Es ist der 15. März 2022, als die Elektrizitätswerke des Kantons Zürichs (EKZ) den Plan für den «Windpark Thundorf» vorstellen. 18'000 Thurgauer Haushalte. So viele sollen ab 2026 durch acht Windräder mit Strom versorgt werden. Die EKZ wollen sie im Wald und auf Feldern des Wellenbergs in der Gemeinde Thundorf erbauen. Nur wenige Kilometer von der Kantonshauptstadt Frauenfeld entfernt.
14 Prozent seines gesamten Stromverbrauchs könnte der Kanton so nachhaltig und eigenständig für seine Bevölkerung produzieren. Ein Ziel, das der Thurgau schon ins Auge fasst, lange bevor das Parlament und der Bundesrat ein neues Stromgesetz ausarbeiten, über das das Schweizer Stimmvolk diesen Juni abstimmt. Lange bevor der Ukrainekrieg ausbricht, der aufzeigt, wie abhängig die Schweiz von Stromimporten aus dem Ausland ist. Ganz besonders im Winter.
Seit 2014 hat der Kanton alles darangesetzt, ein Projekt wie den «Windpark Thundorf» zu realisieren. Er hat eine Studie zum Windpotenzial auf seinem Gebiet erarbeiten lassen, einen kantonalen und behördenverbindlichen «Richtplan Windenergie» verabschiedet, die Zustimmung des Bundesrats eingeholt und den Thundorfer Gemeinderat samt Präsident Daniel Kirchmeier vom Vorhaben überzeugt.
Damit der Windpark Thundorf 2026 ans Netz gehen kann, fehlt am Ende nur noch die Zustimmung der Bevölkerung. Genauer: der 1600 Einwohnerinnen und Einwohner Thundorfs.
Der Kanton will es von Anfang an richtig machen. Will die Bevölkerung miteinbeziehen, weshalb er die Begleitgruppe «Windenergie für den Thurgau» ins Leben ruft. Die EKZ bemühen sich ebenfalls, kommunizieren transparent, suchen den Dialog, beantworten Fragen, liefern Fakten und Zahlen. Aber all diesen Bemühungen sollten nicht fruchten.
Thundorf war noch einer von vielen Standorten im Thurgau, die für einen Windpark infrage kamen, als ein Thundorfer den Verein «Lebensqualität Wellenberg» (LQWB) ins Leben rief. Dessen Ziel, gemäss Website: «dass dieses Gebiet weiterhin seinem Ruf als Oase der Erholung gerecht wird.»
Kaum ist die Info draussen, dass Thundorf nun das «auserwählte Dorf» für den Windpark sein wird, beginnt der LQWB zu mobilisieren. Und das äusserst erfolgreich.
Im Juni 2022, noch bevor der Gemeinderat, der Kanton oder die EKZ selbst einen offiziellen Infoanlass für die Thundorferinnen und Thundorfer einberufen können, lädt der LQWB zu einem solchen. Der Redner: Elias Meier-Vogt, Umweltaktivist aus Solothurn, Präsident von «Freie Landschaft Schweiz» (FLCH) und dezidierter Gegner von Windparks.
Seine Hauptargumente: Windparks verschandelten unsere Landschaft und produzierten zu wenig und zu unregelmässig Strom. 100 Personen lauschen gemäss der «Thurgauer Zeitung» Meier-Vogts Rede, in der er das Schreckensszenario von einer Schweiz zeichnet, die künftig von Thundorf bis Genf mit Windturbinen zugebaut wird.
Bald landen in Briefkästen Flyer, die vor den negativen Konsequenzen des Windparks warnen und kursieren im Netz Bilder von einem Thundorf, das übersät ist mit Windkraftanlagen.
Als im Oktober 2022 die Gemeinde selbst zu zwei offiziellen Infoabenden lädt, sind die Meinungen bereits gemacht. Die Ängste unter den Thundorferinnen und die Wut unter den Anwohner umliegender Gemeinden geschürt.
Ganz besonders letztere machen ihrem Ärger laut Luft. Jemand «fühlt sich verarscht», ein anderer spricht von den «grössten Windturbinen Europas», die man in Thundorf hinstellen will. Von der «Verschandelung des östlichen Wellenbergs» ist die Rede. Und an einer Stelle fällt sogar das Wort «bevölkerungsverachtend», wie die «Thurgauer Zeitung» vor Ort berichtet.
Dieser Ausruf stammt wahrscheinlich von einem Bewohner einer Nachbargemeinde. Denn: Die Windturbinen sollen jeweils an den Grenzen zu anderen Gemeinden erbaut werden. Über den Rahmennutzungsplan, der den Bau der Turbinen überhaupt ermöglichen würde, dürfen aber nur die Thundorferinnen und Thundorfer abstimmen.
Eine Person aus dem Nachbarort Wolfikon findet das am Infoabend «unter aller Sau», eine andere «birreweich!», eine dritte muss sogar den Saal verlassen, so hässig ist sie.
