Nun ist es also offiziell: Der nächste Mitte-Bundesrat heisst Martin Pfister.
Es ist wohl der grösste Rückschlag in der steilen Karriere von Bauernpräsident Markus Ritter. Die Wahl zum Bundesrat hätte die Krönung einer aussergewöhnlichen Politkarriere sein sollen, die vor 33 Jahren in Altstätten im St. Galler Rheintal begann.
Es ist das Jahr 1992, als sich der 25-jährige Markus Ritter als CVP-Kandidat für den Altstätter Stadtrat aufstellen lässt. Schon damals ist er gut vernetzt. Einerseits präsidiert sein Bruder, Werner Ritter, die CVP Altstätten. Andererseits engagiert sich der junge Markus Ritter in der Feuerwehr, im Schützenverein, im Braunviehzuchtverband. Und das alles, während er gleichzeitig den 28 Hektar grossen Bauernhof mitsamt Milchkühen und Obstbäumen von seinen Eltern übernimmt.
Den Einzug in die Altstätter Regierung schafft Ritter auf Anhieb im ersten Wahlgang. Kaum im Amt, beginnt er sich zum mächtigsten aller Stadträte zu mausern.
Er liest die Dossiers genau und noch bevor die anderen dazu kommen. Er sorgt dafür, dass er alle Schlüsselfiguren kennenlernt. Er schmiedet im Hintergrund Kompromisse, noch bevor die Gegenseite es tut. Immer über die Parteigrenzen hinweg. Aber immer so, dass er die Zügel in der Hand behält. Immer nach dem Motto: Dä Schnäller isch de Gschwinder. Ruedi Dörig, der lange Zeit zusammen mit Ritter in der Altstätter Regierung gesessen ist, fasst Ritters Politstil gegenüber der NZZ so zusammen: «Er ist ein Machtgüggel, ein cleverer Typ.»
20 Jahre lang bleibt Ritter Stadtrat von Altstätten. Er wäre früher in den Nationalrat weitergezogen, wenn er gekonnt hätte. Doch das St. Galler Stimmvolk liess ihn zweimal abblitzen. Ritter baut deshalb einfach sein Netzwerk aus: 2005 wird er Präsident des St. Galler Bauernverbands, 2006 Vorstandsmitglied des Schweizer Bauernverbands.
2012 klappt es dann endlich für Ritter. Er zieht in den Nationalrat ein. Noch in demselben Jahr übergibt ihm der SVP-Nationalrat Hansjörg Walter das Zepter des Schweizer Bauernverbands. Damit wird Ritter zur wichtigsten Figur für die Bäuerinnen und Bauern im Land. Gleichzeitig steht ihm eine Herkulesaufgabe bevor.
Innerhalb des Bauernverbands haben sich in den letzten Jahren zwei auf den ersten Blick gegensätzliche Strömungen abgezeichnet: Jene Landwirte, die sich einen ökologischeren Kurs wünschen und jene, welche die Produktion von Nahrungsmitteln stärken wollten.
Als überzeugter Bio-Bauer schafft es Markus Ritter, die beiden Lager zu versöhnen. Mit einem Geniestreich: Er lanciert eine Initiative zur Ernährungssicherheit, mit der er sowohl bei den Linken als auch bei den Bürgerlichen im Parlament Anklang findet. Und 2017 dankt es ihm das Stimmvolk mit 80 Prozent Ja-Stimmen.
Seit Ritter im Parlament sitzt, hat er sich mit derselben Strategie wie einst im Altstätter Stadtrat zum mächtigsten Parlamentarier der Schweiz gemausert. Zu watson sagte Ritter:
Ritters Vorpreschen sorgt im Parlament immer wieder für Kritik. Allerdings lange nur für verhaltene. Denn sowohl Links als auch Rechts sind auf ihn angewiesen, um ihre Vorstösse im Parlament durchzubringen.
Ritter behält im Parlament für alle ein offenes Ohr, egal ob es sich um soziale oder wirtschaftliche Anliegen handelt. Wichtig ist ihm, etwas für die einzige Lobbygruppe herauszuholen, der er seit jeher angehört: die Bäuerinnen und Bauern.
Doch dann lancieren Linke ihre Kampagne «Agrarlobby stoppen!». Ihre Plakate zeigen Markus Ritter, Cüpli-trinkend und umgeben von sterbenden Bienen und Fischen. Dieser persönliche Angriff soll Ritter tief verletzt haben. Und dazu geführt haben, dass er sich stärker dem bürgerlichen Lager zugewandt hat. Unter anderem, indem er eine Allianz mit den Wirtschaftsverbänden eingeht, die «Geld und Gülle»-Allianz, wie Linke spotten.
Mit diesem Schritt wird Ritter erst recht zum roten Tuch für SP und Grüne. Als er im Januar 2025 seine Bundesratskandidatur bekannt gibt, monieren sie umgehend, er sei unwählbar. Im Nationalrat würde er abstimmen wie die SVP. Sein Politstil sei unsäglich. «Bauerplay» würde er stetig machen – Powerplay nur für die Bauern, nicht aber für die Gesamtbevölkerung.
Doch auch im bürgerlichen Lager kommt über die letzten Jahre Kritik an Ritter auf. Manchen widerstrebt die Macht der Bauern. Und manche glauben, von der «Geld und Gülle»-Allianz würden die Bauern deutlich stärker profitieren als die Wirtschaft.
Angesichts der zunehmenden Ablehnung von Ritter im Parlament, lässt sich schlussfolgern: Diese Bundesratswahl war weniger ein Entscheid für Martin Pfister, als ein Entscheid gegen Markus Ritter.
Mit Martin Pfister weiss das Parlament nicht, was es kriegt. Und vor allem weiss es nicht, ob dieser der Aufgabe gewachsen ist. Er, der Historiker und Zuger Regierungsrat. Er, der als Gesundheitsdirektor nur Regierungserfahrung in einem Kanton vorzuweisen hat, in dem die Mehrheiten so klar sind, dass es einfach ist, einen bürgerlichen Kurs zu verfolgen.
Für Experimente im Bundesrat ist in geopolitisch unsicheren Zeiten eigentlich kein Platz. Noch dazu haben die vergangenen Monate gezeigt, dass im Verteidigungsdepartement (VBS) missliche Zustände herrschen.
Was die Schweiz und insbesondere die Schweizer Armee braucht, ist ein starker Politiker, der in- und auswendig versteht, wie das Parlament funktioniert und wie man Kompromisse schmiedet. Ein Politiker, der die Dossiers seit vielen Jahren kennt. Einer, der eine klare Linie verfolgt, Mehrheiten für sich gewinnen und sich durchsetzen kann.
Gut möglich, dass Martin Pfister diese Eigenschaften mitbringt. Bei Markus Ritter hätte das Parlament mit Sicherheit gewusst, dass er sie besitzt. Doch mit seinem jahrelangen «Bauerplay» hat sich Ritter Feinde gemacht. Feinde, die ihm nun die Grenzen seiner Macht aufzeigen wollten.