Feste, Musik, Demonstrationen und Randale: Gestern war der 1. Mai – auch Tag der Arbeit genannt. Tausende Menschen demonstrierten für mehr Lohn, bessere Renten und mehr Gleichstellung. Bei den rund 50 Veranstaltungen in der ganzen Schweiz rief neben den Gewerkschafts- und SP-Spitzen auch Bundespräsident Alain Berset zum Kampf gegen Ungleichheit und für sozialen Fortschritt auf.
Am Rande kam es aber auch zu Ausschreitungen und Sachbeschädigungen. watson war in Zürich und Basel vor Ort:
In Zürich gingen am 1. Mai mehrere tausend Personen unter dem Motto «Frauenarbeit ist mehr wert» auf die Strasse. Der offizielle 1.-Mai-Umzug mit der Schlusskundgebung auf dem Sechseläutenplatz verlief laut der Kantonspolizei Zürich ohne grössere Zwischenfälle.
Am Nachmittag kam es im Kreis 4 aber zu mehreren unbewilligten Demonstrationen. Die Polizei war mit einem Grossaufgebot vor Ort.
Nur wenige Sekunden nachdem sich der Schwarze Block mit rund 100 Aktivistinnen und Aktivisten kurz nach 15 Uhr von der Langstrasse kommend in Richtung Stauffacherstrasse in Bewegung gesetzt hatte, stoppte die Polizei die Demonstration.
Daraufhin versuchten Demonstrierende, von der Polizei wegzulaufen, und sprangen über den Zaun des Kanzleiareals. Dort befanden sich auch mehrere Personen, die nicht an der Demonstration dabei waren, da auf dem Areal ein Fest zum 1. Mai noch voll im Gang war.
Die Polizei umstellte das Areal. Innerhalb weniger Minuten waren Nicht-Demonstrierende und Demonstrierende eingekesselt.
Wasserwerfer, Tränengas, Pfefferspray und Gummischrot – die Polizei hatte alles dabei. Und sie setzte auch alles ein.
Die Ausschreitungen nehmen zu, es wird Tränengas eingesetzt und die Polizei ruft durchs Megafon: «Es wird keine unbewilligte Demonstration akzeptiert» @watson_news pic.twitter.com/SGZF6MuQJn
— K.Marti (@killumination__) May 1, 2023
Immer wieder versuchten Nicht-Demonstrierende, aus dem Kessel zu gelangen, wurden aber daran gehindert. Eine Betroffene berichtet gegenüber watson, dass sie von der Polizei weggewiesen worden sei und das Areal nicht verlassen durfte. Auch der Boccia-Club, der sich auf dem Areal mitten in einem Spiel befand, kam nicht mehr raus. Ein Paar mit einem Baby schaffte es erst nach Diskussionen mit der Polizei aus dem Kessel.
Rund 40 Minuten nach der Einkesselung kündigte die Kantonspolizei in mehreren Durchsagen an, dass sie mit Personenkontrollen beginnen werde. Sie öffneten einen Ausgang bei der Kanzleistrasse, wo sich Freiwillige kontrollieren lassen und somit dem Kessel entkommen konnten.
Doch für die Nicht-Demonstrierenden war die Situation schwer einzuordnen, wie die Betroffene weiter erzählt. Die Durchsagen der Polizei waren wegen des Lärms nicht zu hören. Nur ein «Nuscheln» hätte man mitbekommen. Die junge Frau versteckte sich hinter einem Container. Gummischrot traf sie in den Rücken, Atemwege und Augen wurden von Reizgas strapaziert.
Gegen 18 Uhr schaffte sie es durch die Personenkontrolle der Polizei. Sie habe nun Arealverbot im Kreis 1, 4 und 5, teilte ihr die Polizei mit. Bis am nächsten Tag um 5 Uhr morgens dürfe sie sich nicht in diesen Stadtteilen aufhalten – obwohl sie im Kreis 4 wohnt.
Auf Anfrage von watson, was nun mit den Personalien geschehe, antwortet die Medienstelle der Kantonspolizei Zürich: «Bei Personen, die mit Massnahmen belegt wurden (z.B. Wegweisung und/oder Verzeigung) werden die Personalien im Rapportsystem Polis erfasst. Diese werden gemäss den vorgegebenen Löschfristen in der Polis-Verordnung wieder gelöscht. Die Löschung kann auch verlangt werden.»
Weiter sagt die Medienstelle: «Da die Polizei ohne Kontrolle nicht beurteilen konnte, wer mit der zuvor versuchten unbewilligten Demo im Zusammenhang stand, mussten die Personen einzeln kontrolliert werden. Diese Kontrollen benötigen Zeit. Personen bei denen kein Verdacht bestand, dass sie mit der versuchten unbewilligten Demo etwas zu tun hatten, wurden ohne Massnahmen vor Ort entlassen.»
Auf dem Kanzleiareal eingekesselt wurden versehentlich von der Zürcher Polizei auch mehrere Zivilisten/Schaulustige. Sie werden nun von der Polizei einzeln rausgelassen und müssen ihre Personalien angeben. @watson_news pic.twitter.com/iSgp1b7ujy
— K.Marti (@killumination__) May 1, 2023
Ein anderer Augenzeuge berichtet gegenüber watson, dass die Polizei ihn angewiesen habe, die Stadt Zürich sofort zu verlassen und nach Hause (Kanton Aargau) zu gehen.