Der Kampf zwischen Windpark-Befürwortern und -Gegnern ist ab sofort eröffnet. Da hilft auch keine dritte Infoveranstaltung mehr, in der ein Experte der Vogelwarte Sempach unterstreicht, dass die Windturbinen über intelligente Abschaltungssysteme verfügen würden, sodass das Risiko für Vögel minimiert würde. Auch allerlei Politiker, die für einen Kanton Thurgau, der seinen Strom selbst und nachhaltig produziert, plädieren, schaffen es nicht, die Gemüter zu beruhigen. Und die Argumente der EKZ landen sowieso nicht auf fruchtbarem Boden, weil sich alle fragen, warum denn die Thurgauer Elektrizitätswerke nicht mit von der Partie sind.
Dass der Windpark ihr Naherholungsgebiet zerstören, die Wildtiere gefährden, den Wert ihrer Häuser mindern, Lärm verursachen, die Nachtruhe stören, Schatten in ihre Gärten werfen würde – an diesen Ängsten halten die Thundorfer und ihre Nachbarinnen fest. Ein Zitat des Gemeindepräsidenten von Amlikon-Bissegg, einem Nachbarort Thundorfs, im «Blick» fasst den Tenor der Gegnerinnen und Gegner, die sich fortan auch national in den Medien zu Wort melden, gut zusammen:
Im Dezember 2022 kann der Verein LQWB der Gemeinde Thundorf schliesslich 494 Unterschriften für seine Petition vorlegen, die einen Mindestabstand von 850 Metern einer Windturbine zum Siedlungsgebiet fordert. Das sind 45 Prozent aller Stimmberechtigen der Gemeinde.
Die Petition muss damit zur Abstimmung kommen. Würde der Mindestabstand von 850 Metern eingehalten, könnten allerdings nicht mehr acht, sondern nur noch zwei bis drei Windräder gebaut werden, halten die EKZ im Vorfeld fest. Ein Windpark würde so nicht mehr rentieren. Darum formulieren sie einen Gegenvorschlag: Statt acht Windräder gibt es nur noch sechs. Der Abstand eines Windrads zum Siedlungsgebiet wäre damit nicht mehr 460 Meter, sondern mindestens 600 Meter.
Wie die Abstimmung ausgehen wird, prophezeit im März 2023 bereits die Gemeinderatswahl: Die Thundorfer Stimmbürger strafen zwei Gemeinderäte, die sich für den Windpark ausgesprochen haben, ab. Und wählen stattdessen drei Windpark-Gegner in den Gemeinderat. Gemeindepräsident Daniel Kirchmeier kann sein Amt behalten. Muss sich im Dorf allerdings Anfeindungen gefallen lassen.
Im April kommt es dann, wie es kommen muss. An der ausserordentlichen Gemeindeversammlung schmettern die Thundorferinnen und Thundorfer den Gegenvorschlag ab. Und sagen mit 248 zu 171 Stimmen klar «Ja» zu einem Mindestabstand von 850 Metern.
Nach der Abstimmung in Thundorf ist erst einmal Ruhe. Der Thundorfer Windpark ist gestorben, glauben viele. Doch diesen Dienstag stellten die EKZ den Medien einen neuen Plan vor: Einen Thundorfer Windpark mit nur drei Windrädern, für die weniger Wald gerodet, weniger Verkehr beim Bau entstehen, weniger Lärm für Anwohnende verursacht, der gewünschte Abstand zu Siedlungen und auch zu Nachbarsgemeinden eingehalten würde. Und das alles in Zusammenarbeit mit den Thurgauer Elektrizitätswerken EKT unter dem Dach der Wellenberg Wind AG.
Zusammengefasst: Weniger von allem, was die Anwohnenden davor störte. Dafür aber auch: weniger nachhaltiger Strom. Der neue Entwurf des Windparks würde nur noch 6000 durchschnittliche Vier-Personen-Haushalte mit Strom versorgen können, nicht mehr 18'000. Und wenn alles glattläuft, wäre der Windpark frühestens 2028 betriebsbereit.
Ein Zückerli fürs Volk gibt's zudem auch: Die Anwohnerinnen und Anwohner sollen von den Elektrizitätswerken jährlich mit insgesamt 7,5 Prozent des Umsatzes entschädigt werden.
Der Thundorfer Gemeindepräsident Kirchmeier zeigt sich bei der «Thurgauer Zeitung» optimistisch: Die Gegner des Windparks hätten den Mindestabstand von 850 Metern erfolgreich durchgebracht. «Was wollen sie noch? Sonst machen sie sich doch unglaubwürdig.»
Aber man sollte den Tag nicht vor dem Abend loben. Der fünfte Akt dieses Dramas muss erst noch geschrieben werden. Für wen es ein Happyend werden wird und für wen nicht, haben noch immer allein die 1600 Thundorferinnen und Thundorfer in der Hand.
Die Warteschlaufen von Flugzeugen wird auch nicht an der Gemeindeversammlung der darunterliegenden Gemeinde bestimmt.
Alternativ könnte man Gemeinden, welche sich trotz bester Eignung gegen Kraftwerke entscheiden, im Falle einer Strommangellage als erstes vom Netz nehmen. Dann findet sicher schnell ein Umdenken statt.