In der Politik wird häufig mit harten Bandagen gekämpft. Oft nimmt man es dabei mit den Fakten nicht allzu genau. Was sich die SP und der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) jedoch im Abstimmungskampf gegen die AHV 21 leisten, überschreitet nach Ansicht mehrerer grosser Medienhäuser die Grenzen des Zulässigen, und zwar erheblich.
Sowohl der Verbund CH Media, zu dem ab 2023 watson gehört, als auch Tamedia und NZZ werfen den Gegnern der AHV-Reform und der damit verknüpften Mehrwertsteuer-Erhöhung unisono Lügen vor. «Im Video gegen die AHV-Reform wird derart glasklar gelogen, wie man es in politischen Debatten hierzulande selten sieht», schreibt die NZZ.
Gemeint ist ein auf Facebook gepostetes «Erklärvideo». Darin wird eine Behauptung verbreitet, die man zumindest als kreativen Umgang mit der Wahrheit bezeichnen kann. Es geht um das Rentenalter, das mit der AHV 21, über die am 25. September abgestimmt wird, bei den Frauen auf 65 Jahre erhöht und jenem der Männer angeglichen werden soll.
Bei einem Ja sei die nächste Erhöhung schon programmiert, heisst es in dem vom SGB produzierten Video. «Und zwar für alle. Erst 66, dann 67 Jahre. So hat es das Parlament bereits beschlossen.» Diese Behauptung entbehrt jeglicher Grundlage. Das Parlament hat den Bundesrat einzig beauftragt, bis Ende 2026 die nächste AHV-Reform vorzulegen.
In besagtem Vorstoss geht es um die «Stabilisierung der AHV für die Zeit von 2030 bis 2040». Von einem höheren Rentenalter ist nirgends die Rede. Der SGB wies gegenüber der NZZ den Vorwurf der Lüge vehement zurück. Man dürfe nicht nur den Text dieses Vorstosses beachten, sondern müsse auch die «Intention» dahinter berücksichtigen.
Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine kreative Interpretation. Zwar trifft es zu, dass bürgerliche Politiker, Wirtschaftsvertreter und Zeitungen wie die NZZ immer wieder und teilweise vehement ein Rentenalter 67 fordern. Das einzige konkrete Vorhaben in diese Richtung aber ist die im letzten Jahr eingereichte Volksinitiative der Jungfreisinnigen.
Sie verlangt, das Rentenalter schrittweise von 65 auf 66 Jahre zu erhöhen und danach an die Lebenserwartung zu koppeln. Der Bundesrat empfiehlt sie zur Ablehnung. Es ist jedoch das Wesen einer solchen Vorlage, dass am Ende das Stimmvolk darüber entscheiden wird. Ohnehin dürfte jeder Anlauf zur Anhebung des Rentenalters zur Abstimmung kommen.
Die AHV 21 ist dafür das beste Beispiel. Über die Erhöhung des Frauenrentenalters wird abgestimmt, weil SP und Gewerkschaften das Referendum ergriffen haben. «Mit der Behauptung, das Parlament habe Rentenalter 67 bereits beschlossen, wird das Vertrauen in die politischen Institutionen untergraben», heisst es im Tamedia-Kommentar.
Grenzwertig ist auch die zweite Behauptung, mit der die Gegner ihren Abstimmungskampf bestreiten. «26’000 Franken weniger Rente?», heisst es auf Plakaten und Inseraten. Gemeint ist der angebliche Ausfall, den die Frauen erleiden, wenn sie ein Jahr später als bisher pensioniert werden. Das ist eine ziemlich gewagte Milchbüechli-Rechnung.
Sie verschweigt, dass neun Übergangs-Jahrgänge eine Kompensation für das höhere Rentenalter erhalten sollen, und das lebenslänglich. Und sie blendet aus, dass die Frauen überdurchschnittlich von der Umverteilung in der AHV profitieren. Sie zahlen nur 34 Prozent der Beiträge ein, weil sie oft Teilzeit und in schlecht bezahlten Berufen arbeiten.
Umgekehrt machen sie laut der AHV-Statistik 2021 53 Prozent der Rentenbeziehenden aus, und sie erhalten sogar 55 Prozent der Altersrenten. Grund dafür ist der Verwitwetenzuschlag von 20 Prozent, den Frauen wegen ihrer höheren Lebenserwartung häufiger beanspruchen als Männer. Mit anderen Worten: Die Frauen sind bei der AHV die Profiteurinnen.
An der Höhe der AHV-Renten ändert sich zudem nichts. Auch deswegen ist die Behauptung der Nein-Kampagne irreführend. Natürlich operiert sie auch mit dem Vorwurf, Frauen erhielten ein Drittel weniger Rente als die Männer. Das aber ist nicht die «Schuld» der AHV. Verantwortlich sind die strukturellen Mängel in der beruflichen Vorsorge.
Umso ärgerlicher ist es deshalb, dass die Sozialkommission des Ständerats die hängige Reform der zweiten Säule laut einer Mitteilung vom Donnerstag einmal mehr auf die lange Bank geschoben hat. Sie dürfte frühestens in der Wintersession behandelt werden. Ob sich dies auf die AHV-Abstimmung in knapp zwei Wochen auswirken wird, ist eine offene Frage.
In den bisherigen Umfragen zeichnet sich ein eher knappes (Tamedia) oder relativ klares (SRG) Ja ab. Die harte Gangart des Nein-Lagers erstaunt daher nicht. Befremdlich wirkt hingegen, dass es mit Methoden operiert, die die Linke dem politischen Gegner immer wieder vorgeworfen hat. Oder wie Tamedia kommentiert: «Die Gewerkschaften haben von der SVP gelernt. Leider.»
Schon traurig, wie hier einfach gelogen wird, wenn es einem ins Framing passt...