Gegen 19 Uhr drang die Polizei in das Kanzleiareal ein und beendete die Demonstration. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Menschen, welche nicht an der Demonstration teilnahmen, das Gelände verlassen.
Laut der Polizei wurden zwei Personen bei dieser Aktion verletzt. Eine davon zog sich eine schwere Gesichtsverletzung zu. Augenzeugen berichten gegenüber watson, dass mehr Personen verletzt worden seien.
19 Personen wurden allein auf dem Kanzleiareal verhaftet. Darunter sieben Frauen und zwölf Männer. Die jüngste verhaftete Person ist 16 Jahre alt. 400 Personen wurden weggewiesen.
Die Polizei hat nun das Kanzleiareal betreten. @watson_news pic.twitter.com/FVtsN2eQd1
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Auch in Basel wurde der 1. Mai gross gefeiert. Unter dem Motto «Mehr Lohn, mehr Rente, Gleichstellung jetzt!» versammelten sich rund 1000 Personen und nahmen an der bewilligten Demonstration zum Tag der Arbeit teil.
Doch bereits kurz nach dem Start kesselte die Polizei den vorderen Teil des Umzugs ein und führte Personenkontrollen durch. Grund: «Wegen vermummten und mit Schutzmaterial ausgerüsteten Gruppierungen an der Spitze», wie die Kantonspolizei Basel gegenüber watson mitteilte. Daraufhin führte die Polizei auch hier Personenkontrollen durch.
#1Mai Demo in #Basel wird nach wenigen Metern von massivem Polizeiaufgebot in Vollmontur & Gittersperren blockiert. Helikopter kreist über der Stadt. Wasserwerfer offenbar bereit.
— daniel faulhaber (@dan_faulhaber) May 1, 2023
Können wir Informationen bekommen was hier passiert, @jsd? pic.twitter.com/SkZKUJQyKq
Auch in Basel setzte die Polizei Reizgase und Gummischrot ein. Eine Person, die Reizstoff abbekommen hat, ist die Grossrätin Tonja Zürcher.
11:44 h. Die Spitze des Zugs hätte auf der bewilligten Route abgespalten & kontrolliert werden sollten. Der Rest der Demo hätte umgeleitet werden sollen. Gesamte Demo bleibt auf der Route.
— daniel faulhaber (@dan_faulhaber) May 1, 2023
Pattsituation. Immer wieder wird Pfefferspray eingesetzt #1Mai pic.twitter.com/LQeWsCpk7f
Mediensprecher der Kantonspolizei Basel, Adrian Plachesi, könne im Einzelfall nicht erklären, weshalb die Polizei bei einer bewilligten Demo ohne Ausschreitungen Gummischrot und Pfefferspray einsetze, wie er auf Anfrage sagt. Aber der Sprecher rechtfertigt das Vorgehen:
Laut eines Blick-Reporters vor Ort sollen auch Kinder eingekesselt worden sein und Reizgas abbekommen haben. Der Mediensprecher von der Kantonspolizei Basel konnte watson vor Ort keine genauen Informationen darüber geben. Auch am nächsten Tag schweigt sich die Basler Polizei aus. Laut der Medienstelle haben sie «nicht nachgezählt, ob auch Kinder betroffen waren». Weiter sagt er, dass keine Kinder verarztet hätten werden müssen und man Rücksicht genommen hätte, wäre bekannt gewesen, dass Kinder vor Ort sind.
Zum Zeitpunkt der Einkesselung haben die Demonstrierenden in Basel friedlich demonstriert. Auch kam es zu diesem Zeitpunkt zu keinen Ausschreitungen, wie die Polizei gegenüber watson bestätigt. Das Ziel sei es gewesen, Personenkontrollen beim vermummten Teil der Demonstration durchzuführen und gefährliche Gegenstände wegzunehmen.
Die Einkesselung dauerte bis am frühen Abend – insgesamt sechs Stunden lang. Danach wurde der Umzug friedlich fortgesetzt.
17:15 h. Die letzten Personen sind kontrolliert. An Teile der Kontrollierten aus dem Kessel #1Mai2023 wurden Platzverweise ausgesprochen, die Teile der Innenstadt + UG Waaghof und Staatsanwaltschaft betreffen. Gilt 24 Stunden.
— daniel faulhaber (@dan_faulhaber) May 1, 2023
Am Abend zog die Basler Polizei Bilanz: 317 Personen wurden kontrolliert und 22 Personen vorübergehend in Gewahrsam genommen. Gegen 72 Personen wurde ein Platzverweis ausgesprochen. Drei Personen wurden nach dem Einsatz von Reizstoffen vor Ort durch die Sanität behandelt.
Die Krawallmenschen sind äussert phantasievoll um Kontrollen zu umgehen und entsprechend vorbereitet: Zum Bsp mit „zivilen“ Wechselkleidern im Rucksack.
Scheint mir die in casu die einzige praktikable Lösung.
Und wer am 1. Mai mit Kleinkind aufs Kanzleiareal (alljährlicher Hotspot von Krawallen), der hat definitiv schon mal sehr viel falsch gemacht.