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Ex-Verteidigungsminister über Armee: «120'000 Mann reichen nicht»

Parallelen zu seiner Zeit im Bundesrat: Arnold Koller, hier fotografiert anlässlich seines 90. Geburtstags im Sommer 2023.
Parallelen zu seiner Zeit im Bundesrat: Arnold Koller, hier fotografiert anlässlich seines 90. Geburtstags im Sommer 2023. bild: Arthur Gamsa / St.Galler Tagblatt

Ex-Verteidigungsminister Koller über Armee: «Womöglich reichen 120'000 Mann nicht mehr»

Arnold Koller war der erste CVP-Verteidigungsminister in der Geschichte der Schweiz (ab 1987). Er sieht Parallelen zwischen der damaligen Sowjetunion und dem heutigen Russland und hat klare Vorstellungen, welche Prioritäten der neue Bundesrat setzen sollte.
30.03.2025, 18:3130.03.2025, 18:31
Patrik Müller / ch media
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Als erster CVP-Verteidigungsminister der Schweiz (ab 1987) hat Arnold Koller Geschichte geschrieben. Davor hatten stets FDP- und SVP-Magistraten das Militärdepartement geleitet. In Kollers Ära fiel die Kampagne der Armeeabschaffer (GSoA). Der Appenzeller ist auch mit 91 Jahren bestens informiert über die sicherheitspolitische Aktualität und die Baustellen im Verteidigungsdepartement VBS. Seinen Schalk hat Koller behalten, am Schluss des Gesprächs sagt er: «So, das war jetzt wohl mein letztes Interview!»

Sie leiteten das Militärdepartement in der Schlussphase des Kalten Kriegs. Wie unterscheidet sich die heutige Armee von der damaligen?

Arnold Koller: Es gab seither kolossale Veränderungen in der Bedrohungslage und auch bei der Armee selbst. Von Cyber- und Drohnenkrieg wusste man damals noch nichts. Am offensichtlichsten ist der Unterschied bei den Beständen. Als ich 1987 mein Amt antrat, umfasste die Armee 650'000 Mann. Heute sind wir noch bei etwa 120'000.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verschwand der Feind im Osten. 35 Jahre danach ist Russland wieder zur Bedrohung geworden.

Das ist eine interessante Parallele. Der entscheidende Unterschied ist: Während des Kalten Kriegs waren die Verhältnisse ungeheuer stabil. Abgesehen von den letzten Jahren des Kalten Kriegs herrschte geopolitische Konstanz. Heute erleben wir das Gegenteil: Instabilität und Unberechenbarkeit. Wer hätte gedacht, dass in Europa wieder Krieg geführt würde wie seit 2022 in der Ukraine? Wer hätte gedacht, dass ein US-Präsident derartige Positionswechsel vollzieht und fast jeden Tag irgendeine neue Direktive herausgibt? Für eine Milizarmee, wie sie die Schweiz hat, ist das sehr anspruchsvoll.

Weil eine Milizarmee träger ist als eine Berufsarmee?

Veränderungen in einer Milizarmee brauchen mehr Zeit. In einer Phase stetig wechselnder Bedrohungen – von Cyberrisiken bis zu geopolitischen Verwerfungen – ist sie weniger agil. Vielleicht hat man diese Tatsache in den letzten Jahren etwas unterschätzt. Bis zum Kriegsausbruch in der Ukraine rechnete man in der Schweiz mit Vorwarnzeiten, die unrealistisch lange waren: Wochen oder sogar Monate. Es kann sehr schnell losgehen, auch bei territorialen Kriegen. Das zeigte Putins Überfall auf die Ukraine.

Militärexperten sagen, die Armee wäre im Ernstfall nur bedingt verteidigungsfähig. Muss die Schweiz über eine Berufsarmee diskutieren?

Die Milizarmee hat den unschätzbaren Vorteil, dass sie im Volk stark verankert ist. In einem Kleinstaat ist das zentral. Eine schlecht verankerte Berufsarmee wäre ein grosses Risiko.

In Ihre Amtszeit fiel die Kampagne der «Gruppe für eine Schweiz ohne Armee», die 1989 fast 36 Prozent Ja-Stimmen holte. Das war ein Schock. Wie nehmen Sie die Akzeptanz der Armee heute wahr?

Man begann damals die Armee zu kritisieren und sogar zu hinterfragen. Wir haben darauf reagiert und Reformen vorgenommen, so übernahm die Armee beispielsweise auch Aufgaben der Friedensförderung. Der Ukraine-Krieg hat nun zu einem neuen Bewusstsein für Sicherheitsrisiken geführt. Heute findet kaum jemand, die Armee sei überflüssig. Das sollte Anpassungen der Armee an die neue Bedrohungslage eigentlich erleichtern.

