 2007 in Sotschi, bei dem er den Zerfall der Sowjetunion als «schlimmste Sache des 20. Jahrhunderts» bezeichnet hatte. Schon damals zeigte sich somit Putins revanchistisches Denken.

«Er versteht nur Härte»

Sie habe die EU immer wieder gewarnt, dass der Kremlchef «Europa zerstören» wolle, behauptete Merkel: «Die einzige Sprache, die er versteht, ist Härte.» Ihren vorsichtigen, diplomatischen Kurs bezeichnete sie trotzdem als alternativlos. Bis kurz vor ihrem Abgang habe sie die EU-Kollegen zu Gesprächen mit Moskau gedrängt, bestätigte sie.

Russian President Vladimir Putin, left, and German Chancellor Angela Merkel shake hands prior to their talks at Putin's residence in the Russian Black Sea resort of Sochi, Russia, Tuesday, May 2, ...
Er unterhielt sich mit ihr auf Deutsch, sie mit ihm auf Russisch: Wladimir Putin und Angela Merkel haben sich oft getroffen.Bild: AP/POOL European Pressphoto Agency

Die Sanktionen gegen Russland nach der Krim-Annexion 2014 hätten für ihren Geschmack gerne noch härter sein können, meinte die 67-Jährige. Dennoch setzte sie auch nach dieser Aggression auf den diplomatischen Weg mit den Minsker Abkommen. Auch bei anderen umstrittenen Punkten blieb Angela Merkel weitgehend frei von Selbstkritik.

Beispiel Gas: In Merkels Amtszeit verstärkte sich Deutschlands Abhängigkeit von russischem Öl und Gas, auch durch den Atom- und Kohleausstieg. Zur umstrittenen und von ihr vorangetriebenen Pipeline Nord Stream 2 aber vermied sie eine klare Aussage. Empört zeigte sie sich einzig über die US-Sanktionen gegen die deutsche Betreiberfirma.

Beispiel Bundeswehr: In Merkels Amtszeit wurden die deutschen Streitkräfte regelrecht heruntergewirtschaftet. «Die Bundeswehr hat Nachholbedarf», war die einzige halbwegs selbstkritische Aussage der ehemaligen Regierungschefin zu diesem Thema. Zur Abschaffung der Wehrpflicht während ihrer Amtszeit stehe sie nach wie vor.

Nur noch «Wohlfühltermine»

Den Ukraine-Krieg verurteilte sie erneut in aller Schärfe, aber ihr Bedauern beschränkte sich letztlich darauf, dass es der Welt nicht gelungen sei, «den Kalten Krieg zu beenden» und eine Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die diesen Krieg verhindert hätte. Vertiefen wollte sie dieses Versäumnis nicht. Dafür seien die Historiker zuständig, meinte Merkel.

Das Gespräch in voller Länge.Video: YouTube/phoenix

Viel mehr ist von ihr selbst vorerst kaum zu erwarten. Indirekt bestätigte Angela Merkel an diesem Abend in Berlin vor einem ihr wohlgesinnten Publikum, dass sie als Kanzlerin a. D. nur noch «Wohlfühltermine» wahrnehmen wolle. Das erstaunt wenig, denn laut dem «Spiegel» verfolgt Merkel auch im Ruhestand genau, was über sie geschrieben wird.

Weitere kritische Themen wurden auch aus Zeitgründen gar nicht angesprochen, etwa die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China. Immerhin erklärte Angela Merkel, sie habe «volles Vertrauen» in die neue Ampel-Regierung von Kanzler Olaf Scholz. Das ist nur folgerichtig: Er muss nun auslöffeln, was ihm die Vorgängerin eingebrockt hat.

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119 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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olmabrotwurschtmitbürli #wurstkäseszenario
08.06.2022 14:14registriert Juni 2017
Ich finde die Diskussion seltsam.

Sie ist nicht Schuld an dieser Katastrophe. Putin und sein Regime sind dafür verantwortlich.

Nachher hätte sie bestimmt manche Dinge anders gemacht. Aber ich nehme ihr ab, dass sie die Entscheidungen getroffen hat, die zum damaligen Zeitpunkt plausibel waren.
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Grischa Buab
08.06.2022 14:11registriert April 2015
Nach dem Krieg ist jeder Soldat ein General.
Im Nachhinein weiss man immer alles besser...
Pochten den irgendwelche Medien auf einen härteren Kurs gegen Russland?
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Yoldi
08.06.2022 14:20registriert Juni 2021
Angela Merkel hat Putin eigentlich richtig eingeschätzt, er ist ein kranker ****** der freie Menschen hasst. Grundsätzlich war es auch richtig Russland einzubeziehen und bis zu einem gewissen Grad Rücksicht zu nehmen.

Aber wenn ein Land stetig in die Diktatur abdriftet, die Nachbar belästigt und den Rechtsstaat abschafft, dann muss man nicht den Handel intensivieren, sondern Gegensteuer geben. Das heisst keine Abhängigkeiten und wenn das Land eine Bedrohung für die eigene Einflusssphäre bedeutet, aufrüsten! Hier hat Merkel und viele andere Länder in Europa zu wenig gemacht.
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