Sind Sie einig mit Viola Amherd: Es braucht eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Nato?

Ja, das entspricht auch meiner Auffassung. Wir können die Kooperation mit der Nato vertiefen, ohne die Neutralität zu gefährden. Meine Erfahrung zeigt: Das Schweizer Volk ist aufgeschlossen gegenüber Veränderungen beim Militär. In meiner Zeit schickten wir erstmals Sanitätseinheiten nach Namibia und entsandten UNO-Beobachter nach Finnland. Die Bürgerinnen und Bürger haben nur Mühe mit institutionellen Anbindungen, nicht mit pragmatischer Zusammenarbeit.

Das Departement VBS, früher EMD, war bei Bundesräten oft unbeliebt. Für Adolf Ogi war es «Nati B». Sie wechselten auch schon nach gut zwei Jahren ins Justizdepartement.

Ja, aber deshalb, weil es zum abrupten Rücktritt von Elisabeth Kopp kam. Sonst wäre ich länger im Verteidigungsdepartement geblieben. Für das Verteidigungsdepartement ist es wichtig, dass ein Bundesrat für längere Zeit bleibt. Nur dann hat er den nötigen Einfluss, um Veränderungen durchzusetzen.

Arnold Koller (CVP) verliess nach dem Rücktritt von Elisabeth Kopp (FDP) das Militärdepartement und wurde 1989 Justizminister.
Arnold Koller (CVP) verliess nach dem Rücktritt von Elisabeth Kopp (FDP) das Militärdepartement und wurde 1989 Justizminister. Karl-Heinz Hug / KEYSTONE

Welchen Rat geben Sie dem neuen VBS-Vorsteher Martin Pfister?

Er kommt in eine sehr anspruchsvolle Zeit. Einerseits stehen im Departement dringende Projekte und Entscheidungen an. Andererseits muss er die Armee der veränderten Bedrohungslage anpassen. Wahrscheinlich wird er sich auch die Frage stellen müssen, ob die Bestände zu stark reduziert wurden. Reichen 120'000 Mann heute wirklich aus? Womöglich nicht mehr. Es braucht einen neuen Realismus. Herr Pfister ist von allen Seiten gefordert.

Worauf kommt es an, dass er in diesem schwierigen Departement Erfolg hat?

Mein Rat wäre: Schritt für Schritt vorgehen – und das Volk mitnehmen. Nicht den grossen Wurf suchen. Die Truppenordnung 1961 galt drei Jahrzehnte lang. Dann kam die Armee 95, später die Armee 2020. Mit schrittweisen Anpassungen erreicht man schneller etwas als mit den ganz grossen Projekten. (aargauerzeitung.ch)

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53 Kommentare
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Herr Hirnweh Grübelmüd
30.03.2025 18:39registriert März 2025
Es wäre ein riesiger, gefährlicher Fehler für die Schweiz, jetzt isoliert und alleine an ihrer Armee rumzuwerkeln und auf Mannstärke zu reduzieren. Was man aktuell in der Ukraine lernen kann. Ohne starke und enge Zusammenarbeit mit befreundeten Staaten geht es gar nicht mehr. Vor allem als Zwergenstaat CH.

Ah Moment, ich vergass, wir sind ja super geworden in Freunde vor den Kopf stossen und nachhaltig von uns zu entfernen...
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Quaerentius
30.03.2025 18:44registriert Mai 2022
Cool, wenn man mit 91 Jahren noch so gut drauf ist; auf dem Foto von vor 2 Jahren sieht er mindestens 10 Jahre jünger aus!

Warum ist es für den Schweizer Bundesrat eigentlich nicht vorgeschrieben, Beratergremien (ohne Entscheidungsbefugnis!) aus ehemaligen Kolleginnen und Kollegen zu bilden; solche senior consultants verfügen über viel know how und “Altersweisheit“ und könnten wohl gelegentlich Fehler aus Unerfahrenheit der aktuellen Amtsinhaber verhindern helfen …
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Geri Gagarin
30.03.2025 19:23registriert Februar 2023
Und für was genau sollen die 120k nicht reichen?
Solange wir uns nicht an der Sicherung der Europäischen Auszugrenzen beteiligen und einfach weiterhin feige im Zentrum hocken brauchen wir kaum mehr von irgendwas.

Was wir brauchen ist Rückgrat um zu unseren Werten und Nachbaren zu stehen und diese aktive zu verteidigen wobei wir wohl Finanz und Rohstoffpolitisch mehr bewirken können als mit Soldaten.
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